Stadtentwicklung hat mit gesellschaftlichen Veränderungen zu tun– wie erkennt man diese rechtzeitig?
Madreiter: Wir setzen uns in der Stadtplanung schon seit Jahren mit Fragen der Stadtforschung auseinander, und da gehört ganz wesentlich die gesellschaftliche Trendforschung dazu. Dabei zeigen sich durchaus homogene Verhaltenstypen und -muster, die aber auch von massiven Veränderungen betroffen sind.
Wenn wir den Diskurs der letzten 50 bis 60 Jahre über das „die Stadt“ betrachten, dann träumte man etwa von einer autogerechten Stadt– eine skurrile Fantasie–, und dementsprechend ergab sich die Wahrnehmung der Stadt als schmutzstarrender Moloch. Diese beiden Bilder können wir ins Museum räumen. Die autogerechte Stadt ist für niemanden ein attraktives Bild, und aus einem schmutzstarrenden Moloch laufen die Leute davon.
Die autogerechte Stadt gehört ins Museum?
Madreiter: Aktuelle Studien zeigen in diesem Bereich dramatische Veränderungen. Die Nutzung der Öffis hat sich bei den Jungen verdoppelt– im Gegenzug dazu ist der Wunsch nach einem eigenen Auto geringer geworden. Das ist ein Aspekt, den wir bei der Stadtplanung berücksichtigen müssen– den Trend zu einem ökologischen Verhalten. Es geht nicht ausschließlich darum, dass wir uns den Kopf darüber zerbrechen, was gut wäre, wenn es die Leute täten, sondern wir müssen auch positive Trends bestmöglich unterstützen, die schon auftreten. Das reicht in diesem Fall von Carsharing bis zu mehr Möglichkeiten für Fußgänger und Radfahrer.
Entwickeln die Gesellschaften in den westlichen Ländern ähnliche Trends?
Madreiter: Ja. Es gibt eben verschiedene Megatrends, und wenn man noch eine Ebene tiefer blickt, dann findet man abgeleitete Subphänomene. Das ist alles ein sozioökonomisch dicht vernetztes System, und eine Entwicklung bedingt die andere. Wir bemerken aktuell, dass einige gesellschaftliche Trends uns in der Stadtplanung unterstützen. Beispielsweise eine Veränderung in den Ansprüchen, was das Wohnen betrifft. Es gibt eine steigende Bedeutung von urbanen Wohnformen im Gegensatz zu suburbanen Einfamilienhäusern. Oder die angesprochene geänderte Beziehung zum eigenen Mobilitätsverhalten. Allerdings muss man auch aufpassen, denn das trifft nicht auf alle Teile der Gesellschaft gleichermaßen zu. Doch in Summe bewegt sich etwas, und das versuchen wir zu unterstützen.
Mobilität und Wohnen– können Sie darauf noch detaillierter eingehen?
Madreiter: Wir bemerken etwa, dass innerhalb der Stadt die Bevölkerung auffällig zunimmt, die absolute Verkehrsbelastung aber zu sinken beginnt. Es fahren mittlerweile weniger Autos. Wir hatten zum Beispiel am Gürtel vor 20 Jahren relevant mehr Autos, als wir heute haben.
Die veränderte Wohnsituation ergibt sich aber auch aus der Lage am Arbeitsmarkt. Es wird alles volatiler und manches unsicherer. Kurzfristigere Arbeitsverhältnisse wirken sich auf die Wohnverhältnisse aus. Wer heute um die 20 Jahre ist, der wird nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit einen dauerhaften Lebensjob finden und daher vor dem Hintergrund einer wohl wechselvollen Berufskarriere auch nach anderen Wohnverhältnissen Ausschau halten. Dadurch ist der Anteil der Jungen bei befristeten Mietverhältnissen bei weitem höher als bei älteren Personen. Schon allein daraus ergeben sich unterschiedliche urbane Verhaltensmuster. Wenn sich die Arbeitsverhältnisse rasch ändern, dann ist damit zu rechnen, dass diese Menschen in wenigen Jahren woanders arbeiten, und klarerweise wird deshalb die Nachfrage nach Wohnraum anders aussehen– und auch die Mobilität wird betroffen sein. Es verändert sich außerdem die Art, wie wir wohnen.
