Wanderten ursprünglich vor allem in bestimmten Hartwarenbereichen die Kunden zum Internet ab (z.B. Bücher, Elektronikartikel), so werden inzwischen auch in verschiedenen Dienstleistungssektoren (z.B. Reisen) und vor allem im Modebereich (Textilien, Schuhe, Sportartikel) immer mehr Waren online bestellt. Das ist deswegen bemerkenswert, weil die persönliche Beratung (etwa im Reisebüro) und das Haptische, also die Möglichkeit des Anfassens und „Be-Greifens“, im Internet nicht möglich ist und offensichtlich immer mehr Kunden das gar nicht mehr wollen. Lediglich im Lebensmittelsektor, wo es vor allem um Frische und (noch mehr) um Geschwindigkeit bei der Lieferung geht, tut sich der Internethandel schwer– aber nicht überall: In Deutschland wurden bisher 200 Millionen Euro Umsatz online erzielt, in Großbritannien aber schon 5,5 Milliarden Euro.
Kaum verwunderlich, dass die technikaffinen Jungen die intensivsten Internetkäufer sind: In Österreich kaufen rund zwei Drittel der 16- bis 24-Jährigen online ein. In der Alpenrepublik haben 2012 2,5 Millionen Personen im Alter von 16 bis 65 Jahren im Internet eingekauft– das sind gut 40% dieser Altersgruppe. Die Zahlen in anderen Ländern liegen zum Teil höher, und sie wachsen schnell. Frauen dominieren– sie stellen über die Hälfte der Onlinekäufer.
Anregungen werden gesucht
Wozu benutzen die Kunden das Internet, wenn sie dort nicht gleich einkaufen? Sie wollen anregende Website-Gestaltungen mit Mobiloptimierung (vor allem jüngere Internetnutzer), sie grasen das breitgefächerte Angebot ab, um Anregungen für den Kauf zu bekommen und sich eine Meinung darüber zu bilden, was sie eigentlich kaufen wollen. Sie nutzen Hersteller- und Händler-Homepages, um sich vor dem Kauf über bestimmte Produkte zu informieren (das tun vor allem die älteren Onlinenutzer). Und sie suchen– begünstigt durch die hohe und für die Margen nicht gerade förderliche Preistransparenz im Netz– den niedrigsten Preis für einzelne Produkte, und das zu jeder Tages- und Nachtzeit.
Viel und wenig Dramatik
Und weil es vor allem die Jungen und die Frauen sind, die gerne online shoppen– also die wichtigsten Zielgruppen auch des stationären Handels–, kann es durchaus sein, dass die Internet-Revolution ungehemmt weitergeht. Die Anhänger dieser Ansicht gehen davon aus, dass schon am Beginn des nächsten Jahrzehnts (also 2020, in gerade mal sieben Jahren) der stationäre Handel bis zu 50% seines Umsatzes verloren haben wird.
Andere sehen es weniger dramatisch– unter anderem deshalb, weil der Internethandel sozusagen hausgemachte Probleme hat. Dazu gehören vor allem die hohen (und nur in geringem Umfang auf die Kunden abwälzbaren) Logistikkosten für die Warenzustellung und die hohen Rücksendequoten, insbesondere bei Modewaren (bis zu 70%), was hohe Kosten im nachgelagerten Handling für die Warenkontrolle, Neuverpackung etc. verursacht. Das Ergebnis ist ein Margenverfall, der in manchen Fällen auch zu laufenden Verlusten führen kann (Zalando wird hier immer wieder genannt, eine Bestätigung dieses Gerüchts gibt es ebenso wenig wie ein Dementi). Die erfolgreichen Internethändler investieren jedenfalls ihre Gewinne laufend in die Perfektionierung des eigenen Geschäftsmodells.
Herausforderungen für den stationären Einzelhandel allgemein
Eines zeigen die Zahlen trotzdem: Mit dem wachsenden Internethandel verschieben sich Umsätze vom stationären zum Onlinehandel. Dennoch bleibt das Ladengeschäft die tragende Säule des Handels insgesamt und gibt ihm ein Gesicht: Noch kaufen die Leute am liebsten im Laden ein. Generell bietet der Handel eine enorme Vielfalt an Unternehmen und Betriebstypen, zumal die Markteintrittsbarrieren im Vergleich zu anderen Branchen relativ gering sind. Auch dies ist einer der Gründe dafür, warum immer neue Konzepte im Handel auf den Markt kommen.
