Wie arbeitet und lebt die dot.com-Gesellschaft, fragten Sie sich vor zwei Jahren und recherchierten bei einer Tour durch Silicon Valley. Worum ging es bei Ihrer neuesten Reise?
Schmitz-Morkramer: Nach dem Blick auf das Innere der Google-Welt ging es mir jetzt darum, sogenannte Multi-tenant-Häuser anzuschauen. Sprich, Häuser, die unterschiedlichste Mieter ansprechen, und deren Ziel es ist, nach dem Umbau in spektakulär-gemischte Vermietungssituationen einzusteigen. Die Zahl der Revitalisierungen hat dabei deutlich gegenüber den Neubauten zugenommen. Der Charme, den Altbauten versprühen, wird in den USA sehr geschätzt. Die Typologien sind unterschiedlich – von alter Produktionshalle oder Postdepot bis zum ehemaligem Flug-Hangar, in den Google zum Beispiel einziehen wird. Der Wunsch nach Patina ist groß, weil man den Office-Projekten etwas Besonderes mitgeben möchte. Refurbishment ist das große Thema in den USA.
Die letzte Reise liegt zwei Jahre zurück – dort fielen Ihnen micro-kitchens, wohnzimmergleiche Besprechungsräume und über Algorithmen definierte Wege in den Büros von Google, Apple und Facebook im Silicon Valley auf. Was hat sich jetzt sichtbar verändert?
Schmitz-Morkramer: Als ich das erste Mal ins Silicon Valley gereist bin, waren dort die Magnaten mit Facebook und Google angekommen. Was in der Zwischenzeit entstanden ist, ist unglaublich. Der große Trend geht weg von der grünen Wiese hin zur Stadt. Dort lassen sich die jüngeren Firmen wie Airbnb und Pinterest in alten Warehouses nieder. Auf dem Highway No. 10 haben sich die Verkehrsströme völlig gedreht. Die Wege führen mittlerweile raus aus der City nach Santa Monica. Entsprechend reicher ist dort das Immobilienangebot geworden. In der Entwicklung der Büroarchitektur hat ein Umdenken stattgefunden. Keiner möchte mehr in „my father’s office“ arbeiten.
Das ist zu 100% bei amerikanischen Entwicklern angekommen, deshalb konzipieren sie die Projekte jünger, zeigen weniger Prestigebauten, dafür mehr Offenheit und Lebensqualität.
Früher hießen die Vorreiter-Konzerne Google oder Facebook und waren eher abgeschottet – ist das aktuell noch so?
Schmitz-Morkramer: Gerade in San Francisco gibt es den Trend, die Häuser zu öffnen. Zu bestimmten Zeiten kann man in die „Public Open Spaces“, trinkt einen Kaffee oder loggt sich in das offene WLAN ein. Es ist gewünscht, dass die Häuser von außen belegt werden. Deshalb schaffen die Unternehmen mehr Aufenthaltsqualität. Viele von ihnen stammen aus der dot.com-Szene. Sie möchten eine gute Verbindung zu ihren Geschäftspartnern haben, Lifestyle und ein positives Lebensgefühl vermitteln. Natürlich geht es auch darum, die eigenen Mitarbeiter zu begeistern.
Wie wird das Büro selbst derzeit in Amerika verstanden?
Schmitz-Morkramer: Die Leute wollen sich am Arbeitsplatz genauso wohlfühlen wie zu Hause. Es soll Lockerheit suggeriert werden. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Eames-Lounge-Chair im Büro steht. Dazu gibt es den neuen Trend: das Wechselspiel zwischen Innen und Außen. Die Themen Öffnen und Grünflächen sind sehr stark, ebenso, das Gebäude zu „hacken“.
Hacken – was bedeutet das?