Inwiefern?
Es nehmen die Wohngemeinschaften zu. Das kann eine Mangelsituation, aber auch der Ausdruck eines anderen Selbstverständnisses und Lebensgefühls sein. Der soziale Trend zu größeren Wohnungen hat seine Berechtigung gehabt, aber irgendwann wurde ein Flächenniveau erreicht, bei dem ein „Mehr“ keine Verbesserung mehr bringt. {{article_open::406}}Das kehrt sich jetzt ein Stück weit um.{{link_close}}
Der Zuzug in die Stadt hält weiterhin an.
Madreiter: Ja. Das betrifft nicht nur Wien, das ist ein globaler Megatrend. Das Bild vieler ist ja, dass die Suburbanisierung explodiert, also dass die Menschen vermehrt in den Speckgürtel ziehen. Statistisch überprüft ist aber das Gegenteil der Fall. Hatten wir in Wien noch Anfang der 2000er Jahre einen Nettoverlust von jährlich 7.000 Menschen ins Umland, ist es jetzt nur mehr grob die Hälfte.
Ich glaube, aus Sicht der Raumplanung wird man in einigen Umlandgemeinden Modelle anbieten müssen, die den Leuten dabei helfen, die Gebäude und die Infrastruktur in den leerer werdenden Dörfern und Siedlungen weiter zu nutzen. Wie man zum Beispiel aus einem Einfamilienhaus ein Zweifamilienhaus machen kann. Wie man zu einer sinnvollen, lebenswerten Nachverdichtung kommen kann? Die Häuser sind in den 70er-Jahren nicht so unterschiedlich gebaut worden, und {{article_open::184}}es ist eine architektonische und raumplanerische Forschungsnotwendigkeit{{link_close}}, wie ich mit der Thematik umgehe.
Das Thema stellt sich aber auch in der Stadt.
Madreiter: Ein Hauptthema in europäischen Städten ist der Umgang mit den Großwohnanlagen der Nachkriegszeit. Wien ist dankenswerterweise davon nicht so sehr betroffen, aber auch bei uns stellt sich die Frage, wie Sanierungsstrategien für die großflächig errichteten Wohngebiete der 60er- und 70er-Jahre aussehen könnten. Wie kann man zu einer gewissen Durchmischung der Strukturen und zu einer Nachverdichtung kommen? Es geht hier nicht um die doppelte Kubatur, aber teilweise lässt sich durch sinnvolle bauliche Ergänzungen die Qualität für alle verbessern. Es muss aber behutsam und sensibel vorgegangen werden, und wir werden auch in diesem Zusammenhang mehr Kreativität brauchen.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Madreiter: Beim Thema Ressourcen sollten wir auch darüber nachdenken, wie viel Fläche wir brauchen und wann. Überlegen Sie einmal, wie viele Prozent der Stadt zu gewissen Zeiten leer stehen: Büros in der Nacht, Schulen zwei bis drei Monate …
Es geht um ein fundiertes Nachdenken darüber, wie wir unser Zusammenleben ressourcenschonend organisieren. Und da gehört der Kühlschrank, der nachbestellt, genauso wenig dazu wie die Waschmaschine, die sich um drei Uhr früh einschaltet, um Strom zu sparen. Das ist alles ziemlich skurril.
Mit dem Smart-City-Programm greift Wien sehr viele der Herausforderungen auf.
Madreiter: Wenn wir in Wien mit der Smart-City-Strategie den Turbo zünden, dann ist eine „Smart City“ in unserem Verständnis nicht die Stadt der einfachen Antworten, sondern die Stadt, die Fragen stellt, Lösungen sucht, zum Nachdenken anregt und versucht, ein robustes Gleichgewicht zu erlangen.
