Tatsächlich hängen die kurz- und vor allem mittelfristigen Implikationen entscheidend von Faktoren ab, die mit der Entwicklung der Corona-Welle zu tun haben. Es gibt auf diese Krise noch keine wirkliche Antwort, daher, meint Tobias Just , „sind sehr unterschiedliche Szenarien für die möglichen (immobilien-)wirtschaftlichen Zukünfte denkbar. In den letzten zwölf Jahren war die aus einer regelrechten Krisenkaskade resultierende Unsicherheit gut für die Immobilienwirtschaft, da die Melange aus niedrigen Zinsen und hohem Bevölkerungs- und Beschäftigungsanstieg einen hohen Nachfragezuwachs induzierte.“
Das aktuelle Unsicherheitsniveau hat aber neue Höhen erreicht
Es taumelt die Wirtschaft. „Es ist unwahrscheinlich, dass die gefühlte Gesetzmäßigkeit „Hohe Unsicherheit ist gut für die Immobilienwirtschaft“ in der neuen Gemengelage aufrechterhalten werden kann, und zwar vor allem aus drei Gründen“, meint Tobias Just in seinem STANDPUNKT.
1) Die deutsche Wirtschaft hat bereits 2019 deutlich an Schwung eingebüßt. Eine wachsende Zahl an Ökonomen hat bereits vor der Corona-Krise über Fiskalimpulse laut nachgedacht – nein, diese gefordert. Der Corona-Schock trifft die Wirtschaft also in einer Phase, in der sie nach langem Aufschwung empfindsam geworden ist. Gleichzeitig scheinen die bis zuletzt rückläufigen Mietrenditen auf (fast) allen Immobilienteilmärkten zu implizieren, dass viele Investoren in ihren Ankaufsmodellrechnungen dauerhaft steigende Mieten unterstellten.
Diese Argumentation ließ sich allenfalls in einem Umfeld ohne gesamtwirtschaftliche Risiken führen. Doch genau dies muss nun neu bewertet werden. Die Abfolge von Pandemie und freiheitsbeschränkenden Antworten ist ein gleichzeitiger Angebots- und Nachfrageschock. Die fiskal- und geldpolitischen Impulse mögen die kurzfristigen Lasten mindern, mehr aber auch nicht. Corona zwingt zu einer Neubewertung der Erwartungen.
2) Da die Ruhigstellung des öffentlichen Lebens nicht nur das verarbeitende Gewerbe, sondern nun auch sehr viele Dienstleistungen betrifft (u. a. Tourismus, Messewesen, Gastronomie, Kultur, Verkehr, Handel), werden einige als besonders sicher eingeschätzte Branchen neu zu bewerten sein. Vermietungen werden daher zu Recht geprüft werden müssen. In den letzten zehn Jahren standen die meisten dieser sicheren Branchen nicht infrage.
3) Banken werden ihre Kreditkonditionen dann neu justieren müssen. Natürlich werden die Garantien der Regierung hier helfen, die akut heftigsten Anpassungen zu dämpfen. Doch Banken könnten gezwungen sein, das Ausfallsrisiko einiger Dienstleistungen dauerhaft neu zu bewerten. Die Immobilienfinanzierungen würden dann mittelbar über die Nutzungen neu bewertet werden müssen. Und dies in einer Phase, in der die Banken (aufgrund von Basel IV) sowieso eher höhere Margen für Immobilienfinanzierungen kalkulieren müssen. Kapital würde dann mittelfristig teurer; die staatlichen Rettungsmaßnahmen sind keine Dauerlösung.
Dämpfer für das Transaktionsvolumen
Gemäß Daten von RCA ist das Immobilientransaktionsvolumen in Asien in den ersten Wochen von 2020 um etwa 50 Prozent unterhalb des Volumens der Vorjahre geblieben; in Europa und den USA nicht. Es spricht vieles dafür, dass das Transaktionsvolumen in Europa in ähnlicher Weise für Wochen einen Dämpfer erhält, und es ist fraglich, ob diese Delle in den Folgequartalen ausgeglichen werden kann.
Wie lange hält die Unsicherheit?
