„Das klassische Büro ist ein Relikt der Industrialisierung, als Aktenschränke die Arbeitswelt beherrscht haben“, behauptet Prof. Wilhelm Bauer, Leiter des Fraunhofer Institutes für Arbeitsorganisation. Und: „Nicht mehr die Menschen kommen zur Arbeit, sondern die Arbeit kommt zu den Menschen!“ Ist das bloß Utopie oder bereits Realität? Die fortschreitende Digitalisierung ermöglicht dem Wissensarbeiter von heute, dass er theoretisch überall und zu jeder Zeit arbeiten kann. Gearbeitet wird auch im Büro, aber nicht nur. Das Wichtigste dabei sind intelligente Geräte, Programme, Applikationen, Verbindungen, etc. Oder wie es Bauer auf den Punkt bringt: „Die Arbeit der Zukunft umgibt eine virtuelle Aura“. Darüber hinaus wird angesichts der Tatsache, dass wir länger leben und arbeiten der Ruf nach einer Flexibilisierung der Arbeitswelt immer lauter. Von ”Nine to five“ zu arbeiten ist out, denn immer mehr Menschen wollen sich auch bewusst um ihre Familien, Interessen und Freunde kümmern. Hinzu kommt dass Arbeit Spaß machen muss, denn für die nachkommende Generation Y spielen Werte und Anerkennung eine viel entscheidendere Rolle als Geld und Funktionen. Und gerade in diesem Kontext kommt der physischen Arbeitsumgebung eine nach wie vor bedeutende Rolle zu.
Paradebeispiel ist der Internetriese Google
Mit seinen individuellen Büros und den vielfältigen Austausch-, Pausen- und Rückzugsmöglichkeiten in Form von originellen Besprechungsräumen, Rutschen, Spielecken, Massageräumen, etc. bietet das Unternehmen eine Varianz an Arbeitsmöglichkeiten im Dienste zweier Ziele: Innovation zu fördern und Werte zu schaffen. „Es ist der Arbeitgeber, der dafür sorgen muss, dass es den Mitarbeitern gut geht- unabhängig davon ob wir von Rutschen im Büro reden oder nicht“, erklärt Jason Harper, Real Estate Project Executive bei Google Germany und in dieser Funktion für die Standorte des Internetriesen von Hamburg bis Nairobi verantwortlich. Google-Mitarbeiter müssen nicht im Büro arbeiten, aber das Unternehmen schafft Anreize, damit sie gerne ins Büro kommen. Denn wichtig ist, dass eine gemeinsame Kultur sowie spontane Begegnungen ermöglicht werden, die die Kreativität fördern. In ihren Büros dürfen die Googler sogar schlafen, denn das Credo lautet: Lieber 20 Minuten schlafen als müde arbeiten. Google sucht immer innerstädtische Standorte und Flächen für seine Büros, in denen auch die Einrichtung eigener Kantinen möglich ist. Den Mitarbeitern ein ausgezeichnetes Essen jeden Tag zu bieten, gehört nämlich ebenso zur Philosophie. Eigene Immobilien entwickelt das Unternehmen noch nicht.
Bauen nicht als Selbstzweck, sondern für Menschen, Organisationen und ihre Kultur
Wie sehr passt diese Google-Philosophie zu anderen Unternehmen? Läuft man nicht Gefahr, wenn man einfach nur kopiert, dass die eigene Identität und Kultur eher verhindert als ermöglicht werden? „Bauen ist nicht nur eine Aufgabe von Bauabteilungen, sondern hat mit Personal-, Organisations- und Marketingthemen zu tun“, gibt auch Karl Friedl, Geschäftsführer von M.O.O.CON zu bedenken. Nicht zufällig befasste sich auch der diesjährige Bauherrenkongress als Plattform für ganzheitlich denkende Bauherren mit Immobilien aus den unterschiedlichsten Perspektiven- HR, Kultur, Organisation und Wirtschaftlichkeit. Denn: „Wenn Bauherren nicht über Kultur, Prozesse und Werte nachdenken, dann ist auch die Architektur zufällig“, so Friedl. Oder wie Günther Karner, Geschäftsführer von Trigon Entwicklungsberatung, es formulierte: „In einem Konferenzraum mit ewig langen Tischen kann man nicht darüber reden, wie man optimal zusammenarbeitet. Da waren die indigenen Völker schon weiter, sie saßen im Kreis.“
Gebäude wirken immer
Der Organisationsentwickler ist überzeugt, dass ”Gebäude immer wirken“– ob positiv oder negativ. Positiv können sie nur dann wirken, so Karner, wenn man begreift, dass sie von Menschen und Organisationen genützt werden, die keine Maschinen, sondern ganzheitliche Organismen sind. Dabei stellte er zwei grundlegende Fragen: Inwiefern nimmt eine Immobilie auf die drei Ebenen, die den Menschen ausmachen– Körper, Geist und Seele– sowie auf die unterschiedlichen Entwicklungsphase eines Unternehmens Bezug? Baut man etwas für einen Jetzt-Zustand oder für die Zukunft? Sind die Mitarbeiter eines Unternehmens dann auch bereit für jene Zukunft, die sich in der neuen Immobilie manifestiert? Karner ist überzeugt, dass wenn Unternehmen für eigene Zwecke bauen, dies ein Prozess sei, der auch ein begleitendes Change-Management in Unternehmen brauche. Für mehr Harmonie zwischen der Immobilie und der Unternehmenskultur, zwischen Image und Identität, zwischen Schein und Sein plädierte auch Ralf Tometschek von IDENTITÄTER, der Agentur die sich auf Internal und Employer Branding spezialisiert hat. Wichtig sei dabei, Corporate Architecture nicht zu einer Corporate Propaganda verkommen zu lassen, die mit dem Innenleben der Marke, mit der gelebten Unternehmenskultur nichts mehr zu tun habe.
Wirtschaftlicher Erfolg braucht Lebenszyklusorientierung
Das Mitarbeiterengagement aktivieren, die Attraktivität des Unternehmens im Wettstreit um die talentiertesten Köpfe erhöhen, eine gemeinsame Kultur unterstützen, die Produktivität steigern, Gewinne erzielen- ein Gebäude muss ein Unternehmen ganzheitlich unterstützen. Und am Ende des Tages muss sich jede Investition rechnen. Bedenkt man diese vielfältigen Ziele stellt sich die Frage, von welcher Kosten-Nutzen-Rechnung eigentlich die Rede ist. Auf die Frage, was die Wirtschaftlichkeit von Immobilien ausmache, ging am Ende des Kongresstages Andreas Leuchtenmüller, Geschäftsführer von M.O.O.CON Deutschland ein. Seine These: Wirtschaftlicher Erfolg braucht die Lebenszyklusorientierung. Kurzfristig betrachtet, geht es darum, den täglichen, operativen Bedarf des Kerngeschäftes zu unterstützen. Langfristig ergibt sich ein normativer, strategischer Bedarf aus der Identität des Unternehmens. Der Lebenszyklus eines Gebäudes liegt genau dazwischen, so Leuchtenmüller und die Aufgabe des Corporate Real Estate Managements oder Facility Managements ist es, sich um die Zykluskoordination zu kümmern.