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Lebensqualität im Zentrum – das Konzept der 15-Minuten-Stadt

Das Konzept der 15-Minuten-Stadt gilt als neues Paradigma für lebenswerte Städte, und Quartiersentwicklungen werden daran gemessen. In der Wiener Stadtteilplanung hat man sich mit den „Supergrätzln“ ein Vorbild geschaffen.

© EGKK Landschaftsarchitektur / Schreiner Kastler

© EGKK Landschaftsarchitektur / Schreiner Kastler

Berühmtheit erlangt hat das Konzept der 15-Minuten-Stadt mit der politischen Ausrichtung der Pariser Stadtplanung genau darauf. Wissenschaftlicher Wegbereiter des Modells ist der Kolumbianer Carlos Moreno, und als Leiter eines Innovationslabors an der Universität Sorbonne erklärt er das Konzept so: „Tägliche Bedürfnisse sollen in einer Stadt nicht mehr als 15 Minuten vom Wohnort entfernt zu befriedigen sein, ob zur Arbeit gehen, einkaufen, Gesundheitsversorgung, Kultur genießen oder entspannen.“ Weltweit wurde das Konzept in den anonym und unwirtlich gewordenen Millionenstädten rasch willkommen geheißen und vielfach auf die politische Agenda gesetzt. Auch in Barcelona war dies geschehen und mit nach Fußgängerlogik erschlossenen Superblocks hat man dort den Durchzugsverkehr eingedämmt und das Erreichbarkeitsdenken neu definiert. 

Wien, nicht nur du allein

In der Wiener Stadtteilplanung wiederum hat man sich mit den „Supergrätzln“ daran ein Vorbild genommen. Das Pilotprojekt in Wien-Favoriten umfasst neben Begegnungszonen in den Straßen auch Bepflanzungen und Wassersprinkler. Eine menschenzentrierte Planung mit mehr urbaner Lebensqualität soll den autozentrierten Ansatz von gestern ablösen. Gab es bisher geteilte Meinungen dazu, soll sich nun mit der zu Ende gehenden provisorischen Pilotphase alles zum Positiven wenden. Jetzt beginnt nämlich der Umbau, und die verantwortliche Stadträtin Ulli Sima kommentiert den nächsten Schritt: „Ziel ist es, neben der Verkehrsberuhigung mit einem Mehr an Sicherheit auch die Aufenthaltsqualität zu erhöhen.“ Die Erdgeschoßzonen werden belebt, und das Supergrätzl soll sich insgesamt zu einer Art „urbanem Wohnzimmer“ entwickeln. Im Kern des Viertels entsteht eine permanente Fußgängerzone, und etliche Bäume sowie knapp hundert Bepflanzungen kommen hinzu. In den Kreuzungsbereichen werden 17 sogenannte Mikrofreiräume errichtet, die statt zum Durchrasen mit dem Auto zum Verweilen und Spielen animieren sollen.

Am anderen Ende der Stadt, im Donaustädter Neubaugebiet Erzherzog-Karl-Straße, wird aktuell neuer Wohnraum für 6.000 Menschen entwickelt. Hier ist die „Stadt der kurzen Wege“ von Anfang an erklärtes Ziel. Ein sparsamer Umgang mit zu verbauenden Flächen, eine Nutzungsdurchmischung sowie eine möglichst dichte Bebauung und trotzdem genügend Grünraum stehen auf dem Programm. Private wie gemeinnützige Bauträger werben im Vorfeld mit urbaner Lebensqualität.

Minutenziele

Die 15-Minuten-Erreichbarkeit als Ziel ist nicht überall leicht zu bewerkstelligen, aber das tut der Sache keinen Abbruch. 20 Minuten werden im australischen Melbourne angestrebt, und in China rätselt man angesichts der gebauten Monokultur, wie man die Pendelzeiten unter 45 Minuten bringen könnte. Beim Pendeln sind es laut Statistik Austria hierzulande aber im Mittel auch 27 Minuten. Bei den diversen Erledigungen am Wohnort kommt man in den Stadtgebieten Europas tendenziell auf weniger als die postulierten 15 Minuten. In Stockholm hat man daher gleich die Eine-Minute-Stadt ausgerufen, mit Räumen vor der Tür für alles und alle. Einiges an Irritation hat es zuletzt im englischen Oxford gegeben, wo Beschränkungen für Autos jenseits der 15 Minuten-Distanz diskutiert wurden. Die Popularität des Konzepts war damit insgesamt angekratzt. „Mastermind“ Carlos Moreno stellte aber umgehend klar, dass es ihm um Anreize und nicht um Verbote geht.

Mehrwert für Immobilien

Dass „aktive Mobilität“ immer noch unterschätzt wird, darauf verweist der Verkehrsclub Österreich (VCÖ), ebenso wie auf die Wechselwirkung mit einer flächensparenden Raumplanung. „In einer Stadt der kurzen Wege ist die Mobilität hoch“, räumt die Geschäftsführerin Ulla Rasmussen mit Vorurteilen auf und betont Multimodalität statt Schubladendenken: „Autofahrer gehen heute auch zu Fuß oder fahren mit dem Rad und sind mit Öffis unterwegs.“ Ein CO2-Einsparungspotenzial von immerhin 25 Prozent schreibt der Weltklimarat kompakten räumlichen Strukturen zu, und auch die Immobilienentwickler denken langsam um. Für den Projektmanager Markus Neumayer stellt sich angesichts geänderter Taxonometrien die Frage der Zukunftstauglichkeit: „Ob das Umfeld einer Liegenschaft stimmt, ist entscheidend und muss vor dem Ankauf ausgelotet werden.“

Digitale 15-Minute-City

Im Projektgebiet Seestadt Aspern werden urbane Qualitäten auch mit digitalen Tools evaluiert. Das City Intelligence Lab (CIL), eine Einheit des Austrian Institute of Technology (AIT), hat vor Ort ein Mixed-Reality-Modell aufgebaut. U-Bahn-Erreichbarkeiten und vieles mehr werden visualisiert und ausgewertet. Jetzt soll die Lösung als Ausgründung unter dem Namen „Infrared City“ für weitere Planungen zur Verfügung stehen. Die Analyse hinsichtlich 15-Minuten-Qualitäten für ganze Stadtgebiete oder Regionen ist wiederum die Sache des Urbantech-Start-ups PLACEQU. Dessen LiveableMap wurde jüngst vom Österreichischen Städtebund als beste digitale Lösung für die klimaneutrale Städte- und Gemeindeplanung ausgezeichnet. Urbane Transformation wird dabei mit integrativen Auswertungen zu Dichte und Grünraum, Mobilitätsangeboten, medizinischer wie sozialer Versorgung sowie den Einkaufsmöglichkeiten unterstützt. Sämtliche Mikrostandorte bekommen diese Auswertungen im Scoringverfahren. Als erste Benchmark stehen die Daten von ganz Wien zu Verfügung. Mit dem Mythos der Wiener Grätzln hat das aber eher nichts zu tun, denn verwiesen wird allein auf ermittelte Lagebonitäten.

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  • Erschienen am:
    20.12.2023
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