In Österreich hatten im Jahr 2011 bereits 55% der Bevölkerung ihren Wohnsitz in einer der 73 Städte mit mehr als 10.000 Einwohnern, und der Trend zum Zuzug in die Stadtgebiete hält weiter an. Für Wien musste die Wachstumsprognose sogar verdoppelt werden: Rund 16.000 Personen beträgt hier der jährliche Wachstumsüberschuss, mit einer baldigen Abflachung ist nicht zu rechnen.
Ähnliches gilt für Graz– der Prozess der Verstädterung kennzeichnet somit eindeutig die Siedlungsentwicklung der letzten Jahrzehnte. Dieser Trend ist einerseits aufgrund der steigenden Attraktivität des Lebens in den Städten positiv zu bewerten, andererseits bringt er natürlich immense Herausforderungen für die Stadtentwicklungen mit sich, wie Verdichtung, Verkehrszunahme, Ansprüche an öffentliche Infrastrukturen und soziale Einrichtungen. Die Stadtplaner sind gefordert, diese Entwicklung zu begleiten, vorausschauend zu lenken und so zu organisieren, dass trotz des beinahe explosionsartigen Wachstums die Lebensqualität in den Städten aufrechterhalten wird.
Lebensqualität im Fokus
Nachhaltige Planung heißt für die Zukunft planen, und Österreichs Städte sind hier eindeutig zu den globalen Vorreitern zu zählen, wie unter anderem die Auszeichnung Wiens als lebenswerteste Stadt der Welt (2011 und 2012) eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat. Und dies zeigte sich einmal mehr, als vor einigen Jahren der Begriff „Smart City“ in die Fachsprache Einzug hielt. Mit Unterstützung der Ausschreibungen des Klima- und Energiefonds entwickelten zahlreiche Städte in Österreich smarte Konzepte für ihre Stadtentwicklung (www.smartcities.at). Das bedeutet, dass sie sich einerseits dem schonenden Umgang mit unseren Ressourcen (Energie, Boden etc.) verschrieben haben und andererseits energieeffizienten Planungen und Projekten den Vorrang geben– dabei aber auch die Lebensqualität der Bevölkerung im Fokus haben.
Nachhaltige Stadtentwicklung
Hinter Projekttiteln wie Villach Vision 2050, Linz 2050, Smart City Bruck/Mur, Active Innsbruck, I live Graz, Amstetten 2020+, €CO2-City Klagenfurt, Green Network Leoben, iENERGY Weiz-Gleisdorf oder Città Slow Hartberg stehen Konzepte zur Verbesserung der Energienetze (sogenannte Smart Grids), der Kommunikation und Information, der Mobilität und auch der Stakeholderprozesse, um mehr Bürgerinnen und Bürger in diesen Vorgang nachhaltiger Stadtentwicklung einzubeziehen. Im Bereich der Gebäudesanierung sind besonders die Gründerzeithäuser aufgrund von Denkmalschutzauflagen und ihrer Fassadengestaltung eine Herausforderung, der man sich unter anderem im Projekt GUGLE Vienna widmet.
Graz verwirklicht Pilotprojekt
Die Stadt Graz überzeugte 2012 mit ihrem zukunftsweisenden Pilotprojekt „Smart City Project Graz-Mitte“. Bis zum Jahr 2016 soll westlich des Grazer Hauptbahnhofs ein energieoptimierter integrierter Stadtteil fertiggestellt werden, der für die Umsetzung innovativer urbaner Energietechnologien steht. Mit dem Projekt hat die Stadt Graz gemeinsam mit Partnern aus Wirtschaft und Forschung ein Konzept für die Entwicklung eines zukunftsfähigen integrierten Stadtteils vorgelegt, das demonstrieren soll, wie Urbanität und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen können. Das „Smart City Project Graz-Mitte“ demonstriert die Anwendung neuer urbaner Energietechnologien im Umfeld einer innovativen Stadtentwicklung. Das derzeit sehr heterogene und unterschiedlich genutzte Stadtquartier in unmittelbarer Nähe zum Grazer Hauptbahnhof wird zu einem Areal, das durch neueste Energietechnologien in einen umweltfreundlichen, lebenswerten und intelligenten sowie eigenständig Energie produzierenden Stadtteil verwandelt werden soll. Das Demonstrationsprojekt ist ein erster Baustein zur Entwicklung eines „Smart City-Quartiers“ im Umfang von rund 13 Hektar, das gesamte Zielgebiet umfasst mehr als 400 Hektar.
