Logistikimmobilien waren die großen Gewinner der Pandemie, und sie stehen weiterhin im Fokus. Mieter und Investoren suchen sie in ganz Europa. Aber ganz so einfach ist es nicht, denn „gestörte Lieferketten, hohe Grundstückskosten, steigende Baupreise und Flächenknappheit sind aktuell die bedeutendsten Faktoren, die das Geschehen auf dem Vermietungsmarkt prägen“, sagt Nicolas Roy, Head of Industrial & Logistics Germany bei Colliers. Die Veränderung der Lieferketten aufgrund des Ukraine-Kriegs und der chinesischen Null-Covid-Politik zwingen Unternehmen, nach Möglichkeiten zu suchen, die Produktion näher an den Verkaufsort zu bringen und die Lagerbestände zu erhöhen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Näher zum Konsumenten
Die aktuellen Vermietungstätigkeiten in Europa deuten darauf hin, dass Logistikmieter als Reaktion auf die steigende Nachfrage ihre Lieferketten umstrukturieren und ihre Standorte näher an die Verbraucher verlegen. Insbesondere in der Nähe von Großstädten hält die günstige Vermietungsdynamik an, „da diese Regionen aufgrund ihrer relativ dichten Bevölkerungsstruktur am stärksten von den Anforderungen des E-Commerce profitieren“, meint Peter Hayes, Global Head of Investment Research bei PGIM Real Estate: „Unserer Einschätzung nach ist der Bedarf an städtischen Logistikflächen aufgrund des E-Commerce-Umsatzes in den letzten Jahren drastisch gestiegen.“ Daher gab es auch den stärksten Aufschwung bei Objekten mit einer Fläche von weniger als 10.000 Quadratmetern – also im Wesentlichen bei Standorten, die für den Vertrieb der letzten Meile genutzt werden. In vielen Großstädten wie London, Paris, Berlin, Mailand und Barcelona wurde ein sprunghafter Anstieg des städtischen Logistikinvestitionsvolumens verzeichnet. Jan Dietrich Hempel, Geschäftsführer von Garbe Industrial Real Estate, über die veränderte Marktsituation: „Durch die Flächenverknappung werden nun auch B- und C-Standorte nachgefragt. In Summe ist aber sehr deutlich zu sehen, dass sich der Logistikimmobilienmarkt auch weiterhin sehr robust entwickelt und für Investoren europaweit attraktiv bleibt.“
Die Mieten steigen
„Seit dem Ende des zweiten Halbjahrs 2021 sind die Mieten in 122 betrachteten europäischen Logistikregionen um durchschnittlich 20 Cent pro Quadratmeter gestiegen“, heißt es im Marktbericht von Garbe Industrial Real Estate. Tobias Kassner, Leiter Research und Mitglied der Geschäftsleitung: „In Deutschland forcieren der anhaltende Flächenmangel und die weiterhin hohe Nachfrage das Mietpreiswachstum immens.“ Die durchschnittliche Spitzenmiete ist in Deutschland seit Ende des zweiten Halbjahrs 2021 um 20 Cent pro Quadratmeter und Monat gestiegen, in den sieben Topmärkten sogar um 40 Cent. Ähnlich die Situation in Österreich beziehungsweise in Wien. „Bei den Einstiegspreisen im Neubaubereich sehen wir eine Erhöhung in allen Submärkten um durchschnittlich 5,7 Prozent, bei den Maximalpreisen um 5,6 Prozent“, sagt Patrick Homm, Leiter des gewerblichen Maklerteams bei OTTO Immobilien: „Die höchsten Mieten für Neubauobjekte werden in den Submärkten Wien-Süd und Wien-Nord gezahlt.“ So ist etwa die Spitzenmiete im Submarkt Wien-Süd auf aktuell 7,50 Euro pro Quadratmeter gestiegen. Nicht nur die Nachfrage ist für die stark gestiegenen Preise verantwortlich. „Hauptgrund ist der eklatante Mangel an modernen beziehungsweise generell verfügbaren Logistikflächen im Raum Wien und Umgebung“, so Patrick Homm. Deshalb liegt die Vermietungsleistung bei lediglich 39.313 Quadratmetern, ein Minus von 16 Prozent gegenüber dem bereits schlechten ersten Halbjahr 2021.
Blick in die Zukunft
Ein Ausblick auf die Zukunft macht deutlich, dass mit der zunehmenden Online-Durchdringung ein weiterer Anstieg des Flächenbedarfs zu erwarten ist, selbst wenn sich das reale Wachstum der Haushaltsausgaben in diesem Jahr verlangsamt.
Laut Garbe Industrial Real Estate bleibt die Nachfrage nach Logistikflächen anhaltend hoch. Vor allem das Haupt- oder Kerngeschäft hat eine hohe Flächennachfrage generiert, die durch weitere Potenziale aus den Bereichen Inshoring (Verlagerung von Standorten aufgrund veränderter nachteiliger Rahmenbedingungen im eigenen Land), Reshoring (Rückverlagerung des Unternehmens vom Schwellenland in das Ursprungsland) und Nearshoring (Verlagerung des Geschäftsbetriebs in ein nahe gelegenes Land) wie auch E-Commerce und erhöhte Lagerhaltung verstärkt wird.
In Deutschland, Frankreich und anderen kontinentaleuropäischen Märkten wird diese Entwicklung am stärksten ausgeprägt sein, da hier Online-Käufe ausgehend von einem geringen Niveau derzeit rasch ansteigen.