Was sind derzeit die großen Herausforderungen in der Projektentwicklung?
Sabine Müller: Es fehlt grundsätzlich an der Planbarkeit, und dafür sind viele Faktoren verantwortlich. Das Thema Lage wird für die Branche auch immer wichtiger. Es gibt eine provokante Aussage, die nicht immer zutrifft, aber verstärkt zutreffen wird: Die Stadt ist fertiggebaut, und wir Projektentwickler müssen uns um den Bestand kümmern. Das nachhaltigste Bauen ist eben, eine bestehende Immobilie weiterzuentwickeln. Sie hat schon bei der Produktion CO2 verbraucht, und die Lage war und bleibt wichtig, wobei es auch gelingen kann, mit einem guten Projekt aus einem Ort, eine gute Lage zu machen.
Sehen Sie darin auch die Zukunft der Projektentwickler?
Ja. Wir müssen den Bestand bestmöglich sanieren, umnutzen, neu programmieren. Dazu brauchen wir eine Art neue Immobilienkultur, und wir müssen Kreislaufdenken in die Branche bekommen. Es geht nicht nur darum, eine Strategie auszurufen, sondern es sollten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch entsprechend sensibilisiert und ausgebildet werden. Das ist ein wichtiger Punkt. Das wird sicher nicht von einem Tag auf den anderen gehen, denn eine Transformation braucht Zeit. Die Immobilienbranche emittiert sehr viel CO2, produziert viel Abfall und verbraucht viel Energie, gleichzeitig ist unsere Branche ein wichtiger Hebel, um wirkungsvoll unser Klima und die Umwelt zu schützen. Hier können wir etwas bewegen.
Kurz und gut: Wir brauchen einen Kulturwandel.
Da haben Sie recht, aber ist das in der aktuellen angespannten Situation überhaupt möglich?
Wenn wirtschaftlich die Lage angespannt ist, ist es schwierig, diesem Thema Raum zu geben, das stimmt – aber es ist auch keine Entschuldigung. Ein subtiler Druck erfolgt durch den Kapitalmarkt und den Green Deal der EU. Dass Geld auf Nachhaltigkeit gepolt wird, motiviert dazu, auch nachhaltige Projekte zu projektieren und in diese zu investieren. Ich finde das legitim, und Tatsache ist, dass die großen institutionellen Investoren nur Immobilien kaufen, die nicht nachhaltig geplant, gebaut und betrieben werden.
Um Gebäude attraktiv zu machen, hat Value One eine neue „Schiene“ entwickelt.
Ja, sie heißt „Re:fit for ESG“ – Beratung from grey to green. Wir haben uns im letzten Jahr die Frage gestellt, welche neuen Geschäftsmodelle es in dieser Umbruchszeit gibt. Was braucht der Markt?
Wir haben uns auf unsere Expertise und unser Know-how besonnen und sind dann ziemlich rasch zu einem Produkt gekommen, das Nachhaltigkeit UND Bestandsgebäude beinhaltet. Unsere Expertise als Berater und Developer, unsere Erfahrungen aus der Entwicklung von Projekten können wir als Dienstleister auch anderen anbieten.
Bei „Re:fit“ gibt es unterschiedliche Pakete, und es geht im Grunde darum, wie man eine „graue“ Immobilie „green“ macht, damit sie nicht zu einem Stranded Asset wird.
Value One hat ja ausreichend Erfahrung.
Ja, unser Headquarter im Viertel Zwei ist ein gutes Beispiel, und unser Credo lautet: Wir sollten auch das nutzen, was da ist. Verdichten und sanieren statt verfallen lassen. Neben Eigenentwicklungen wollen wir auch die Potenziale von Bestandsimmobilien anderer Immobilienbesitzer heben, das ist ein nachhaltiger Zugang.
Developer, aber mit „Re:fit“ auch Dienstleister zu sein – da hat einen Umdenkprozess im Unternehmen notwendig gemacht.
Inwiefern?
