Ein einzelnes Gebäude ohne Rücksicht auf die umliegende urbane Struktur in die Stadt stellen und verkaufen zu wollen, ist bei größeren Stadtentwicklungen mittlerweile undenkbar. Segmentübergreifende Strukturwandel prägen seit einigen Jahren unsere Städte und damit auch die Art und Weise, wie diese konzipiert werden. Wer urbane Quartiere realisieren will, der muss sich mittlerweile nicht mehr nur um sein eigenes Projekt kümmern. Es geht um noch viel mehr.
Selbst bauen war einmal
„Angesichts des Angebotsmangels sowie der Komplexität urbaner Quartiere und der damit einhergehenden finanziellen Strukturen müssen die einstigen Projektentwickler heutzutage immer häufiger auch als Großhändler für Bauträger, Projektentwicklungsgesellschaften und auch Kommunen fungieren, statt die Projekte selbst zu bauen“, sieht Mathias Düsterdick Geschäftsführer der GERCHGROUP, diese neuen Herausforderungen etwa auch in Deutschland. Durch die Komplexität der Materie bleibt den Projektentwicklern kaum Zeit, das eine oder andere Projekt selbst zu bauen. Der Developer hat sich daher in den letzten Jahren zu einem Gesamtkoordinator mit Gesamtüberblick und Struktur für die Umsetzung entwickelt.
„Ich persönlich glaube, dass die Summe der Anforderungen so mannigfaltig geworden ist, dass ein Einzelner nicht mehr in der Lage ist, alle Anforderungen bestmöglich zu erfüllen“, sagt Anton Bondi, Geschäftsführer von Bondi Consult, der derzeit die Siemensgründe nach einem neuen Konzept bebaut: „Er umgibt sich mit Spezialisten für die einzelnen Spezialbereiche, um ein bestmögliches Gesamtergebnis zu erzielen.“ Das ist umso schwieriger, als aufgrund der Komplexität der Ausgangslage künftige Entwicklungen antizipiert werden müssen, „da die Umsetzung eines Projekts meist zwischen drei und fünf Jahre oder manchmal noch länger dauert“, so Bondi.
Projektentwicklung wird komplexer
„Die Projektentwicklung und Abstimmung mit den Kommunen, Behörden und Nachbarn wurde in den letzten fünf bis zehn Jahren zunehmend komplexer und schwieriger“, bestätigt Wolfdieter Jarisch, Gesellschafter und Vorstand der S+B Gruppe, die Entwicklungen. Er muss es wissen, denn die S+B Gruppe realisiert derzeit in der Donaucity unter anderem die Danube Flats, DC3, DC2, die DC Flats und den DC Innovationscampus.
Projektlaufzeiten haben sich verdoppelt
Was gut für die Kommunen ist, ist für Projektentwickler herausfordernd. Zeitlich und finanziell. „Die zusätzlichen Funktionen, die übernommen werden müssen, bedeuten mehr Aufwand“, meint Maximilian Pasquali, Deputy-CEO Eyemaxx Real Estate Gruppe, die selbst Quartiere in Mannheim und Schönefeld bei Berlin umsetzt. Dazu gesellen sich Innovationen und höhere Qualitätsvorgaben und -ansprüche bei steigenden Herstellungskosten. Dies alles unter einen Hut zu bringen, verlangt den heutigen Projektentwicklern Flexibilität, Zukunftsvisionen und einen langen Atem ab, wie Wolfdieter Jarisch meint. Der lange Atem ist ganz wichtig, denn durch die Komplexität „haben sich auch die Projektdurchlaufzeiten fast verdoppelt“.
In der Entwicklung geht die deutsche Gerchgroup so weit, dass sie die Erschließung eines Quartiers und der einzelnen Baufelder selbst durchführt, um einen reibungslosen Verlauf der weiteren Realisierungsphase zu gewährleisten. Düsterdick über die Projekte „The Q“ in Nürnberg, „Das Präsidium“ in Frankfurt oder das jüngste Megaprojekt, das INquartier in Ingolstadt: „Bei der Entwicklung von Bebauungsgrundstücken in diesen Quartieren leisten wir sachdienliche, vorbereitende Detailarbeit, um dann zu entscheiden, wie wir mit den einzelnen Baufeldern umgehen.“ Auf diese Weise ist es möglich, komplexe Quartiere oder ganze Stadtviertel schnellstmöglich zu konzipieren und dem Markt zuzuführen.
Schnelllebigkeit der heutigen Zeit
Die immer flexibler werdenden Anforderungen im Gewerbe durch die Nutzer zwingen dazu, möglichst anpassungsfähige Nutzungsraster und Systeme zu entwickeln, mit denen kurzfristig und möglichst kostengünstig auf wechselnde Anforderungen der Nutzer oder des Markts reagiert werden kann. Anton Bondi: „Insgesamt sind heute Neubauten von ihrer Struktur her nicht mehr für einen 100-jährigen Bestand ausgelegt, sondern in der Regel innerhalb von rund 30 Jahren veraltet und damit abzubrechen.“ Dies bringt natürlich auch eine wesentliche Änderung in der Kalkulation von Projekten und – damit verbunden – des Eigenkapitalbedarfs mit sich.
Sensible Großflächen
„In Wien gibt es glücklicherweise immer wieder die Möglichkeit, neue urbane Quartiere zu entwickeln“, meint Josef Herwei, Geschäftsführer der WSE, und nennt ehemalige Bahnhofsareale, Fabriksareale oder auch den ehemaligen Schlachthof in St. Marx als Beispiele.
„Mit diesen oftmals innerstädtischen Flächen muss man besonders sensibel umgehen, was die Arbeit der Projektentwicklung gegenüber früher natürlich massiv verändert hat“, bestätigt auch Herwei. Und so hat bei der Entwicklung dieser Areale nicht die Gewinnmaximierung oberste Priorität, sondern der Nutzen für die Bevölkerung und den Standort Wien: „Die Aufgaben sind hier fraglos komplexer geworden, was am Ende aber allen zugute kommt.“
Maximilian Pasquali kann dieser Entwicklung ebenfalls durchaus Positives abgewinnen: „Projektentwickler sind Dienstleister, und daher sehe ich durch die zusätzlichen Agenden mehr Handlungsspielraum, mehr Kreativität und mehr Verantwortung.“ Wer in seinem Umfeld mehr bewirken kann, hat als Projektentwickler auch bessere Chancen, seine Projekte zu verwerten.