Wenn wir heute in Wien eine sehr hohe Lebensqualität haben, dann ist das sicher eine Kombination aus vielen Faktoren und nicht zuletzt ein Ergebnis davon, dass Wien seit Jahrzehnten auf Umweltorientierung setzt. Wenn wir beispielsweise heute weite Teile der Stadt durch Fernwärme versorgen, dann bringt uns das eine gute Luft. Ebenso, wenn wir nur noch 27% aller Wege in Wien mit dem Pkw zurücklegen. Die Menschen fühlen sich wohl und sparen Geld. Das ist smart!
Das Smart-City-Programm findet auch international Beachtung.
Madreiter: Wir werden in Wien als Showcase wahrgenommen, und man billigt uns zu, dass wir Kompetenzen haben, und wir sollten diese weiter pflegen. International wird die Wiener Position stark wahrgenommen, da sie dem Bild der Smart City einen neuen Spin gibt– dem einer sozialen Orientierung.
Macht diese Position Wien nicht auch für Arbeitgeber attraktiv?
Madreiter: Ja. Zum Beispiel hat Cisco sein Start-up-Lab nach Wien gebracht. Unter anderem auch deshalb, weil Wien durch seine Mischung aus Lebensqualität, sozialer Stabilität und klaren Innovationszielen punktet. Das sind Perspektiven einer zukunftsfähigen Stadt und für CISCO anscheinend Grund genug, sich für Wien zu entscheiden. Wir müssen auch weiterhin für internationale Unternehmen und die lokale Wirtschaft attraktiv sein, und klarerweise braucht eine ausbalancierte Stadt der Gegenwart und der Zukunft ein entsprechendes Maß an Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten.
Wie schätzen Sie Urban Farming ein?
Madreiter: Ich bin da ein Stück weit skeptisch. Urban Gardening wird in der Stadt stark zunehmen, aber nicht die Großproduktion. Zum einen glaube ich, dass ein gewisser Teil der Menschen einen Bezug dazu haben will, wo Nahrungsmittel herkommen. Zum anderen wird die überwiegende Menge an Nahrungsmitteln weiterhin aus der traditionellen Landwirtschaft kommen, wobei auch diese ressourcenschonender werden muss.
Die Frage ist, ob die Siedlungsentwicklung die Landwirtschaft verdrängt. Ja, das tut sie, aber in langen Zeiträumen. Um den kurzfristigen Druck auf die Freiflächen zu minimieren, will Wien daher vorrangig Entwicklungspotenziale innerhalb der bestehenden Gebietskulisse nutzen.
Ihr Blick in die Zukunft.
Madreiter: Auch wenn wir in Wien auf allen Ebenen ein tief greifendes Vertrauen in die umfassenden Lösungsqualitäten der öffentlichen Hand haben, werden mehr private Verantwortung und Engagement notwendig sein. Wir als Stadt sind für ein robustes Regelwerk verantwortlich, darin gibt es aber auch einen erkennbaren Spielraum für privates Handeln. Es ist nicht die beste aller Städte, in der man bis ins kleinste Detail den Entwickler zu Lösungen zwingt, weil man glaubt, dass das so optimal ist. Da braucht es auch eine gewisse Gelassenheit. Jede Ausnahmemöglichkeit sofort zu kappen, nur weil sie einmal unsinnig genutzt wurde, erscheint mir nicht sinnvoll.
Das Städtische entsteht durch das Hinausgehen in den öffentlichen Raum. Es gibt gute und weniger gute Bauten, und da ist auch prinzipiell eine höhere Gelassenheit angesagt. Die Kernfrage ist letztlich, wie wir eine hinreichend kompakte und durchmischte Stadt mit einem qualitativen öffentlichen Raum zur Verfügung stellen können.