Schmitz-Morkramer: In erster Linie geht es bei „Hackability“ um die Nutzbarkeit des Gebäudes und das Zusammenspiel von Innen und Außen. Für Überraschung zu sorgen, zum Beispiel durch die Verbindung von Etagen oder Freitreppen, die mehrere Geschosse zusammenfügen. Oder durch verwunschene Gärten, die mit hochwertiger Außenmöblierung angelegt sind. Wir reden nicht über Start-ups, sondern über Firmen, die sich schon durchgesetzt haben. Was mir in Los Angeles imponiert hat, war, mit wie viel Liebe diese Außenanlagen gestaltet worden sind. Überraschend zum Beispiel das Projekt Water Garden in Santa Monica – ein protziger Bürokomplex aus den 90er Jahren, in dem der „Denver-Clan“ beheimatet hätte sein können. Er hat es geschafft, durch extreme Gestaltung der Außenanlagen mit Wasserflächen, Cafés und Street-Art völlig überraschende Aufenthaltsqualitäten zu schaffen.
Lässt sich das Thema „Hackability“ auch in Bürogebäuden von msm meyer schmitz-morkramer finden?
Schmitz-Morkramer: Ja, das Hammerwerk in Stuttgart ist ein 100prozentiges Hackability-Beispiel. Eigentlich eine unattraktive Lage, aber mit enormem Angebot. Ein begrünter Hof mit Anbau, alter Villa, Restaurant, Ateliers, Cafés, Shops. Das Projekt würde eins zu eins auch in Amerika funktionieren. Ebenso die Macherei in München oder das Carlswerk in Köln. Der Trend des „Hackens“ ist in Deutschland deutlich ablesbar.
In den USA ködert man die „Millennials“ mit Designermöbeln und Rundumversorgung an den Arbeitsplätzen – wie ködert man in Deutschland Talente?
Schmitz-Morkramer: Die Ansprüche, die an den Arbeitsplatz gestellt werden, sind in Berlin und Köln nicht anders als in L.A. oder London. Wir sind in Deutschland konservativer als die Amerikaner und haben nicht die junge Struktur. Themen wie bikeshop, daycare, healthcare – die Rundum-Sorglos-Pakete existieren hier kaum. Es gibt bei uns nicht die gleiche Offenheit wie in Amerika. Zum Beispiel keine Kanzleien, in denen die Anwälte wie selbstverständlich im Großraum sitzen. Wir tun uns schwer, Veränderungen mitzugehen. Hier wird das Mitspracherecht eher zur Bremse, weil die Menschen den Status quo beschwören, bevor sie sich auf Neues einlassen. Doch die Veränderung der Arbeitswelt ist auch in Deutschland angekommen. Die Menschen legen mehr Wert auf die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit, aber auch auf die Qualität ihres Arbeitsplatzes.
Lassen sich die zwei großen Themen – Öffnung und Grünraum – leicht auf Deutschland übertragen, oder braucht man dafür das kalifornische Klima?
Schmitz-Morkramer: Am Wetter sollte es nicht scheitern. Unser Büro setzt sich seit Jahren systematisch mit den gesellschaftlichen und architektonischen Entwicklungen auseinander. Den in Kalifornien sichtbaren Trend der Öffnung und des Grünraums haben wir bei msm meyer schmitz-morkramer sehr früh in unsere Entwürfe aufgenommen. Eines unserer Gebäude ist La Tête in Düsseldorf. Ein Medienhaus, in das die Verlagsgruppe Handelsblatt einziehen wird. Die Barcode-Fassade mit integriertem Megascreen zeigt, welche Medieninhalte innen produziert werden. Es gibt einen offenen Hof und eine große Town Hall für die Öffentlichkeit. Auch der St. Martin Tower in Frankfurt, der mit dem German Design Award 2017 ausgezeichnet wurde, beweist, wie die Gedanken von Nachhaltigkeit, Service und offener Kommunikation mit moderner Architektur vereinbar sind, unter anderem mit eigener Kita, Gym, Außenbereich und Restaurant. Eines unserer neusten Projekte sind die Treptowers im angesagten Büroviertel Mediaspree von Berlin. Auch dort werden wir das Gebäude öffnen, die Außenanlagen einbeziehen. Der Bauherr der Treptowers begleitete die Recherche-Tour durch Kalifornien. Unser nächstes Ziel ist, gemeinsam mit Architekten aus den USA in einem Workshop aufzuzeigen, wie man die Treptowers „hacken“ kann. Es gehört bei unseren Projekten immer dazu, dass der Innen- und Außenraum miteinander verschmelzen. So wie wir städtebaulich denken, planen wir auch das Außen, denn ein Gebäude hört ja nicht an der Fassade auf.