Hinzu tritt ein möglicherweise erst mittelfristig relevanter Effekt, der dann große Bedeutung erhalten wird, wenn die Unsicherheit tatsächlich nicht nur dieses Frühjahr anhält. Denn dann wird sich das Verhalten von Menschen und Unternehmen allmählich verändern. Die internationale Arbeitsteilung könnte etwas zurückgedreht werden, es könnte mehr Redundanz in die Wertschöpfungsketten eingebaut werden, um die Stabilität der Systeme zu erhöhen etc. Die meisten dieser Anpassungen dürften zu höheren Transaktionskosten oder weniger Skalierungsmöglichkeiten führen und so erzwingen, dass Ausgaben an anderer Stelle reduziert werden müssen (oder Kosten und Inflation steigen). Dies können Personalkosten (z. B. durch Digitalisierung), Prozesskosten (z. B. durch Digitalisierung) oder Standortkosten (z. B. durch Digitalisierung und Standortverlagerung) sein. Der Nettoeffekt für die Fertigungskosten ist offen. Sollte der Nettoeffekt positiv sein, das heißt, sollten die Fertigungskosten schneller steigen als im Status quo, dann wären höhere Inflationsraten zu erwarten.
Gemengelage könnte für Druck sorgen
Aus dieser Gemengelage würde für die Immobilienpreisbildung spürbarer Druck entstehen, weil erstens die Mieterwartungen bereits kurzfristig nach unten angepasst werden müssen, die Kosten tendenziell schneller steigen als bisher erwartet und die Zinsen (wohl allenfalls mittelfristig) tendenziell stärker steigen als bisher prognostiziert. Da hier als Status quo die Erwartungen vor der Corona-Krise als Referenz gewählt wurden, bedeutet dies nicht zwingend, dass die Zinsen wirklich steigen werden, schon gar nicht kurzfristig, und auch nicht, dass die Inflationsraten besorgniserregende Höhen erreichen werden. Doch es bedeutet, dass den Preiszuwächsen neue Schranken gesetzt werden. Je länger und heftiger die wirtschaftliche Pause weltweit greift, desto wahrscheinlicher und größer dürften zudem die Fiskalprogramme ausfallen.
Welche Assetklasse ist betroffen?
Institutionelle Anleger werden sich dann noch stärker auf Anleihen von Ländern guter Bonität stürzen. Es gäbe also (etwas) mehr Investitionsmöglichkeiten für institutionelle Anleger, und auch dies dürfte sich negativ auf die Immobilienpreisbildung auswirken. Welche Immobilienklasse nun stärker oder weniger stark betroffen sein wird, hängt massiv von der Länge der aktuellen Welle, der Frequenz zukünftiger Wellen, der institutionellen Antwort auf diese Wellen, dem Maßnahmenpaket der Regierungen und insbesondere den Verschiebungen auf den Weltmärkten und in der Gesellschaft ab. Da hier die Unsicherheit mit der Granularität der Prognose zunimmt, dürften in Zukunft vor allem Flexibilität im Sinne von Adaptionsfähigkeit und damit verbunden die Liquidität des Objekts wichtiger werden.
Immobilien als Anlageklasse nicht infrage gestellt
Trotz all dieser plausiblen Belastungsfaktoren muss aber auch darauf hingewiesen werden, dass mittelfristig Lernprozesse die Wirtschaft – und damit auch die Immobilienwirtschaft – schützen dürften: In Singapur, Korea und Japan verliefen die Ansteckungskurven günstiger als in Europa, wahrscheinlich, weil diese Länder durch frühere Erfahrungen vorbereitet waren und rasch angemessen reagieren konnten.
In keinem dieser Länder wurden Immobilien dauerhaft als Anlageklasse infrage gestellt, nachdem SARS oder MERS in Asien grassiert hatten. Diese Erfahrung stimmt optimistisch, dass – bei aller berechtigten Sorge um die Gesundheit und auch die Wirtschaft – die stärksten Waffen des Menschen seine Lernfähigkeit und seine Anpassungsfähigkeit sind und dass diese auch in der aktuellen Krise Lösungen bieten. Wie stark und anhaltend die Immobilienmärkte in Deutschland belastet werden, hängt also auch von der institutionellen Lernfähigkeit hierzulande ab. Zwei rasche Lehren könnten sein, dass es erstens Themen gibt, bei denen wir die Frage nach der richtigen Zuständigkeit neu aufwerfen sollten, und dass es zweitens Themen gibt, bei denen wir alle, die wir täglich die besten Fußball-Bundestrainer, die besten Finanzminister, die besten Zukunftsforscher, die besten Erzieher und die besten Zentralbanker in einer Person sind, einfach den qualifizierten Experten vertrauen sollten, damit keine wertvolle Zeit verloren wird.