Sandmangel gefährdet Baubranche
Es mangelt an Sand. Mittlerweile nahezu überall. Diese Tatsache erschüttert die Bauwirtschaft weltweit in ihren vermeintlich festen Fundamenten. Die Ursache dafür heißt Beton. Denn: Stahlbeton besteht zu einem Drittel aus Zement und zu zwei Dritteln aus Sand. Ohne Sand kein Beton, und ohne Beton würde das globale Gebilde der Bauwirtschaft laut knackende Risse bekommen. Der weltweite Bauboom sorgt weiterhin für eine ungebrochene Nachfrage nach Beton. Sand ist somit begehrter denn je– aber es ist nicht der Wüstensand, der in den Immobilien verbaut wird, sondern es muss Meeressand sein, da dieser eine andere Oberflächenbeschaffenheit aufweist. Wüstensand eignet sich durch seine zu glatte Struktur nicht für den Bau. Durch den ständigen Wüstenwind scheuern die Sandkörner aneinander und reiben sich ab– die leicht eckige Oberfläche, die für eine gute Verbindung zwischen Zement und Sandkörnern sorgt, geht dabei verloren. Somit lockt der Meeressand. Besonders Singapur als einträglicher Sandabnehmer profitiert vom Sandexport armer Länder. Schließlich platzt der Staat aus allen Nähten und ist auf Landvergrößerung durch Aufschüttung dringend angewiesen. Auch Dubai gehört zu den weltweit größten Sandimporteuren. Da ist es nicht verwunderlich, dass der illegale Sandabbau an den Küsten und im Meer einen neuen Höhepunkt erreicht. Problematisch dabei ist, dass die bereits knappen natürlichen Sandvorkommen durch Raubbau und flächendeckende Ausbeutung stetig weiter minimiert werden.
Kein Sand mehr in Europa
Sand war früher vor allem in Flussbetten oder Kiesgruben reichlich vorhanden, doch diese natürlichen Quellen können nicht mehr abgeschöpft werden. Die Böden in Europa und im Nahen Osten (samt der Arabischen Halbinsel) sind „sandleer“. So ist es nur eine logische Konsequenz, dass unter dem weltweiten Baudruck die Ausweitung der „Sand-Quellmärkte“ auf die Küsten- und Meeresgründe Indiens, Vietnams, Kambodschas oder Indonesiens erfolgt. Von dort kann der endliche Rohstoff Sand relativ günstig in reichere Länder importiert werden. Nun boomt die Kriminalität, und die Bedingungen für Korruption könnten nicht günstiger sein.
Sand-Mafia: Illegaler Raubbau an unberührten Stränden
Indiens Bauwirtschaft beispielsweise unterliegt dem strikten Regiment der lokalen Sand-Mafia, die den illegalen Sandabbau professionalisiert hat. Die Sand-Mafia, eine äußerst mächtige und gut organisierte Form der indischen Mafia, reicht vom einfachen Arbeiter bis hin zu hohen Beamten oder einflussreichen Politikern– sie ist überall und doch nirgendwo. Der Sandraub verläuft oft nach folgendem Schema: Über Nacht fallen Arbeiter wie Heuschrecken ein und plündern die noch unberührten Strände. Zurück bleiben riesige, von Baggern eingekerbte Löcher– was Gegenreaktionen hervorruft. Vietnam und Indonesien bräuchten zwar die Einnahmen durch den Export von Sand, haben aber trotzdem bereits ein Veto gegen den Sandabbau eingelegt: Zu groß sind die bereits entstandenen Schäden an Flora und Fauna. Dies hindert die mächtige Sand-Mafia jedoch nicht daran, weiter im Verborgenen Sand zu schürfen. Der Schmuggel erlebt eine neue Blütezeit.
Absaugen des Meeresbodens und Überflutung von Inseln
Als effiziente Hilfsmittel zum Sandabbau haben sich im Übrigen speziell ausgebaute Schiffe, die den Meeresboden nach dem „Staubsauger-Prinzip“ bearbeiten, erwiesen. Dabei werden riesige Sandmassen an die Oberfläche befördert– doch nicht nur diese, auch Korallen, Fische und jegliches Getier im Sand enden im Sog der Schiffe. Als Folge davon veröden ganze Unterwasserlandstriche. Auch Küsten leiden unter der exzessiven „Sandabbaupolitik“. Jene Löcher, die in den küstennahen Meeresgrund gegraben werden, verursachen ein Absinken der Landstriche oberhalb des Meeresspiegels. Indonesien ist hier sehr massiv betroffen. 83 Inseln seien konkret in Gefahr, einige mussten bereits evakuiert werden bzw. seien überhaupt von der Landkarte verschwunden, erklärt Nur Hidayati von Greenpeace Indonesien. Nicht nur das Ökosystem sei bedroht, sogar Meeresströmungen könnten sich durch den Sandabbau verändern. Die Folgen davon sind keinesfalls auf Indonesien beschränkt. Auch Mauritius sinkt aufgrund des illegalen Sandabbaus weiter ab. Und in Marokko baue die Mafia „rund 45% der Sandstrände ab“, hieß es auf Arte, dem Fernsehsender, der in einer umfassenden Dokumentation „Sand– Die neue Umweltzeitbombe“ ein detailliertes Bild des länderübergreifenden Sandraubs aufzeigte.
