Unsicherheit kennzeichnet derzeit die Immobilienmärkte. „Niemand weiß wirklich, wie es weitergeht“, sagt Mario Deuschl, Geschäftsführer des auf Wohnimmobilien ausgerichteten Bauträgers wert.bau. „Jedenfalls müssen Unterscheidungen getroffen werden, weil die verschiedenen Segmente des Immobilienmarkts nicht alle über einen Kamm geschert werden dürfen.“ Tatsächlich kristallisiert sich das eine oder andere Segment heraus, das aus der Krise gestärkt hervorgehen könnte oder zumindest keine Verluste einfahren dürfte.
Der Wohnungsmarkt
#StayAtHome hat die Bedeutung des Wohnens auf der Werteskala der Österreicherinnen und Österreicher verändert. Das zeigt eine aktuelle Innofact-Trendumfrage für ImmoScout24. Die Zeit in der eigenen Wohnung hat den Bewohnerinnen und Bewohnern deren Stärken und Schwächen aufgezeigt. Immerhin jeder Zweite schätzt nun laut der Umfrage sein Zuhause mehr als zuvor. Für 48 Prozent ist das eigene Heim mehr denn je ein wichtiger Rückzugsort, an dem man sich vollkommen sicher fühlt. Die Zeit zu Hause hat allerdings auch bei jedem Fünften dazu geführt, dass die Mängel des aktuellen Zuhauses stärker auffallen.
Aber auf diese 20 Prozent der Unzufriedenen ist nicht allein zurückzuführen, dass die Nachfrage nach Immobilien – die im März stark zurückgegangen waren – sich im April schon wieder auf 80 bis 90 Prozent des Vorkrisenniveaus gesteigert hat. „Wir erwarten im Wohnbereich eine stabile Entwicklung. AnlegerInnen werden weiter in Immobilien investieren, wir erwarten, dass dieser Trend gerade im Wohnbereich aufgrund möglicher wirtschaftlicher Unsicherheit sogar zunimmt“, meint Michael Pisecky, Geschäftsführer s REAL Immobilien. Was die Verkaufspreise betrifft, so zeigt er sich ebenfalls optimistisch: „Wir erwarten, dass sie stabil bleiben.“
Spaziergang durch die virtuelle Realität
Michael Schmidt, Geschäftsführer der 3SI Immogroup, sieht die Entwicklung ähnlich: „Das Kaufinteresse der echten Investoren ist weiterhin ungebrochen. Viele haben sich während der letzten Wochen online, etwa mittels 360-Grad-Touren oder durch Videos, über für sie interessante Immobilien informiert.“ Und er kann der aktuellen Situation auch noch einen weiteren Vorteil abgewinnen: Im Gegensatz zu Vor-Corona-Zeiten sei die Zahl der „Wohnungstouristen“, also jener, die sich Wohnungen nur einmal kurz anschauen wollen, stark gesunken.
Mieten könnten in bestimmten Regionen sinken
Bei den Mieten erwartet s REAL eine Seitwärtsentwicklung. In Regionen mit einem großen Angebot an frei finanzierten Mietwohnungen wird sich der Preisdruck verstärken, und da und dort werden die Mieten sinken – vor allem in den großen, außerhalb des Gürtels gelegenen Bezirken Wiens. „In den inneren Bezirken erwarten wir gleichbleibende bis moderat steigende Mieten“, so Pisecky.
Logistikimmobilien
Der Logistikmarkt hat aufgrund der steigenden Paketlieferungen gewonnen, und er wird auch nachhaltig seinen Platz behaupten, ist Andreas Liebsch, Geschäftsführer von GO ASSET, überzeugt: „Erhöhte Risiken in der Lieferkette führen zu neuen langfristigen Trends, welche die Nachfrage nach Logistikimmobilien steigern werden. Wir haben beiGO ASSET zumindest vier spezifische Gründe identifiziert, welche im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Unsicherheit zu einem stärkeren Bedarf nach Logistikimmobilien führen könnten“, erklärt Liebsch. Es sind höhere Lagerhaltung, Fortsetzung des E-Commerce-Vormarschs, City-Logistik und Diversifizierung der Produktionsstandorte. Neben diesen Gründen spreche laut Andreas Liebsch auch die makroökonomische Entwicklung für das künftig verstärkte Interesse von Investoren an Logistikimmobilien.
Sozialimmobilien
Eine Sparte, die ebenfalls einen großen Schub erhalten könnte, sind die Senioren- und Gesundheitsimmobilien. Die Notwendigkeit, in jedem Land eine angemessene Gesundheitsversorgung bereitzustellen, wird auch nach der Krise zu einem entscheidenden sozialen Thema werden. In diesem Bereich ist zu erwarten, dass sich das bisher eher zögerlichen Vorgehen der einzelnen Bundesländer zu einem koordinierten Vorgehen wandeln könnte. Vor allem, wenn die Aussagen der Regierungsvertreter stimmen und wir tatsächlich in den kommenden Jahren immer wieder mit dem Auftreten solcher Pandemien zu rechnen haben. Aber auch die immer wieder angesprochene Dezentralisierung der Sozialimmobilien wird in den kommenden Jahren stärker werden.
Der eindeutige Sieger
EINE „Assetklasse“ wird auf jeden Fall gewinnen: das Bessere. Franz Pöltl, Geschäftsführer von EHL Investment Consulting: „Sicher erscheint allerdings, dass es eine spürbare Spreizung der Risikoaufschläge geben wird, das heißt, die Renditeunterschiede zwischen Spitzenobjekten und weniger guten Objekten werden deutlich größer werden.“ Der wichtigste preisbestimmende Faktor werde dabei die Qualität der Mietverträge (Mietniveau, Restlaufzeit, Bonität der Mieter) sein. Ein Trend, der sich schon in der letzten Zeit abgezeichnet hat, ist, dass die Verträge und auch das Miteinander in einem Projekt wichtiger werden als die Gebäude.