„Dann spielen wir halt nächste Saison gegen die Wand!“ Wenn Franz Beckenbauer mal wieder so richtig angefressen ist über die Hervorbringungen seines FC Bayern, zumal wenn das vermeintlich gottgegebene Erreichen der Champions League gefährdet scheint, immer dann bemüht der „Kaiser“ gern „die Wand“. Und dabei hat er keineswegs irgendeine perfide Strafmaßnahme im Sinn oder gar Allegorisches. Nein, Beckenbauer meint schon ganz konkret eine ganz bestimmte Felsformation in einem ganz real existierenden Stadion: vor Augen hat er die eine Schmalseite des Stadions im portugiesischen Braga. Die wird nicht, wie üblich, von einer Zuschauertribüne gebildet sondern von einer in den Monte Castro, Bragas höchsten Punkt, gehauene Natursteinwand. Hinter einem Tor also ist nur Fels und die daran befestigte elektronische Anzeigentafel.
Provinz gegen den FC Bayern
Hier ist der SC Braga zuhause, ein Provinzklub, der es regelmäßig schafft, sich in den oberen Tabellenregionen der portugiesischen Liga festzusetzen. Zum ganz großen Coup reicht es nie, zu groß ist die Überlegenheit des FC Porto und der Großvereine aus der Hauptstadt Lissabon. Das Erreichen der Euro League allerdings schafft man in schöner Regelmäßigkeit. Glückwunsch und Respekt! Da aber für den FC Bayern die ungleich bedeutendere Champions League unabdingbare Selbstverpflichtung ist und die Euro League gleich nach dem Fegefeuer kommt, dürfen wir davon ausgehen, dass Franz Beckenbauers „Wand“-Aversion keinen ästhetischen oder gar architekturkritischen Hintergrund hat. Braga könnte vor Zuckerbäcker-Stuck– oder vor gar keinen Tribünen spielen– es bliebe halt doch „nur“ Euro League. Und das ist nun mal unter der Würde des FC Bayern.
Arsenal London kriselt im Emirates Stadium
Dabei wäre es durchaus interessant, bei gegnerischen Mannschaften abzufragen, wie es ist, auf diese Wand zuzulaufen, Fußball zu spielen mit dieser ziemlich einzigartige Perspektive; und wie sich das auswirkt auf die Leistung. Fußball-Profis, hochbezahlt, wissenschaftlich austrainiert, sind nämlich durchaus sensible Wesen, die meisten jedenfalls. Nicht wenige machen auch keinen Hehl aus zuweilen geradezu abergläubischen Anwandlungen. Und da passiert es schon mal, dass das „wirkliche“ Leben dieser irrationalen Geisteshaltung folgt. Wie anders ist es zu erklären, dass etwa die Mannschaft des ruhmreichen Londoner Klubs FC Arsenal nach dem Umzug in ihre neue State-of-the-art-Arena „Emirates Stadium“ im Jahre 2006 eine bemerkenswerte sportliche Schwächephase durchmachte, ja– glaubt man Spielern, Trainer und auch Fans zwangsläufig durchmachen musste: alle verwiesen unisono als einzig mögliche Erklärung auf den Verlust der jahrhundertalten geliebten Heimstatt „Highbury“.
Wann verlässt Liverpool die Anfield Road?
Ein paar Hundert Kilometer nordwestlich graust es alle im Umfeld des FC Liverpool davor, eines nahen Tages die berühmt berüchtigte „Anfield Road“ für einen neuen Spielort zu verlassen. Dabei kann niemand am Mersey ernsthaft bestreiten, dass „Anfield“ längst zu klein, zu eng und letztlich zu marode ist für modernen Spitzenfußball (so wie es „Highbury“ gewesen ist). Auch die wirtschaftliche Situation des Klubs wird sich mit und in einem neuen Stadion signifikant verbessern: mehr Zuschauer bringen höhere Einnahmen; und luxuriöse Businesss-Vip-Logen sowieso. Aber! Aber die Tradition? Die Aura der früheren Erfolge? Die den Gegner einschüchternde und die eigene Mannschaft aufputschende geradezu körperliche Nähe zu den Zuschauern („You’ll never walk alone…“). Was, wenn die an der Anfield Road bleiben und damit auch die alte Leistungsstärke?
Bierbecher am neuen Millerntor
Apropos Business Logen. Beim selbsternannten „Kult“- Klub FC St.Pauli waren sie immer stolz, anders zu sein. Das Publikum am altehrwürdigen Millerntor war zwar irgendwie schräg, aber stets für seine sprichwörtliche Fairness berühmt– auch dem Gegner und den Schiedsrichtern gegenüber. Dann aber mussten sie auch am Hamburger Kiez der Entwicklung im Profifußball Rechnung tragen, mussten das Stadion umbauen, um konkurrenzfähig zu sein. Und was passierte kürzlich? Von einer der neuen Tribünen flog ein voller Bierbecher an den Kopf des Schiedsrichterassistenten. Das Spiel wurde abgebrochen, die Bundesliga hatte einen, St. Pauli war der Skandal. Niemand wird behaupten, dass in jedem neuen oder modernisierten Stadion zwangsläufig Bierbecher fliegen. Allerdings findet sich auf den Tribünen am umgebauten „Millerntor“ jetzt ein vielschichtigeres, nicht immer wirklich besseres Publikum.
So schwer wie eine Bergbesteigung
In meiner Fußballheimat Kaiserslautern war der „Betzenberg“ mit seinen „300 und ein paar“ Metern einst für die angereisten Gegner fast so schwer einzunehmen wie ein Himalaya-8000er. Die Linienrichter mussten den Lauterer Trainer um Erlaubnis bitten, wenn sie an der Außenlinie an der FCK-Bank vorbeilaufen und ihren Job verrichten wollten … nur um dann den durch den ganz nahen Zaun drohend durchgesteckten Regenschirmen der Fans auszuweichen. Gespielt wurde, bis der 1. FC Kaiserslautern endlich in Führung lag. So jedenfalls kommt es mir in der Erinnerung vor. Dann wurde das Stadion für die WM 2006 umgebaut, der Klub verschuldete sich heillos und stieg ab in die 2. Liga. Allerdings geht es jetzt entschieden gesitteter zu im „Fritz-Walter-Stadion“, die Linienrichter haben genügend Platz und bleiben unbehelligt.
Ein sehenswertes Bauwerk
Ob und wie der Neubau des Architekten Eduardo Souto de Moura in Braga die dortige Zuschauer-Soziologie verändert hat, weiß ich nicht. Jedenfalls gilt der Rasen als weithin vorbildlich. Die zweite Schmalseite nämlich ist zur Ebene hin vollkommen offen, was eine ausreichende Durchlüftung der Arena gewährleistet (ein Parameter, der vielen Stadion- planern offenbar ziemlich vernachlässigenswert zu sein scheint!). Das, der Fels gegenüber, die 80 quer über das Spielfeld gespannten Stahlseile– das alles macht das Estadio Municipal de Braga zu einem höchst attraktiven, spannenden, sehenswerten Bauwerk– nur eben partout nicht für den FC Bayern München. Franz Beckenbauer will halt nicht Europa League spielen … „gegen die Wand“.