Auf Sand gebaut: Bauprojekte der Superlative
Dass der Sandabbau künftig gemäßigter verlaufen wird, ist nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Jedes Jahr wird Sand kostbarer. 70 Milliarden US-Dollar jährlich beträgt das offizielle Handelsvolumen von Sand. Und da der Sand knapper wird, steigen die Preise. Angetrieben durch das starke Wachstum Singapurs, Dubais oder Abu Dhabis wird es in den nächsten Jahrzehnten weiterhin kauffreudige Abnehmer geben. Und es wird viel Sand benötigt. Singapur allein hat durch Landaufschüttungen 130 Quadratkilometer Fläche hinzugewonnen. Bis 2030 sollen weitere 100 dazukommen. Auch Dubai als Top-Abnehmer von australischem Sand lockt mit allzu lukrativen Bauvorhaben. Das Projekt „Palm Island“ kostete im Rohbau rund 1,5 Milliarden US-Dollar und 150.000 Tonnen Sand. Ein weiteres Projekt gigantischen Ausmaßes– „The World“– mit rund 300 Inseln verschlang sogar 14 Milliarden US-Dollar und 500 Millionen Tonnen Sand. Doch sprechen wir von überschaubareren Dimensionen.
Zwei Tonnen Beton pro Person
Auch der Normalverbraucher benötigt Sand zum Leben. Rund 200 Tonnen Sand sind für ein mittelgroßes Haus, rund 30.000 Tonnen Sand für einen Kilometer Autobahn notwendig, ein Atomkraftwerk verschlingt gar zwölf Millionen Tonnen. Der britische Geologe und Sand-Experte Michael Welland meint, es werden pro Jahr und Erdbewohner derzeit zwei Tonnen Beton produziert. Dies entspreche zehn bis 15 Milliarden Tonnen Sand, die jährlich der Natur entrissen werden.
Sandschwund durch weltweite Verbauung
Als ernste Bedrohung globaler Sandressourcen ist aber keinesfalls nur die Baubranche zu betrachten. Auch die weltweite Verbauung und Besiedelung der Küstenstreifen und die Regulierung von Flussbetten führen dazu, dass immer weniger Sand aus dem Landesinneren ans Meer gespült werden kann. So gelangen kaum noch genügend Sandpartikel an den Strand. Die Rhône in Frankreich und der Ebro in Spanien transportieren heute vergleichsweise 20-mal weniger Sedimente ans Meer als im Jahr 1950. Die küstennahe Verbauung sorgt zudem für eine Veränderung des Wellengangs. Jene Sandkörner, die aus dem Landesinneren an den Strand gespült werden, können dort nicht lange liegen bleiben, sondern werden in kürzester Zeit von den Wellen davongespült. Weiße Strände erodieren, weichen einer steinigen Landschaft.
Steinige Küstenstreifen statt weißer Sandstrände: Badetourismus in Gefahr?
Das hat für den Tourismus enorme Folgen. Um dem Badetourismus keinen Abbruch zu tun, investieren das spanische Marbella und etwa auch der kalifornische Venice Beach in massive Aufschüttungsprojekte– mit zweifelhaftem Erfolg. Schließlich erodieren aufgeschüttete Strände bis zu zehnmal schneller als natürliche. Sandpartikel bleiben nicht am Strand haften, sondern werden von den Meereswellen einfach weggewaschen. Durch ihr geringes Gewicht kommt es zu einem Phänomen, das unter Naturschützern für hitzige Gemüter sorgt. Die Sandpartikel sinken nicht auf den Meeresgrund ab, sondern bleiben an der Wasseroberfläche oder haften auf Korallenbänken. Dies führt zu einer Trübung des Meereswassers bzw. zum Ersticken der Korallen. Sandschwund ist allerdings kein Problem, das nur die für den Massentourismus geschaffenen Badehotspots Spaniens, Marokkos oder Dubais betrifft. Sandschwund kommt in allen Ländern mit direktem Meereszugang vor, so zum Beispiel auch an der Nordsee in Deutschland.
Neue Methode: Beton-Recycling
Gibt es eine Möglichkeit, etwas zu einer sandreichen Zukunft beizutragen? Ja, es gibt eine, wenn auch nach wie vor sehr kostspielige Möglichkeit des Beton-Recycelns: Durch die Zerkleinerung von Steinen kann künstlich Sand hergestellt werden. In Anbetracht der trotz günstiger Beschaffungsmöglichkeiten relativ hohen Kosten wird sich dies jedoch weltweit eher kaum durchsetzen. Doch wie heißt es so schön? Die Hoffnung stirbt zuletzt. So bleibt die Hoffnung, dass Badeerlebnisse an goldenen Stränden in Italien oder in den weißen Buchten der Karibik nicht zu wehmütigen nostalgischen Erinnerungen an verlorene Paradiese werden.