ESG greift de facto in alle Bereiche der Immobilienwirtschaft ein. Auch wenn sich manche einen raschen Umbruch erhoffen, ganz so ist es nicht. Allerdings ist die Entwicklung auch nicht mehr zu stoppen. Johannes Endl, Vorstand der ÖRAG: „Zentrale Themen wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz bestimmen die öffentliche Debatte schon seit längerer Zeit, haben sich aber nur sehr mittelbar, vor allem über die Betrachtung der Bewirtschaftungskosten und in überschaubarem Ausmaß in konkreten Veränderungen des Nutzer- und Investorenverhaltens niedergeschlagen.“ Das hat sich mittlerweile im Hinblick auf die gewaltigen Energiekostensteigerungen für beide Seiten geändert, denn es ist nicht mehr von untergeordneter Bedeutung, wie viel Energie verbraucht wird. Das beschleunigt die Entwicklung.
ESG-Revolution?
„Eine grundlegende Revolution würde ich nicht erkennen“, sagt Karin Fuhrmann, Mitglied des Management-Teams von TPA, und sie ist, wie Peter Engert, Geschäftsführer der ÖGNI, der Meinung: „ESG wird den Immobilien- und Investment-Markt schrittweise verändern.“ Es kann auch nicht schneller gehen. Nicht einmal bei Neubauten. Fuhrmann: „Am Ende des Tages beträgt die Entwicklungszeit einer Immobilie drei bis fünf Jahre, und man muss die ESG-Möglichkeiten einplanen und umsetzen, damit man ein verkaufbares Produkt hat.“ Ein schwieriges Unterfangen, da bei Innovationen in diese Richtung, die heute eingesetzt werden, die Gefahr besteht, dass sie bis Fertigstellung schon wieder überholt sind.
ESG wird zu einem bestimmenden Investitionsmoment
Dennoch ist die EU-Taxonomie ein wichtiger Treiber der Entwicklung. „ESG wird damit – zumindest, was das Environment betrifft – auch aus ganz realen und aktuellen Gründen zu einem bestimmenden Investitionsmoment“, sagt Johannes Endl: „Investoren sind sich der Thematik jedenfalls zunehmend bewusst – gerade auch im Hinblick auf die langfristige Handelbarkeit einer Immobilie.“ Konsequent nach ESG-Kriterien neu errichtete Objekte genießen damit schon jetzt einen deutlichen Bonus, und viele institutionelle Investoren werden ihr Portfolio sukzessive entsprechend umgestalten.
Kein Kauf ohne Taxonomie-Check
„Kein international orientierter Investor wird mehr ohne Taxonomie-Check kaufen“, meint Peter Engert: „Das Ergebnis des jeweiligen Checks bestimmt den Preis.“ Trotz dieser positiven Zeichen ist bei ESG der Markt noch etwas zurückhaltend, da viele Unternehmen der Immo-Branche sich erst orientieren beziehungsweise die ersten Schritte zu einem eigenen ESG-Bericht unternehmen. Sebastian G. Nitsch, CEO 6B47 Real Estate Investors AG, hält die Verordnungen für sinnvoll, wobei für ihn eine noch weitreichendere Vision dahintersteht: „Wir müssen davon wegkommen, ein Erfüllungsgehilfe der EU-Taxonomie zu sein, und erkennen, dass wir lieber Teil der Lösung eines grundlegenden Problems sein wollen – nämlich wie wir unseren Planeten retten!“
Hans-Peter Weiss, Geschäftsführer ARE – Austria Real Estate, geht davon aus, dass sich bei den institutionellen Investoren zuerst eine ideelle Regulatorik etablieren wird, die sich zu einer festen Regulatorik entwickeln wird. Das Bewusstsein für „S“ (Social) und „G“ (Governance) bildet sich erst sukzessive. Johannes Endl erklärt den Grund: „Die Taxonomie-Verordnung der EU – also die legistische Grundlage der ESG-Regelungen – bleibt noch konkrete, harte Bewertungskriterien schuldig. Die am Markt verfügbaren Zertifikate orientieren sich nach wie vor sehr stark am Environment.“ Sebastian G. Nitsch ist überzeugt, dass die „kundigen Investoren sehr bald ihr Hauptaugenmerk auf die grundlegenden Themen der EU-Taxonomie legen werden, anstatt ausschließlich Zertifizierungen anzustreben“. Beides werde für den institutionellen Immobilienmarkt ein Must-have sein, so Nitsch.
ESG Kriterien und Finanzierung
Dass auch bei der Finanzierung die ESG-Kriterien „vonseiten der Banken proaktiv nachgefragt werden“, findet Astrid Grantner-Fuchs, Geschäftsführerin von EHL Immobilien Bewertung, richtig und vernünftig: „Es ist definitiv eine intelligente Maßnahme, diese Kapitalströme zu lenken, sodass Kreditnehmer Vorteile in der Finanzierung bekommen.“ Damit werden nachhaltige Investitionen verstärkt nachgefragt, was der Entwicklung einen weiteren Schub geben wird.
Die Verordnungen werden in den kommenden Jahren noch mehr Wirkung entfalten. So ist zum Beispiel die Vermeidung von neuer Bodenversiegelung ein Bestandteil der Verordnung. „Das ist daher ein Auftrag an die Stadtplanung und geht unweigerlich mit der Aufzonung im urbanen Bereich einher“, sagt Sebastian G. Nitsch und sieht auch die Gesetzgebung und Verwaltung in der Pflicht: „Da Aufzonung das Thema Konversion viel wichtiger macht, sollten Anreize in Richtung Geschwindigkeit des Bewilligungsverfahrens oder der Nachverdichtung geschaffen werden.“
Hans-Peter Weiss blickt noch weiter in die Zukunft: „Wir werden eines Tages die Situation haben, dass Produkte, die nicht von ESG-konformen Unternehmen kommen, nicht mehr handelbar sein werden.“