Barrierefreier Wohnraum ist weiterhin echte Mangelware und ganz ohne Kompromisse geht es kaum; mit den Kriterien zentral gelegen und ohne Hürden zu benützen ist auch in Wien fast nicht zu finden. Wird doch einmal eine Immobilie als barrierefrei am Markt angeboten, dann wird sie dieser Bezeichnung oftmals nicht wirklich gerecht. So mancher Immobilienmakler hat den Begriff der Barrierefreiheit schon für sich und seine blumigen Exposees entdeckt– leider nicht immer zum Nutzen der Betroffenen und nicht selten ohne die notwendige Sachkenntnis und Empathie für die Hilfe suchenden Kunden. Die Materie ist für den Laien zu komplex und die Auswahl einer geeigneten Immobilie, die sich für eine barrierefreie Adaptierung eignen sollte, aus meiner Sicht kein „do it yourself job“. Nur gute Beratung und die Kenntnis der wohnrechtlichen Rahmenbedingungen können hier einen Ausgleich schaffen.
Ein massiver Irrtum
Doch was bedeutet überhaupt Barrierefreiheit? Für wen ist Barrierefreiheit von Nutzen? Und welche Kriterien sollten diese Immobilien erfüllen, damit sich ihre Bewohner in ihnen wohlfühlen? Barrierefreiheit ist das Gegenteil von Ausgrenzung und gleichzusetzen mit Chancengleichheit, intelligenter Planung, Vielfalt, Freiheit sowie zusätzlichem Wohnkomfort und bedeutet nicht zwangsläufig behindertengerecht. Aus diesem Irrglauben heraus denken scheinbar nach wie vor viele Wohnungsvermieter, Immobilienverwalter, Bauträger und institutionelle Immobilienbesitzer, es handle sich um ein vernachlässigbares Randgruppenthema für eine ohnehin auch finanziell weniger betuchte und daher für sie uninteressante Zielgruppe im Rollstuhl. Ein massiver Irrtum, wie ich meine. Bei Kenntnis der statistischen Daten und der demographischen Entwicklung ist die barrierefreie Immobilie wirtschaftlich sinnvoll und zeitgemäß und wir können es uns in Österreich einfach auch nicht mehr leisten, nicht barrierefrei zu planen, zu bauen und vorhandene Immobilien entsprechend zu adaptieren.
Die Zielgruppe ist umfassend
Auch der Gesetzgeber hat schon erkannt, dass es die soziale und gesundheitliche Entwicklung notwendig macht, sich mit der Frage zu befassen, wie ältere und alte Menschen abseits von Pflegeheimen adäquat ihren Lebensabend verbringen können, und hat dafür im Jahr 2006 sogar die sogenannte Seniorenwohnung als neue Lebens- und Wohnform im Mietrechtsgesetz verankert. Die Zielgruppe sind in Wirklichkeit und in Zukunft Menschen im Alter von 50 bis 60 Jahren, durchaus gut verdienend, die einen letzten Umzug tätigen, nachdem die Kinder aus dem Haus sind. Skandinavien ist hier wie in so vielen gesellschaftlichen Bereichen Trendsetter: Schon 1985 hat etwa der schwedische Reichstag beschlossen, alle Pflegeheime durch einen Aufnahmestopp schrittweise aufzulösen. Sie glauben gar nicht, wie viele Menschen ich in meinen 15 Jahren als Physiotherapeut zu Hause in ihren vier Wänden durch sinnlose und leicht zu beseitigende Barrieren eingesperrt gesehen habe und diese Menschen daher von der selbstständigen Bewältigung ihres Alltags und der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen waren. Auf das ganze Land hochgerechnet wage ich eine grobe Schätzung von mindestens 30% der Bevölkerung. Die pflegenden Angehörigen gar nicht mitgerechnet. Heute weiß ich, dass Mobilität und würdevolle Selbstbestimmung nur in Kombination mit intelligenten barrierefreien Immobilien erzielbar sind. Bei uns hat daher der Slogan eines schwedische Möbelhauses– „Wohnst Du noch oder lebst Du schon?“– immer noch eine traurige Berechtigung.