„Touch and feel“
Untersuchungen belegen, dass der Kunde im Ladengeschäft offen ist für Verführungen und Spontankäufe. Und zwar interessanterweise insbesondere dann, wenn er seine Käufe im stationären Handel online vorbereitet hat (was er immer häufiger tut): Der Erfolg des Multichanneling– also des Einkaufens unter Nutzung verschiedener Vertriebskanäle– hängt für die Händler erkennbar von der Präsenz der Ware und des Brands in der Filiale ab. Waren online bestellen und im Geschäft testen bringt mehr Umsatz, weil und sofern beim Abholer im Ladengeschäft Begehrlichkeiten geweckt werden. Einkäufe, die online vorbereitet und dann im Geschäft getätigt werden, generieren Studien zufolge einen bis zu elfmal höheren Umsatz als im umgekehrten Fall. Bislang bringen bei nahezu allen Retailern, die (auch) im Onlinehandel tätig sind, die stationären Läden den eigentlichen Profit. Der wesentliche Grund dafür ist, dass der Kunde im Ladengeschäft die Ware anfassen, anprobieren und gleich mitnehmen kann. Online kann man Preise und Verfügbarkeiten prüfen, aber nicht Farbe, Material und Passform– „touch and feel“ ist daher ein wesentliches Kriterium der Kunden für den Besuch im Ladengeschäft.
Die große Verbrüderung
Die Händler werden wohl Instore, Mobile und Online miteinander verbinden, also ihr stationäres Angebot um passende Onlineangebote erweitern müssen (was auch eine Präsenz in Mobile und Social Media umfasst). Sie müssen sich den E-Commerce zum Freund machen und ihn in eine Multi- und Omnichannelstrategie integrieren, was auch kanalübergreifende Pricingstrategien erforderlich macht. Onlineauftritt, mobile und digitale Angebote haben so natürlich den Zweck, dem Kunden ein Einkaufen per Mausklick zu ermöglichen– sie haben aber vor allem die Aufgabe, den Kunden in den Laden zu bringen, also ihm zu ermöglichen, den stationären Händler zu finden. Auch dies ist ein Grund dafür, warum immer mehr Onlinehändler stationäre Geschäfte eröffnen. Dabei geht es weniger um den Kreischalarm auch im Laden als ums Geschäft– so sind beispielsweise die aufwendig gestalteten Apple-Stores hochprofitabel.
Umgestaltung des Ladengeschäfts
Andererseits (das zeigt gerade das Beispiel der auf den ersten Blick eher spartanisch ausgestatteten Apple-Stores) muss das Ladengeschäft umgestaltet werden. „Using stores as a brand statement driving sales across the channels“ bedeutet: Läden und Waren müssen zunehmend inszeniert werden. Form und Funktion der Läden verändern sich in Richtung Flagshipstores und Showroom: Der einzelne Laden muss künftig nicht mehr so viel Ware vorhalten, braucht aber eine andere Gestaltung und ist dabei zunehmend auf Toplagen angewiesen. Die Warenpräsentation muss emotionaler gestaltet werden– das tun Onlinehändler übrigens immer mehr, die Kunden wollen ja auch online inspiriert werden. Letztlich geht es aber darum, den Kunden über das Internet in den Laden zu locken und den Onlinekanal durch die Erlebniswelt Ladengeschäft emotional aufzuladen.
„Wir verkaufen keine Töpfe, sondern die Lust am Kochen!“
Erlebniseinkauf heißt dabei nicht zwingend viel Trubel, Events und Dekoration, sondern Zusatznutzen über den Einkauf hinaus. Da ist vieles denkbar: Kauf– und Abholerlebnisse aufgrund von Vorführungen (wie etwa bei Estella Kochlust Köln: „Wir verkaufen keine Töpfe, wir verkaufen die Begeisterung fürs Kochen und die Kochzutaten“); Service (in Seidensticker-Stores gibt es zum Beispiel einen Service fürs Hemdenaufbügeln); Erfahrungsaustausch übers soziale Netz (im Adidas-Neo-Store können sich Kunden über den Social Mirror auf Facebook präsentieren und die Likes ihrer Freunde zum neuen Outfit einholen); Interaktion (im Ritter-Sport-Store in Berlin kann der Kunde seine Schokolade individuell zusammenstellen).
Damit ist auch klar, dass der stationäre Handel nicht zum reinen Schaufenster für den Onlinehandel verkommen wird– die großen Läden aber werden tendenziell kleiner, bei den Buchhandlungen und den Elektronikanbietern ist der Prozess bereits voll im Gange. Und die kleineren Läden werden möglicherweise mehr Platz für die Wareninszenierung brauchen.
Denn was lange das Selbstbewusstsein qualifizierter Ladeninhaber begründete, wird durch das Internet inzwischen in sein Gegenteil verkehrt: Der Onlinehandel ist dem stationären Handel in Sachen Auswahl, Erreichbarkeit (auch im Hinblick auf die Öffnungszeit) und Information überlegen– die Preise sind völlig transparent. Waren vorrätig halten kann man im Internet besser und billiger. Kluge stationäre Händler können so das Internet als virtuelles Lager für ein fast unbegrenztes Sortiment nutzen. Dafür ist im Laden die (anonyme) Zahlung, Rückgabe, Änderung von Waren, Garantieabwicklung und Kaufpreiserstattung einfacher als im Internet.
Fazit: Die Zukunft liegt in der intelligenten Verzahnung digitaler Kanäle mit dem stationären Handel.