„Heizsysteme, Energieeffizienz, Standortqualitäten wie insbesondere Verkehrsanbindungen oder optimierte Nutzungsmöglichkeiten der jeweiligen Wohnungsgrundrisse wurden so detailliert wie nie abgefragt“, erinnert sich Karina Schunker, Geschäftsführerin EHL Wohnen, an die ERSTE Wohnmesse im November und betont: „Möglichst große Unabhängigkeit bei der Energieversorgung ist vielleicht DAS aktuelle Wohnthema schlechthin.“ Wohnanlagen mit einem möglichst hohen Anteil selbst produzierter Energie – Geothermie, Luftwärmepumpen, Photovoltaik – haben bei Wohnungssuchenden einen hohen Stellenwert. Vor allem werden laufende Investitions- und Instandhaltungskosten an den Anlagen und Allgemeinflächen der Häuser bereits bei den Kaufentscheidungen berücksichtigt. Da sich verstärkt die Frage nach der Leistbarkeit einer Wohnung stellt, „liegt der Fokus auf effizienten Wohnungen. Jeder Quadratmeter soll gut geplant und genutzt sein“, sagt Gerhild Bensch-König, Geschäftsführerin Raiffeisen WohnBau. Egal, ob es sich um eine Zwei- oder eine Fünf-Zimmer-Wohnung handelt.
Am Bedarf vorbei gebaut
In den vergangenen Jahren wurde zwar viel gebaut, aber wahrscheinlich an den Bedürfnissen der Wohnungssuchenden etwas vorbei. Zu viele Ein-bis-zwei-Zimmer-Wohnungen wurden errichtet. Ein Missverhältnis, das Michael Pisecky, Fachgruppenobmann der Immobilien- und Vermögenstreuhänder der WKW, schon immer anprangerte. Jetzt wird das Zuviel an kleinen Wohnungen langsam zum Problem. Karina Schunker: „Wir bemerken, dass die Vier-bis-fünf-Zimmer-Wohnungen immer als Erstes vermietet sind.“ Die kleinen Einheiten werden zu Ladenhütern, da auch potenzielle Käuferinnen und Käufer, die derzeit keine Finanzierung bekommen, auf den Markt drängen und größere Einheiten suchen. Wie mit dem Bestand umzugehen sein wird, sei einmal dahingestellt, mit Blick in die Zukunft meint Andreas Hawlik, Geschäftsführer HAWLIK GERGINSKI Architekten: „Wir werden uns auch mit der Gebäudestruktur, mit der Konstruktion und der Konzipierung auseinandersetzen müssen und sie weiterentwickeln.“ Bei einem flexiblen Skelettbau mit kompaktem Kern ließen sich die Wohnungsgrößen innerhalb des Gebäudes frei wählen und auch geänderten Verhältnissen anpassen. „Harter Kern und weiche Schale“, bringt es Andreas Hawlik auf den Punkt. Unabhängig von der Flexibilität plädierte der Architekt von Anfang an für einen guten Wohnungsmix aus unterschiedlichen Zimmeranzahlen in einem Gebäude, zumal „Flexibilität auch Langlebigkeit bedeutet“. Diese sollte daher auch bei der Zertifizierung von Gebäuden eine viel stärkere Bewertung finden.
Zertifizierungen kommen langsam
Zertifizierung war bis dato nur für institutionelle Investoren wichtig. Vor einigen Jahren war das bei privaten Käuferinnen und Käufer noch kein Thema. „Wir haben es ausprobiert und dabei festgestellt, dass niemand danach gefragt hat“, so Gerhild Bensch-König über die ersten Versuche von Raiffeisen WohnBau: „Jetzt sind aber wieder Jahre ins Land gezogen, und Zertifizierung ist wieder in aller Munde.“ Die Geschäftsführerin geht davon aus, dass die Zertifizierung jetzt auch für die Eigennutzer interessant wird.
Home–Office verändert die eigenen vier Wände
Home-Office bliebt jedenfalls ein Thema, denn immer mehr Firmen stellen auf hybride Arbeitssysteme um. Der Hype ist seit März 2020 einer eher realitätsnahen Betrachtung gewichen, sowohl bei den Unternehmen als auch bei den Beschäftigten. „Wer in einem Beruf tätig ist, der Home-Office leicht möglich macht, sucht weiterhin Wohnungen, die einen abgrenzbaren Arbeitsplatz bieten“, so Karin Schunker. Ob es ein eigenes Arbeitszimmer gibt oder „nur“ einen Telearbeitsplatz, ist letztendlich der Wohnungsgröße geschuldet.
Ergeschoßzonen im Blickpunkt
„Auf die Erdgeschoßzonen soll in Zukunft auch wieder mehr Augenmerk gelegt werden“, meint Architekt Andreas Hawlik. Nicht nur bei Großprojekten mit Einzelhandelsflächen im Haus, sondern auch bei innerstädtischen Neubauten in Baulücken oder bei Sanierungen. Eine attraktive „Basis“ dient der Aufwertung des Wohnbaus. Arztpraxis, Office-Space, Bäckerei oder Kaffeehaus sind nur ein paar Beispiele.
Bodenversiegelung als zentrales Thema
„Das Thema Versiegelung des Bodens wird dazu führen, dass wir in Zukunft die Brownfields verstärkt verbauen“, ist Gerhild Bensch-König überzeugt: „Ich bin ohnehin eine Verfechterin der Brownfields. Auch auf dem Land werden wir in den Geschoßwohnbau gehen müssen.“ Die Verdichtung, also die Aufstockung von Häusern oder auch Blockverbauungen von Häusern bzw. Wohnhausanlagen und Überbauungen von zum Beispiel Supermärkten seien wichtige Ansätze für eine zukunftsorientierte Wohnungspolitik in Österreich. „Allerdings fehlen oft die Rahmenbedingungen in Flächenwidmung und Bauordnung sowie der politische Wille, sich mit der vom Umbau betroffenen Bevölkerung auseinanderzusetzen“, beklagt Gerald Gollenz, der neue WKO-Fachverbandsobmann der Immobilien- und Vermögenstreuhänder. Die Zukunft des Wohnbaus liegt nicht allein in den Händen der Projektentwickler und Bauträgern, die wesentlichen Akteure müssen zusammenrücken. Wohnen ist mehr als das Dach über dem Kopf, denn trotz aller Entwicklungen, Neuerungen und Trends „steht die Wohnung als Wohlfühlort nach wie vor im Fokus“, so Karina Schunker.