Im „Wandel des Handels“ spiegelt sich die Entwicklung der Gesellschaft wider, und so werden auch alle neuen gesellschaftlichen Aspekte relevant. Natürlich geht es weiterhin um den Umsatz, aber der Einzelhandel reagiert auch auf gesellschaftliche Strömungen – muss reagieren – und übernimmt immer mehr das Mixed-Use-Konzept. Start-ups bekommen ihre Chancen, mit guten Ideen vor einem großen Publikum durchzustarten, Fitnesscenter, Massagestudios oder Praxen für kleine Schönheitseingriffe, Ärztezentren oder Untersuchungsstraßen siedeln sich an, aber auch Entertainmenteinrichtungen und Gastronomie. „Der Handel war immer in Bewegung. Vom Greißler und Supermarkt über Franchise-Stores, Company Owned Stores, Flagshipstores – denn size matters – bis hin zu Conceptstores“, meint Stefan Goigitzer, Managing Partner von Coore.
Zwei langfristige Entwicklungen
Unabhängig von allen Trends kristallisieren sich zwei langfristige Entwicklungen heraus: Individualität und sozialer Treffpunkt. „Ein wichtiger Erfolgsfaktor für die SES-Shopping-Center ist die Vielzahl an regionalen Anbietern“, erklärt Marcus Wild, CEO der SES: „Das macht jedes einzelne Shopping-Center unverwechselbar und führt zu einer starken Bindung an die einheimische Bevölkerung in der jeweiligen Region.“ Die großen Ketten gibt es ohnehin im Netz. Neben der Individualität zählen für Wild aber auch „außergewöhnliche Unterhaltung, gutes Essen und Trinken sowie stimmungsvolle Atmosphäre“.
Unterhaltung und Treffpunkt
Peter Schaider, Eigentümer des Auhof Centers, war immer schon ein Vordenker der Branche, und so beherbergt das EKZ auf nur mehr rund 50 Prozent der Flächen den klassischen Einzelhandel – der Rest entfällt auf Gastronomie, Freizeit und Unterhaltung. Zuletzt wurde im Aufhof Center die Tiger’s World, ein neuartiger Action- & Indoor-Spielpark, eröffnet. Auf 2.000 Quadratmetern können sich Burschen und Mädchen im größten Ninja-Parcours Österreichs und bei weiteren Attraktionen beweisen. Schaider: „Uns war es wichtig, die Kinder von den Handys und Computerspielen wegzulocken, denn hier machen sie Bewegung und schärfen ihre Koordinationsfähigkeiten.“ Da man den Park ab acht Jahren ohne Aufsichtsperson besuchen darf, ist die Tiger‘s World auch eine wetterfeste Indoor-Action für Kinder und Familien.
Beliebte Gastronomie
Das Shopping-Center etabliert sich durch die angebotenen Freizeitaktivitäten als Treffpunkt für alle. Außerdem ist Essen außer Haus „in“. Jedes Jahr steigt der Anteil der Ausgaben für Restaurants, Bars, Cafés etc. im Vergleich zu den gesamten Konsumausgaben quer durch alle Länder. „Das große Fast-Food-Angebot, der urbane Lebensstil, wenig Zeit zum Kochen und die steigende Zahl an Singlehaushalten lassen das Außer-Haus-Essen zum festen Alltagsbestandteil werden“, erklärt Wolfgang Richter, Geschäftsführer von RegioPlan. Österreich liegt bei den Gastronomieausgaben mit knapp 1.400 Euro pro Einwohner und Jahr in Europa – hinter Portugal und Spanien – bereits an dritter Stelle.
Gemeinsame Konzepte
Während die Shopping-Center mit ihrem zentralen Management auf Entwicklungen relativ schnell reagieren können, tun sich die Innenstädte mit ihren unterschiedlich gemanagten Handelsstandorten noch etwas schwer. Die Verantwortung für die nötigen Anpassungsschritte wird zwischen den Gemeinden und den einzelnen Händlern hin- und hergeschoben. Dennoch werden einzelne Submärkte, „die noch vor 30 Jahren belebt waren – zwischenzeitlich sogar totgesagt – nun wiederentdeckt“, so Goigitzer. Der Handel geht in Wien wieder in die Bezirksstraßen: „Das liegt am Verkehrsaufkommen und am ökologischen Fußabdruck, aber vor allem ist es gerade für neue Konzepte hip, diese Lagen zu bespielen.“ Newcomer forcieren Individualität, und zentrale Bezirkslagen sind für ihre Anforderungen ideal – ergänzt durch das Grätzel als sozialer Treffpunkt.
Auf Dauer werden die Innenstadtlagen auch nur über gemeinsame Konzepte ihr Weiterkommen sichern. Wobei die Durchmischung mit zum Beispiel Dienstleistern, Büroflächen, Arztpraxen oder Gastronomieangeboten hier bereits gegeben wäre.
Hand in Hand
Es hat ein wenig gedauert, aber der stationäre Einzelhandel geht nicht mehr gegen den Onlinehandel vor, „sondern wird ihn in die bestehende Einzelhandelslandschaft integrieren“, so Stefan Goigitzer. Verständlich, denn rund jeder achte Euro wird im Onlinehandel ausgegeben. „Möglicherweise werden die Stores dadurch kleiner, weil das Lagermanagement zu den Logistikern wandert bzw. weil immer mehr on demand produziert wird und nicht mehr Monate im Voraus.“
Logistik wird daher allein schon aufgrund des Handels weiterhin einen enormen Boom erleben. Warum die teuren Shopping-Flächen halten, wenn es in unmittelbarer Nähe das Verteilerzentrum gibt, das nicht nur quadratmäßig günstiger ist, sondern gleich auch das gesamte Sortiment auf Lager hat?
Logistik drängt nach innen
Die Lagerflächen werden daher „von der Peripherie in das Stadtgebiet hineinwachsen“, meint Andreas Liebsch, Geschäftsführer von Go Asset. Der Druck durch die zahlreichen Pakete – und auch Rückführungen – wird zu hoch. Andreas Liebsch geht davon aus, dass „intelligente Boxen mittelfristig integrativer Teil der Infrastruktur einer Stadt werden“. Sie werden einerseits an öffentlichen Standorten, hochfrequentierten ÖPNV-Knoten und P&R-Anlagen zu finden sein und andererseits zur Standard-Ausrüstung jeder Wohnhausanlage bis zum Einfamilienhaus gehören. „Neutrale Boxen würden aufseiten der Zusteller zu einer Effizienzsteigerung führen: weniger Fahrten, höhere Erstzustellquote, höhere Leistung.“ Noch ist aber nicht mit einem Zusammenschluss der Paketdienstleister zu rechnen, da diese an völlig unterschiedlichen technologischen Lösungen arbeiten. Für die „very last mile“ bis zum Konsumenten sieht Liebsch im Laufe des Jahres neue Anbieter auf den Markt kommen: „Es wird sich aus unserer Sicht um keinen der bekannten KEP-Dienstleister (Kurier-, Express- und Paketdienste) handeln, sondern um einen neutralen Dritten, der sich dieses Geschäftsfelds im Rahmen eines Betreibermodells annimmt.“ Die geeigneten Modelle werden genauso kommen wie im Einzelhandel. Das wird dann alles bestens funktionieren – bis zur nächsten großen Veränderung.