Das Thema „Wohnen“ gewinnt in der politischen Debatte innerhalb von Europa zunehmend an Bedeutung. Dem „Wohnen“ kommt zwar keine eigenständige EU-Kompetenz zu, dennoch werden die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der einzelnen Mitgliedstaaten durch zahlreiche Rechtsvorschriften der EU bestimmt oder zumindest stark beeinflusst.
Zahlreiche international anerkannte Studien gelangen zu dem Schluss, dass durch Mietenregulierungen nicht mehr Wohnungen auf den Markt gelangen und solche Eingriffe in den Markt mittel- bis langfristig mehr Schaden als Nutzen bringen. Welchen Standpunkt vertreten Sie hinsichtlich einer Liberalisierung und Deregulierung?
Andreas Schieder: Viele Länder in der EU haben in den letzten Jahrzehnten auf den Bau günstiger Wohnungen verzichtet, den Kauf von Eigentumswohnungen forciert oder ihren Wohnungsbestand privatisiert. Die Folge davon sind nun enorme Mietpreis-Steigerungen. Dank unseres Modells des geförderten sozialen Wohnbaus, fallen die Mietpreissteigerungen in Österreich, verglichen mit anderen Ländern zwar noch geringer aus, lagen in den letzten Jahren im privaten Bereich aber trotzdem deutlich über dem Lohnwachstum. Das zeigt, dass es offensichtlich ohne Regulierung nicht funktioniert. Wir haben deshalb in Wien zu einem drastischen Mittel gegriffen um leistbaren Wohnraum wieder zur Normalität zu machen und den sozialen Wohnbau auszudehnen.
Die EU-Kommission hat sich wiederholt dafür ausgesprochen, die Steuerlast vom Faktor Arbeit auf den Konsum, speziell auf das Eigentum zu verlagern, mit dem Bestreben auf diese Weise das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Welchen Standpunkt vertreten Sie zu derartigen Empfehlungen im Allgemeinen und speziell auf Österreich bezogen?
Andreas Schieder: Zur Entlastung der Mittelschicht muss vor allem der Sektor Arbeit mehr entlastet werden. Die Besteuerung von Eigentum macht in Österreich gerade einmal 0,8% aus. Nichts desto trotz sehen wir das nicht genügend leistbare Wohnungen gebaut werden. Investitionen in den sozialen Wohnbau sollen deshalb von den Maastricht-Kriterien ausgenommen werden. So kann eine europaweite Wohnbauoffensive finanzieren werden, mit der nicht nur die Wohnkosten sinken sondern auch die Bauwirtschaft angekurbelt wird.
Welche prinzipielle Bedeutung messen Sie dem Privateigentum in der Gesellschaft zu? Wie stehen Sie zu derartigen Enteignungsforderungen? Sollte auf europäischer Ebene etwas für einen verstärkten Schutz des Eigentums unternommen werden und die Europäische Union eine größere Rolle beim Schutz der Grundrechte spielen?
Andreas Schieder: Das Recht und die Möglichkeit sich selbst Eigentum zu schaffen muss gewahrt werden. Das Einfamilienhaus darf nicht zum Luxusgut werden. Das heißt aber auch, dass Spekulation mit Wohnraum eingeschränkt werden muss, denn der Erwerb von Einfamilienhäuser wird zunehmend durch steigende Grundstückspreise erschwert. Der Erwerb von Immobilien und Grundstücken soll deshalb mit der Nutzung verknüpft werden. So kann der Ausverkauf von Grund und Boden zu Spekulationszwecken gestoppt und die Preissteigerungen von Einfamilienhäuser eingedämmt werden.
Welche Aufgaben sollen der öffentlichen Hand im Rahmen der sozialen Wohnpolitik in Österreich zukommen?
Andreas Schieder: Wohnen gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Der Anspruch muss sein, dass ausreichend Wohnraum in guter Qualität, für alle sozialen Schichten unabhängig vom Einkommen zur Verfügung steht. Wird dies nicht durch private Investitionstätigkeit garantiert sind öffentliche Eingriffe in den Wohnungsmarkt notwendig.
Erscheinen Ihnen Lenkungsmaßnahmen gerechtfertigt, die einen Wechsel der Objektförderung hin zur Subjektförderung vorsehen?
Andreas Schieder: Wir haben in Österreich ein gut austariertes System zwischen Objekt- und Subjektförderungen, das als Vorbild für ganz Europa dienen kann. Der stärkere Fokus der Förderung auf die Neubautätigkeit trägt zu einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage bei und initiiert beträchtliche Beschäftigungseffekte. Wohnbeihilfen sind eine notwendige Ergänzung, die leistbares Wohnen auch für Haushalte mit niedrigerem Einkommen ermöglicht. Dieser Mix an Maßnahmen erzielt dabei sehr gute Ergebnisse, bei im internationalen Vergleich, moderaten öffentlichen Aufwendungen.
Teilen Sie die Ansicht, dass nur jene Personen eine staatliche Unterstützung erhalten sollen, die einen gerechtfertigten Bedarf haben?
Andreas Schieder: Das soziale Wohnbaumodell von Wien ist ein Erfolgsmodell das in der ganzen Welt bewundert wird. Es führt dazu, dass der Apotheker neben der Verkäuferin und die Ärztin neben dem Postboten lebt. Im Gemeindebau sollen nicht Arme wie Arme leben, sondern eine soziale Durchmischung in der ganzen Stadt gefördert und so eine „Ghettoisierung“ verhindert werden.