Sommerliche Temperaturen bringen die Bewohner jeder Stadt wieder auf die Straßen. Das Modell sogenannter „Pedestrian Villages“, die nahezu autofrei konzipiert sind, soll jetzt auch wieder in Wien umgesetzt werden. Im Sinne des „New Pedestrianism“ sollen neue Fußgängerzonen und Shared-Space-Bereiche auf der größten Einkaufsstraße innerhalb des Gürtels– der Mariahilfer Straße– den Fußgängern und Radfahrern in Zukunft mehr Raum geben. Konkret wird es am Anfang und am Ende der Mariahilfer Straße sogenannte „Begegnungszonen“ geben, die Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer gleichberechtigt Platz schaffen sollen. Zwischen der Kirchengasse und der Andreaskirche wird es eine neue Art von Fußgängerzone geben, wo auch mit dem Rad gefahren werden darf.
Das neue Konzept wurde durch eine erst kürzlich erfolgte Reform in der Straßenverkehrsordnung möglich gemacht, wodurch es Fußgängern, Radfahrern und Autofahrern nun erlaubt ist, den gesamten Straßenbereich gleichberechtigt zu nützen– allerdings bei einer Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h. Weiterhin unklar ist, ob die Begegnungszonen auf ein einheitliches Niveau gebracht werden sollen oder Gehsteige bestehen bleiben. Die Mariahilfer Straße soll der erste Shared-Space-Bereich in Wien werden, der den Vorzeigeprojekten in den Niederlanden nachempfunden ist und in seiner Art schon in mehreren Gemeinden Österreichs getestet wurde.
Der Bereich zwischen Kirchengasse und Andreaskirche wird mit einer anderen, kreativen Beschilderung versehen, wobei zwar Radfahren (in angepasster Geschwindigkeit) erlaubt, aber Autofahren verboten ist. Bereits im Sommer soll die Umsetzung starten; erste Umbauten auf der Straßenoberfläche werden im Frühjahr 2014 beginnen.
„Pedestrian Villages“ stellen die Fußgänger in den Vordergrund
In Anlehnung an frühere Experimente mit urbanen Designs wurde 1999 der „New Pedestrianism“ vom amerikanischen Künstler und Zukunftsforscher Michael E. Arth ins Leben gerufen. Die neue Fußgängerkultur hat seine Wurzeln in den amerikanischen Mixed-Use-Vierteln des 20. Jahrhunderts und fokussiert sich auf die Trennung von Fußgängern und Autofahrern. Dabei sollen Lösungen für verschiedene soziale, gesundheitliche und energierelevante Probleme gesucht werden und der Stellenwert von Autos in den Hintergrund rücken. Viertel und Städte, die sich am „New Pedestrianism“ orientieren, werden „Pedestrian Villages“ genannt, die von durchgängig autofreien Orten bis hin zu Varianten mit Parkplätzen hinter jedem Haus reichen.
Um den Gedanken des „New Pedestrianism“ weiterzutragen, muss die traditionelle Straßengestaltung überdacht werden: Dafür werden die Fußgänger mehr in den Mittelpunkt gerückt und Gehwege vor den Häusern und Geschäften konzipiert. Durch den Wegfall klassischer Verkehrsstraßen können die gewonnenen Flächen zum Beispiel mit begrünten Alleen versehen werden, die mehr Platz für „grüne“ Fortbewegungsmittel bieten. Die Vorteile solcher „Pedestrian Villages“ liegen auf der Hand: Die Maßnahmen verursachen weniger Schmutz, Lärm und Geruch, lassen Fußgängern und Radfahrern mehr Raum, und auch die Bebauung an sich wird neu erfahrbar.
Projekte im Stil des „New Pedestrianism“ wurden beispielsweise für Kisima Kaya– einer neuen Stadt in Kenia– oder das Tiger Bay Village in Florida vorgeschlagen. Damit soll etwa den Obdachlosen in den Gegenden geholfen werden, indem neue Stadtteile entstehen, die heruntergekommene Viertel wieder aufwerten. Zu den bekanntesten realisierten Beispielen zählt das kalifornische Venice. In der Strandgemeinde in Südkalifornien wurden um 1905 „Gehstraßen“ in einigen Blöcken in Strandnähe gebaut. Die Häuser lagen an ein bis drei Meter breiten Gehzonen. Schmale Gassen im hinteren Bereich waren für Autos und Parken vorgesehen. Die Kanäle in Venice wurden in demselben Zeitfenster gebaut und wurden ebenso wie die Gehwege vor den Häusern angeordnet.