Die Tokenisierung von Immobilien eröffnet neue Investmentmöglichkeiten. „Was vor zwei, drei Jahren noch weit weg zu sein schien, ist mittlerweile in der Immobilienwirtschaft angekommen“, sagt Florian Petrikovics, Steuerberater und Partner bei TPA. Obwohl nahezu jeder Vermögenswert tokenisiert werden kann, sind es vor allem Immobilien – als bekanntermaßen illiquide Vermögenswerte –, die viel Aufmerksamkeit für etwaige Tokenisierungsprojekte auf sich gezogen haben. „Nach anfänglicher Zurückhaltung wurden vereinzelt Testballons am Immobilienmarkt gestartet, und es finden sich inzwischen immer häufiger Immobilien-Token-Projekte in den verschiedensten Ausgestaltungen“, so Armin Redl, Associate bei DLA Piper.
Der erste bekannte Immobilien-Token-Verkauf datiert aus 2018 – er erfolgte für ein Fünf-Sterne-Luxusresort in der US-amerikanischen Region Aspen. Kürzlich wurden in einer Studie des Frankfurt School Blockchain Center (FSBC) gemeinsam mit der Hamburg Commercial Bank (HCOB) 41 Unternehmen aus 17 Ländern identifiziert, die bereits Immobilien tokenisiert haben. Diese sind primär in den USA aktiv (13), gefolgt von Deutschland (6) und der Schweiz (4). Auch in Österreich gibt es bereits nennenswerte Projekte. Armin Redl: „Unter anderem bietet Brickwise eine kürzlich gestartete Tokenisierungsplattform mit eigenen Immobilienprojekten an, die Crowdfunding-Plattform Exporo tokenisierte Immobilienprojekte und Black Manta Capital ein ‚Token as a Service‘-Produkt.“
Das eigene internationale Portfolio
Privatanleger könnten sich freuen, denn Real Estate Token ermöglichen es, Immobilieninvestments zu fragmentieren und kleinere Anteile von Immobilien zu attraktiven Preisen anzubieten. Armin Redl erklärt: „Privatanleger können sich durch den Erwerb von Real Estate Token leichter als mit herkömmlichen Finanzinstrumenten an Investments am Immobilienmarkt beteiligen.“ Durch den einfacheren und standardisierten Prozess wird der direkte Einstieg in Immobilieninvestments ermöglicht.
Ein Vorteil liegt auch darin, dass sich der Privatanleger direkt die Immobilien aussuchen kann, in die er investieren möchte. Bei Fortschreiten der Entwicklung würde mittelfristig für Anleger die Möglichkeit bestehen, unter vielen Immobilien-Token zu wählen und somit wirtschaftlich ein breit diversifiziertes Immobilienportfolio aufzubauen, sieht Florian Petrikovics spannende Perspektiven: „Im Gegensatz zur Investition in eine Eigentumswohnung kann man durch diese Diversifikation gewisse Immobilienrisiken, wie zum Beispiel einen Leerstand, minimieren.“ Nicht nur das. Es ließe sich letztendlich ein breit gefächertes Immobilienportfolio über Europa und sogar die ganze Welt aufbauen.
Wie werden Token gehandelt?
Durch die Tokenisierung werden die im Token verbrieften Rechte auf der Blockchain handelbar. Das bedeutet, dass der Token grundsätzlich frei übertragen werden kann. Gehandelt werden können die sogenannten Real Estate Token einerseits Peer-to-Peer auf dezentralisierten Handelsplätzen oder auch auf zentralisierten Börsen, „wobei für Letztere in der EU noch die regulatorischen Rahmenbedingungen fehlen“, meint Armin Redl. Unbestrittenermaßen würde ein etablierter Sekundärmarkt für den Handel mit Real Estate Token der Tokenisierung von Immobilien einen Aufschwung garantieren. „Es bleibt abzuwarten, wie und ob sich das Rahmenwerk für europäische Börsen weiterentwickelt, um einen Handel von digitalen Assets zu ermöglichen“, meint Armin Redl.
Die geistige Hürde
Während es auf der einen Seite rechtliche Hürden gibt, ist für die Anleger noch eine „geistige“ Hürde zu überwinden, „da viele Immobilienanleger eine gewisse ,Nähe‘ zur Immobilie im Sinne eines Grundbucheintrags wünschen“, so Florian Petrikovics. Eine Grundbucheintragung kann in Österreich aber nicht mit einem Token abgebildet werden. Daher beziehen sich Immobilien-Token in der Regel auf den Ertrag einer Immobilie. Petrikovics: „Es befinden sich jedoch gerade Token-Projekte in Arbeit, die durch Tokenisierung von GmbH-Anteilen eine Beteiligung an Immobilienprojektgesellschaften ermöglichen sollen.“
Chancen für Projektentwickler
Für Projektentwickler birgt die Tokenisierung auch enorme Chancen: einerseits als Finanzierungsinstrument und andererseits auch als Absatzinstrument. „Je nach Ausgestaltung kann der Projektentwickler Fremd- oder Eigenkapital für die Projektentwicklung aufnehmen oder die errichteten Immobilien wirtschaftlich verkaufen“, erklärt Petrikovcis.
Armin Redl ist überzeugt: „Die Tokenisierung von Immobilien befindet sich noch am Anfang ihres Entwicklungszyklus. Das volle Potenzial ist meines Erachtens noch nicht ausgeschöpft.“ Es gelte nun, die gelegten Grundsteine für das Immobilien-Blockchain-Ökosystem weiter auszubauen: unter anderem durch die Etablierung von Sekundärmärkten, den Einsatz von Blockchain-Technologie beim – zumindest in Österreich – bereits großteils digitalisierten Grundbuch sowie die Anpassung und Weiterentwicklung des regulatorischen Regelwerks.
ERKLÄRUNG: Was sind Blockchain und Tokenisierung?
Florian Petrikovics, TPA: „Die Blockchain kann mit einem weltumspannenden Betriebssystem verglichen werden, auf dem kleine Programme installiert werden können. Diese kleinen Programme sind die sogenannten Token, die je nach Ausgestaltung eine Vielzahl von Rechten und Pflichten repräsentieren können. Im Zusammenhang mit Immobilien beziehen sich diese im Token verbrieften Rechte momentan in der Regel auf die finanziellen Aspekte einer Immobilie, also auf die Beteiligung am laufenden Ertrag.“