In Berlin, wo ich wohne, haben wir eine Stadtregierung aus SPD, Grünen und Linkspartei. Sie hat sich bisher vor allem mit dem – wirklich notwendigen – Ausbau der Radwege Verdienste erworben. Auf den meisten anderen politischen Baustellen ruht die Arbeit. Am Flughafen wird immerhin gebaut, dies seit 2006, an der Frage, ob er jemals eröffnet wird, scheiden sich die Optimisten von den Pessimisten. Ach, noch was: Berlin ist die einzige europäische Metropole, deren spurloses Verschwinden ihren Staat mit einem Schlag reicher machen würde und nicht etwa ärmer.
Einer der bedeutenderen Steuerzahler ist die Hypoport AG, ein Finanz-Start-up mit 1.600 Beschäftigten, davon 330 in der Berliner Firmenzentrale. Börsenwert: eine Milliarde Euro. Die Hypoport wollte ihr Firmengebäude von der Stadt kaufen. Die Verhandlungen dauerten, typisch Berlin, stolze vier Jahre, ein Zeitraum, den der Berliner Senat nutzte, um den Kaufpreis für Gebäude und Grundstück von 11,5 auf 15 Millionen Euro zu erhöhen. Das Gebäude ist nicht gerade ein Palast, im Keller sitzt angeblich der Schwamm. Schließlich war der Kaufvertrag unterschrieben.
“Was das Nettsein ihrer politischen Gesprächspartner betrifft, sind Berliner Unternehmer ziemlich ausgehungert.“
Am letztmöglichen Tag, bevor der Vertrag rechtsgültig wurde, teilte die Finanzverwaltung der Stadt der Firma mit, dass sie ihr Vorkaufsrecht nutzen werde, der Vertrag sei somit nichtig. Im Übrigen müsse die Hypoport bis Jahresende ausziehen. Die Finanzverwaltung gedenke nämlich, selbst in das zentral gelegene Haus einzuziehen, jedenfalls teilweise – es ist eine große Verwaltung. Diese Verwaltung brauche Büroräume, vielleicht, um künftig noch intensiver, strenger und länger mit Investoren verhandeln zu können, diese Menschensorte wird in Berlin generell kritisch gesehen. Die Finanzverwaltung hatte vier Jahre am Verhandlungstisch gesessen und über ihre Pläne bis zum letzten Tag kein Sterbenswörtchen gesagt. Im Hause Hypoport war man ein bisschen sauer. Im „Tagesspiegel“, für den ich arbeite, erschien ein Bericht, in dem der Senat nicht gut wegkam.
Der Finanzsenator bot mündlich immerhin an, den Mietvertrag um ein Jahr zu verlängern. Die Bitte des Unternehmens, dies schriftlich und bindend zuzusichern, blieb, laut „Tagesspiegel“, unbeantwortet.
Nun betrat die Wirtschaftssenatorin das Spielfeld. Sie ist von den Grünen, der Finanzsenator ist von der SPD. Die Rivalität zwischen diesen beiden Parteien ist eines der wenigen Schwungräder in der Berliner Politik. Die Senatorin bot großzügig ein Grundstück am Stadtrand an, janz weit draußen, jottwede, wie die Berliner sagen. Das Jottwede-Modell lehnte die Hypoport ab. Ein zweites und vorerst letztes Angebot bestand aus einem Grundstück, das zwar zentral liegt, aber für das es keine verbindliche Baugenehmigung gab. Die Hypoport hätte dort sicher problemlos Ökolandbau betreiben können, aber von Landwirtschaft versteht die Hypoport nichts. Es hätte also neuer Verhandlungen über die Baugenehmigung bedurft, Ausgang offen. Dann wurde gesagt, dass ein Neubau, falls überhaupt, frühestens 2025 begonnen werden dürfe. Weil das Bauen in Berlin immer lang dauert, wäre die Hypoport wohl zehn Jahre obdachlos gewesen, und auch die Lage der Obdachlosen ist in Berlin alles andere als rosig. Daraufhin hat die Firma beschlossen, ihren Hauptsitz nach Lübeck zu verlegen, unter Mitnahme ihrer Börsenmilliarde und zahlreicher Steuermillionen.
Hier der Tipp für österreichische Kommunen und Investoren. Bieten Sie Berliner Unternehmen einen neuen Standort an. Es dürfen ruhig große, milliardenschwere Unternehmen sein. Verweisen Sie nicht nur auf den hohen Freizeitwert des Landes, sondern auch darauf, dass es eine funktionierende, wenngleich etwas zu titelsüchtige Verwaltung gibt, Straßen ohne Schlaglöcher, blitzblanke Flughäfen und Züge, die meistens fahren. Vor allem: Seien Sie nett. Das könnt ihr doch. Lassen Sie durchblicken, dass Steuermillionen im Lande hochwillkommen sind.