Worauf ist zu achten?
Denken Sie aber ruhig auch an junge Eltern mit Kinderwagen oder Kinder tragend und mit Einkaufssackerln beladen oder an den nach einer Sportverletzung kurzfristig gehandicapten Sportler. Stichwort: Generationenimmobilie, universelles Design für alle, damit gebaute Immobilien für alle Menschen besser zugänglich werden. Barrierefreiheit lässt sich vereinfacht auf folgende Grundprinzipien reduzieren und ist daher für jeden nützlich: Die Immobilie soll komfortabel, sicher und mühelos benutzbar sein. Ein stufenloser, ebener Zugang in den gesamten Wohnbereich ist dafür die Voraussetzung. Der völlige Verzicht auf Schwellen wäre im Interesse aller Menschen, die auf Rollstuhl, Krücken, Rollatoren oder ähnliche Gehhilfen angewiesen sind. Die Durchgangsbreite von Türen muss zwischen 80 und 100 cm liegen. Ein Bewegungsspielraum von 150 cm in strategischen Bereichen– das entspricht dem Bewegungsradius eines Rollstuhls– ist ein weiteres Kriterium. Bedienelemente wie Schalter, Griffe und Hebel müssen in einer erreichbaren Höhe von 85 bis 100 cm sein. Türöffner, Heizkörperventile, Sicherungskästen und Briefkästen dürfen sich maximal 120 cm hoch befinden. Steckdosen sollten mindestens 50 cm Abstand vom Boden haben. Kontrastierende Farben oder kontrastreiche Tönungen verbessern die Raumwahrnehmung und vermindern so das Verletzungsrisiko für die große Gruppe der Sehbeeinträchtigten. Installationen und Leerverrohrungen sollten ebenfalls großzügig vorausschauend eingeplant werden, um bei Bedarf keine teuren Nachverrohrungen durchführen zu müssen. Insbesondere Badezimmer und WCs müssen in Bezug auf eventuell zu einem späteren Zeitpunkt fallende Wände intelligent geplant werden: Wände sollten daher keine Installationen enthalten sowie auf fertigem Bodenbelag stehen.
Kompetente Hilfe in Wien
Kompetente Hilfe bei diesen technischen Belangen bietet in Wien auch die MA 25 sowie österreichweit der Verein „design for all“. Und es ist erfreulicherweise (auf Druck der EU?) politischer Wille erkennbar: Das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz verpflichtet Anbieter von Waren und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, diese ab spätestens 31.12.2015 praktisch barrierefrei anzubieten. Dazu zählen neben vielen anderen Dienstleistern wie Physiotherapeuten natürlich auch die explizit im Gesetz erwähnten Apotheker und Ärzte. Verwunderlicherweise und für die letztgenannte Berufsgruppe höchst unangebracht torpediert gerade deren Standesvertretung dieses Gesetz und fühlt sich nach jüngster eigener Rechtsansicht davon nicht betroffen. Leider ein trauriges Beispiel fehlender Empathie für die eigene Kundschaft und für langfristige Entwicklungen! Es ist davon auszugehen, dass ärztliche Kassenverträge künftig nur noch bei barrierefreien Ordinationsräumlichkeiten und barrierefreiem Zugang zu diesen Räumlichkeiten vergeben werden. Ich rate daher meinen Kunden aus der Ärzteschaft, aber auch allen anderen Dienstleistern, diesen positiven Trend zu nutzen und den zahlreichen Klienten entgegenzukommen.
Abschließend: Passen wir Immobilien dem Menschen an und nicht umgekehrt! Und investieren Sie schon jetzt in die zukunftsträchtige barrierefreie Immobilie!