Wie gut ist die Bau- und Immobilienwirtschaft für die Herausforderungen der Zukunft gewappnet?
Susanne Eickermann-Riepe: Die Branche ist weiterhin zu langsam bei der Digitalisierung. Dadurch ist auch der Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Potenziale, die etwa in der künstlichen Intelligenz liegen, nicht sehr groß. Ich versuche das immer, an einem Beispiel deutlich zu machen. Wenn man sich die Finanzdaten ansieht, die heute erhoben, testiert und für Analysen verwendet werden, dann handelt es sich dabei um ein sehr akkurates Zahlenwerk. Bei nicht finanziellen Daten ist das nicht der Fall. Da müssen wir noch viel lernen, weil ab dem nächsten Jahr große, börsennotierte Unternehmen ihre finanziellen und nicht-finanziellen Reports miteinander kombinieren. Und es muss ausgewiesen werden, welcher Teil des Geschäfts nachhaltig sein kann und welcher bereits nachhaltig ist. Es braucht viel Know-how, um zu wissen, was ESG-relevant ist und was nicht. Alle Daten müssen in Zukunft dieses digitale Merkmal in sich tragen. Die KI kann dabei helfen, sogenannte synthetische Datenpakete zu erstellen, die etwa aus dem Baujahr, der Nutzung und den Quadratmetern abgeleitet werden können. Schon seit einigen Jahren kann man Portfolios durch einige Jahrzehnte laufen lassen, um zu sehen, wie sich ein Portfolio über die Jahre entwickelt hat. Aber sehr viel weitergekommen sind wir seither nicht.
Können Sie sich erklären, warum die Branche hinterherhinkt? Die Bau- und Immobilienbranche sorgt für jede Menge Daten, was eine ideale Basis für die KI wäre.
Der Boom der letzten Jahre hat dazu geführt, dass man diese Daten nicht zwingend brauchte, man konnte seine Objekte auch so verkaufen und der Käufer hat die nötigen Daten selbst ermittelt. Jedes Gebäude wird im Laufe seiner Nutzungsdauer zigmal datentechnisch erfasst. Aber nur selten macht sich jemand in diesem Prozess die Mühe, diese Daten zu erhalten und fortzuschreiben. Jetzt ändern sich aber die Rahmenbedingungen, weil diese Daten zum Standard werden und wer sie nicht liefern kann, wird Abzüge in Kauf nehmen müssen, weil der Investor die Daten für die Due Dilligence braucht. Schön wäre eine Regel, dass jedes Gebäude einen digitalen Zwilling haben muss. Würden fehlende Daten zu Abwertungen führen, wäre mehr Druck in der Branche und wir wären deutlich schneller am Ziel.
Sie haben es angesprochen. In den Boomzeiten war die Notwendigkeit durchgehender Daten nicht dringend nötig. Jetzt hat die Branche eine Vollbremsung hingelegt. Normalerweise verlaufen wirtschaftliche Zyklen viel langsamer. War es für die Branche nicht unglaublich schwierig, sich von einem Tag auf den anderen auf neue Rahmenbedingungen einzustellen?
Ich bin da nicht so nachsichtig. Wir wissen spätestens seit dem Pariser Abkommen, dass jede Branche ihren Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten muss und dafür brauchen wir diese Daten. Das bedeutet natürlich einen gewissen Aufwand. Aber ich glaube, mittlerweile hat die Branche auch erkannt, dass dieser Aufwand nötig ist. In Kombination mit den vielen neuen Anforderungen kann das schon den einen oder anderen Player überfordern. Es gibt aus meiner Sicht viele Unternehmen, die sich gut vorbereitet haben, es gibt aber ebenso viele, die sich nicht vorbereitet haben.
Die Unternehmen hätten also die Boomphase nutzen müssen, um sich auf neue Rahmenbedingungen vorzubereiten?
Ja, natürlich. Gerade dann, wenn das Wachstum von selbst kommt, muss man sich darauf vorbereiten, was passiert, wenn einzelne Trigger dieser Boomphase ausfallen. Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt, sich damit zu beschäftigen. Natürlich verstehe ich, dass der Krisenmodus eine enorme Herausforderung ist. Aber jetzt geht es darum, entweder diese Herausforderungen zu meistern oder sein Geschäftsmodell neu aufzustellen. Es geht auch darum, neue Aufgaben und Strukturen aufzusetzen und da gilt es neue Technologien wie die KI mitzuberücksichtigen.
Die KI wird uns noch sehr, sehr lange begleiten und Teil unseres Alltags werden. Heute schauen wir auf unser Handy, wenn wir etwas wissen wollen. In Zukunft müssen wir vielleicht nur noch daran denken und schon taucht die Antwort irgendwo auf. Das Thema Lebenslanges Lernen wird enorm an Bedeutung gewinnen und Unternehmen werden gefordert sein, die richtigen Kompetenzen und Strukturen aufzubauen, um mit diesen Herausforderungen umgehen zu können. Wir werden bessere Gremien bilden müssen. Der Aufsichtsrat als höchstes Entscheidungsgremium muss über diese Kompetenzen verfügen. Das Motto wird sein müssen: »building better boards!«, sonst wird man nicht für die Zukunft gerüstet sein. Die Zeiten, in denen sich honorige Herren ein paar Mal treffen und alles abnicken, sind definitiv vorbei.