Energieautarker Stadtteil
Ein pulsierender, funktionsdurchmischter Stadtteil mit geringsten bis gar keinen CO2-Emissionen und niedrigem Ressourcenverbrauch soll die Marktfähigkeit der neuen Technologien beweisen. Dabei spielen nicht nur die Themen erneuerbare Energie, Energienetze und Gebäudetechnologien eine zentrale Rolle, das Projekt zielt auch auf „grüne“ Mobilität und soziale Durchmischung ab und lädt die Bewohner gezielt zur Mitwirkung an ihrem Stadtteil ein. Von der urbanen Solarstromerzeugung über integrierte Gebäudefassaden bis hin zur Errichtung einer Wohnanlage mit etwa 80 Wohneinheiten umfasst das Pilotprojekt sämtliche ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekte, die es bei der Entwicklung eines smarten Stadtteils zu berücksichtigen gilt. Besonderes Augenmerk wird auf Maßnahmen zur nachhaltigen Mobilität gelegt: So soll auch eine Flotte von Elektro- und Hybridfahrzeugen den Bewohnern und Nutzern zur Verfügung stehen. Zudem sollen die Menschen durch gezieltes Mobilitätsmanagement motiviert werden, so weit wie möglich auf das Auto zu verzichten. Wahrzeichen der Smart City soll der 40 Meter hohe „Windvulkan“ werden, ein Auftriebskraftwerk, in dem heiße Luft eine Turbine antreibt, die Strom erzeugt.
Neue Mobilitätsformen
Der Autoverkehr in seiner heutigen Dimension wird immer mehr von neuen Mobilitätsformen abgelöst. Multimodalität ist das Stichwort für die Bemühungen, neue Mobilitätsstandards zu setzen. Auch hier kann man bereits viele neue Entwicklungen und Erfolge verzeichnen.
Carsharing erfreut sich innerstädtisch großen Zulaufs: In Salzburg beispielsweise hat REWE gemeinsam mit dem Energieversorger Salzburg AG am 1. März 2012 das Projekt EMIL ins Leben gerufen. EMIL ist österreichweit das erste Carsharing-Projekt mit Elektroautos. Bereits im ersten Monat konnten mit 40 Autos 800 Fahrten durchgeführt werden, und über 300 Kunden haben sich registrieren lassen. Dieser Erfolg übertraf alle Erwartungen– gerechnet hat man mit 50 bis 70 Anmeldungen im ersten Monat. Die EMIL-Autos stehen auf öffentlichen Plätzen, auf Parkplätzen der Salzburg AG und bei Märkten der REWE-Group.
Carsharing Öffis
Neben der zunehmenden Etablierung von Carsharing wurde in Wien dieses Jahr ein neuer Rekord bei der Nutzung des Öffentlichen Verkehrs (ÖV) verzeichnet. Dabei kommen auch neue Elektrobusse zum Einsatz (Wien), oder es werden die Straßenbahnen in das Umland weitergeführt (Linz, Innsbruck). Weil der Ausbau und die Attraktivierung des ÖV zwar ein wichtiger Faktor, aber auch ein teures und langfristiges Unterfangen ist, setzen viele Städte auf den Radverkehr als ressourcenschonendes, gesundheitsförderndes Verkehrsmittel. Städte wie Innsbruck weisen bereits einen überdurchschnittlich hohen Radverkehrsanteil auf, andere– wie zum Beispiel die Città Slow Hartberg, die den höchsten Pendleranteil der Steiermark aufweist– investieren in den Ausbau der Radverkehrsnetze, die einen bedeutenden Baustein einer nachhaltigen Stadtentwicklung darstellen.
Stadtentwicklung stellt Weichen für morgen
Städte haben die Möglichkeit, sich neuen Anforderungen anzupassen, indem sie Entwicklungsprogramme, Flächenwidmungs- und Bebauungspläne vorgeben. Derzeit wird beispielsweise das 4. Stadtentwicklungskonzept (STEK) der Stadt Graz erstellt, das eine klare Strategie vorgibt: kein Flächenwachstum nach außen, Erhaltung des Grüngürtels, Fokus auf Innenentwicklungen (Flächenrecycling, Nachverdichtung), enge wechselseitige Ausrichtung von Öffentlichem Verkehr und Siedlungsentwicklung. Das Grazer STEK findet übrigens auch im Österreichischen Baukulturreport Erwähnung. Bemerkenswert dabei ist der breite politische Konsens– alle Fraktionen tragen diese Strategie mit.
In der Stadt Salzburg ist im Bebauungsplan die Art der Energieverwendung vorgeschrieben, und auch bei der Inanspruchnahme einer Wohnbauförderung müssen die Bauträger Auflagen erfüllen. Ein anderes Instrument ist zum Beispiel der Solarflächenkataster, den immer mehr Städte erstellen. Und nicht zuletzt leisten die Stadtgartenämter einen bedeutenden Beitrag für die nachhaltige Entwicklung einer Stadt. Die Verwirklichung solch umfangreicher Projekte bedeutet für Städte enorme Kosten. Moderne Stadtentwicklung ist teuer, daher bewerben sich Städte um nationale Fördermittel (etwa Klima- und Energiefonds). Neben zahlreichen Vorgaben, wie die Reduktion von mit herkömmlichen Kraftstoffen betriebenen Fahrzeugen auf null bis 2050, hat die EU daher auch Fördermittel für eine nachhaltige, integrative Stadtentwicklung vorgesehen und fordert, dass mindestens 5% der Mittel aus den Strukturfonds für die Jahre 2014 bis 2020 in entsprechende Maßnahmen fließen.