„Re:fit“ war insofern ein Umdenkprozess innerhalb von Value One, als es ungewohnt war, anderen Unternehmen diese umfassenden Informationen, die auf unserem Know-how und unseren Erfahrungen beruhen, weiterzugeben und breiter anzubieten. Wir sind ja von unserer DNA her Projektentwickler und nicht Dienstleister. Da in der jetzigen Zeit Kooperation und Co-Creation wichtiger werden, ist es für uns der richtige Weg. Wir sitzen alle im selben Boot, und darum finde ich es auch wichtig, dieses Wissen weiterzugeben. Wir sind jetzt sowohl Developer als auch Dienstleister. Das geht. Wir wollen unser Wissen teilen, weil uns das schneller nach vorne bringt, um diese Situation zu bewältigen.
Welche unterschiedlichen Strategien gibt es bei bestehenden Stadtteilen und neuen Stadtteilen?
Egal, ob bestehende Stadtteile oder neue, es ist wichtig, nicht nur ein Gebäude zu betrachten, sondern das gesamte Grätzel. Es ist wichtig, gesamtheitlich zu denken, also zu entwickeln oder zu refurbishen. Wir sollten versuchen, die Energiesysteme miteinander zu verbinden – Energiegemeinschaften sind da ein gutes Beispiel. Miteinander ist das Credo der Zukunft und wird auf jeden Fall langfristig das bessere Ergebnis liefern. Es gibt so viele mögliche erneuerbare Energiequellen vor Ort, die man sich bei einem Projekt oder einem Refurbishment als Erste ansehen sollte.
Ein einzelnes nachhaltiges Projekt wird der Stadt nicht viel bringen, wobei es immer wichtig ist, einen Vorreiter zu haben, der veranschaulicht, wie es funktionieren kann. Ein wirklich gutes Ergebnis kommt allerdings nur zustande, wenn viele in der Stadt etwas verändern.
Wir haben uns intensiv mit dem Thema Stadtentwicklung auseinandergesetzt, und das Viertel Zwei ist die erste Stadtentwicklung mit dem ÖGNI-Zertifikat in Platin.
Bei bestehenden Quartieren ist die Renaturierung ein wesentlicher Aspekt, und das ist teilweise recht einfach. Es gibt viele Maßnahmen, die man setzen kann. Die Zukunft ist grün, blau und weiß. Grün, weil die Immobilie oder der Stadtteil grüner werden muss. Blau, weil Wasserquellen ein wesentlicher Beitrag zur Abkühlung der direkten Umgebung sind. Weiß – das bezieht sich auf den Albedo-Effekt – nutzt das Rückstrahlvermögen. Weiße Oberflächen nehmen keine Strahlungsenergie auf, daher sollte man diese Farbe bei Immobilien vermehrt verwenden.
Ein ganz anderes Thema noch zum Schluss: Ist Ihnen irgendeine Entwicklung am Markt besonders aufgefallen – unabhängig vom Bereich Projektentwicklung.
Bei der Bürovermietung hat sich mit der Untervermietung ein neuer Markt entwickelt. Es hat ihn zwar schon immer gegeben, aber nicht in dieser Dimension. Damit ein Büro eine gute Atmosphäre ausstrahlt, braucht es unter anderem eine gewisse soziale Dichte, und die war durch Home-Office nicht mehr gegeben. Viele Unternehmen vermieten ihre unbelegten Flächen. Diese Entwicklung ist Teil des New Work und hat auch eine positive Seite. Man kann sich Unternehmen, mit denen man zusammenarbeitet, in die eigenen Räumlichkeiten holen. Dadurch ergeben sich zusätzliche Synergien.
Auch wir haben in unserem Unternehmen ein Stockwerk aufgegeben und es an andere vermietet. Ich glaube auch, dass das Thema Co-Working eine größere Rolle spielen wird. Da dezentraler gearbeitet wird, werden sich rund um die Ballungsräume Hubs mit Co-Working-Angeboten entwickeln. Wir arbeiten an einem Büroprodukt, das darauf basiert, dass in den Gebäuden, die wir planen oder refurbishen, immer ein Teil als Co-Working-Space reserviert ist.
Ein weiterer Zukunftstrend ist sicherlich die „betriebene Immobilie“ – egal, ob Wohnen oder Gewerbe.