Mit viel Energie war von der Bundesregierung zuletzt das „Erneuerbare-Wärme-Paket“ zwecks nationalstaatlicher Umsetzung des European Green Deal beschlossen worden. Eine Milliarde Euro an Förderung wurde hier alleine für Kesseltäusche bis 2026 zugesichert beziehungsweise für 75 Prozent der Kosten bei Heizungserneuerungen oder -einbauten ohne Gas und Öl. Den Sanierungsbonus für Einzelmaßnahmen hat man dieser Gelegenheit ebenfalls aufgestockt. Die Unterstützung der Energiepreise für alternative Energie wurde erhöht sowie die umsatzsteuerfreie Errichtung von Photovoltaikanlagen beschlossen. Nicht die Ankurbelung von großvolumigem Wohnbau hat also nun Priorität, sondern die Sanierung und Klimaertüchtigung.
Runter mit dem Verbrauch
Im Haus der Ingenieure in Wien wurden auf Einladung der 3SI Immogroup die Konsequenzen der aktuellen Energiepolitik für die Immobilienwirtschaft diskutiert. Obwohl die Forderung nach Unterstützung der Immobilienwirtschaft für Energiemaßnahmen beim Gebäude mit der oben beschriebenen Regierungsaktion großzügig erfüllt scheint, war nicht jeder oder jede von der Initiative „Raus aus Gas“ überzeugt. Es sollte besser „Runter mit dem Energieverbrauch“ heißen. So lautete zumindest das Resümee bei einer ersten Diskussionsrunde des Nachhaltigkeitstalks zur allgemeinen Einschätzung der Lage. In weiterer Folge wurde die immer bedeutender werdende Rolle von Zertifizierungen für eine nachhaltige Immobilienbranche diskutiert.
Zertifikat als Nebenprodukt
Robert Lechner, Leiter des Österreichischen Ökologie-Instituts sah im Zertifizierungsprozess den Mehrwert und nicht im Marketingprodukt: „Wir haben damit eine generelle Vorgabe der Richtung und eine Schwerpunktsetzung bei den Bauaufgaben.“ Das würde die Zielerreichung stärken, und die Einstellung zu mehr Nachhaltigkeit würde sich damit im größeren Maßstab manifestieren. Einmal ausgestellt, sollte man laut Robert Lechner ein Zertifikat besser nicht als Freibrief missverstehen. „Morgen werden neue Forderungen kommen, und Grandfather-Value ist das auch keiner.“
Kraft der Taxonomie
Der Immobilienprofi Markus Neumayer verwies beim Umgang mit den stärker werdenden Nachhaltigkeitsanforderungen auf die Kernkompetenz seiner Branche: „Was man brauchen wird, ist ein Wertsteigerungsfahrplan, damit einem nicht nur etwas aufgedrückt wird.“ Der Projektentwickler war jedenfalls überzeugt, dass die Nachweise am Markt punkten: „Wohnungen werden ohne sie schwer vermittelbar sein, und in die Finanzierung spielt das hinein.“ Zukunftstauglichkeit und Verwertbarkeit wurden von ihm direkt miteinander verknüpft. In der neu verordneten Taxonomie sahen die Teilnehmer am Podium einen Verstärker. „Die Banken dürfen zwar nicht taxonomiekonforme Projekte auch finanzieren, sie werden aber einen Zinsaufschlag verlangen“, war Lechner überzeugt und ergänzte: „Die sechs beschlossenen Taxonomie-Ziele sind eine gute Minimum-Benchmark.“ Weil damit Marktkräfte mobilisiert werden, sei der Ansatz auch schlau. Für ihn war außerdem klar, dass es beim Bestand um eine Transformation geht und in Zukunft Neues mit dem Erhalt von Wertigem Hand in Hand gehen werde.
Das S von ESG
Aus Architektursicht gab Andreas Hawlik, HAWLIK GERGINSKI Architekten, beim Talk zu bedenken: „Eine monofunktionale Planung ist zwanzig bis vierzig Jahre später problematisch.“ Gute Gebäude würden wandelbar sein, und gute Architektur sei überhaupt ein Garant für die Dauerhaftigkeit der Bauten. ÖGNI-Vertreter Florian Wehrberger stellte für seinen Teil klar, dass die Zertifizierungen offen angelegt seien: „Auch Mischnutzungen und Zinshäuser oder sogar einzelne Büroetagen sind zertifizierbar.“ Eine Gleichstellung von Bestand und Neubau scheint allerdings nicht vorgesehen zu sein. Altbauten werden nur auf drei Jahre befristete zertifiziert, während Neubauzertifikate offiziell nicht ablaufen. Für sie gibt es als Draufgabe das Betriebszertifikat plus Handbuch fürs Facility-Management. In Zukunft wird soziale Nachhaltigkeit eine wichtigere Rolle spielen. Quartiere müssen demnach einen wertigen Lebensraum bilden und als Ort für die Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure dienen.