Die Stimmung am Häusermarkt ist deutlich freudvoller und optimistischer. Der Hausmarktindex der National Association of Home Builders (NAHB) stieg im letzten Jahr auf 52 Punkte an und erreichte damit den höchsten Stand seit März 2007. Analysten hatten mit einem Anstieg auf maximal 45 Punk-te gerechnet. Der NAHB-Index fungiert als Stimmungsbarometer der nationalen Organisation der Wohnungsbauunternehmen. Sein Punktestand kann als Frühindikator für die ökonomische Erholung oder Schwächung eines Landes betrachtet werden und spiegelt die Stimmungslage im Land wider. Ein Wert über 50 Punkte signalisiert, dass die Mehrheit der Häuserbauer die Bedingungen positiv beurteilt. Dieser Wert wurde zum ersten Mal seit dem Ausbruch der Finanzkrise nun überschritten. Das Land befindet sich immobilienmäßig in einer Phase des Aufschwungs. Doch auf welchem wirt-schaftlichen Fundament fußen die vielen verkauften Neubauten?
Trendwende: von Strenge zur Laisser-faire-Haltung
Die Kreditgeber der Vereinigten Staaten haben offenbar ihre Meinung hinsichtlich der notwendigen Bedingungen einer Kreditvergabe geändert. Die Voraussetzungen, die der Einzelne für eine Kredit-vergabe mitbringen muss, wurden stark aufgeweicht. Diese neue „Großzügigkeit“, Kredite an Kunden mit unzulänglicher Bonität zu vergeben, ist wohl kaum ein Akt humanitärer Nächstenliebe. Bis vor Kurzem war die Situation für mittellose Häuserbauer auf der Suche nach Kreditgebern vor allem durch reichlich Widerstand der Banken geprägt. Wer nicht ausreichend Bonität vorweisen konnte, musste sich zur Not kurzerhand umquartieren – zum Beispiel vom Eigenheim in ein 18-Quadratmeter-Wohnmobil!
Vom Campingplatz ins Eigenheim
Dank verschiedener Bankinstitute, wie zum Beispiel Premiere Mortgage Lending, wandeln sich nun rasch die Wohnumstände vieler Amerikaner, denn das Thema „Bonität“ interessierte die Kreditgeber plötzlich nicht mehr. Einzige Bedingungen für den plötzlichen Geldsegen sind manchmal die Anzah-lung in Höhe von 30 % des Kredits und die monatlichen Zinsen in der Höhe von 9 %. Dass Premiere Mortgage Lending kein Einzelfall ist, zeigt das Vorgehen der größten US-Hypothekenbank Wells Far-go, die nun ebenfalls Kredite an bonitätsschwache Eigenheimbesitzer vergibt. Und das, obwohl die Bank trotz milliardenschwerer Vergleiche immer noch Rechtsstreitigkeiten mit Fannie Mae und Fred-die Mac auszutragen hat. Es handelt sich dabei um halbstaatliche Hypotheken-Finanzierer, deren Rechtsstreit in der Finanzkrise wurzelt.
Kredite für jeden – Segen für den Markt oder Auslöser einer neuen Krise?
In Zukunft werden immer mehr Menschen schwacher Kreditwürdigkeit mit Darlehen versorgt wer-den, ist sich Analyst Paul Miller von der Investmentbank FBR Capital Markets sicher. Dieses neue Vorgehen kommt bei Ben Bernanke, dem ehemaligen Chef der US Notenbank Fed, sehr gut an. Nur so könne sich der Immobilienmarkt erholen, behauptet er. Aber diese bevölkerungsweite „Grundver-sorgung“ mit Darlehen erinnert stark an die gedankenlose Kreditpolitik der Banken, die zunächst zur Subprime-Krise 2007 führte und schließlich im Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers gipfelte. Wir erinnern uns: Als sich der Immobilienmarkt damals aufzublähen begann, ka-men einige Banken ins Schleudern, doch erst durch den Zusammenbruch von Lehman Brothers platz-te die Immobilienblase mit einem weltweit hör- und spürbaren Knall. In Anbetracht der letzten Ent-wicklungen stellt sich immer mehr die Frage, ob nicht die Fehler der Immobilienkrise wiederholt werden und jeder auf Wunsch sofort sein Darlehen bekommt. Schließlich produziert die US-Notenbank Fed riesige Geldmengen und führt diese den Geldströmen des Landes zu. Außerdem stei-gen nun die Immobilienpreise und animieren so zur Investition.
Es werden (noch) nicht alle Dämme geöffnet
Doch es bestehe kein Grund zur Sorge, man habe aus den Fehlern gelernt, betont Franklin Codel, Manager im Hypotheken-Bereich bei Wells Fargo. Aufgrund schwindender Einnahmen der Banken müssen eben neue Einnahmequellen angezapft werden. Aber es würden nur Hypotheken vergeben werden, welche die Anforderungen der US-Behörde Federal Housing Administration (FHA) erfüllen. Deswegen sei man abgesichert, weil ja die Regierung im Notfall einspringe. So könnten diese Kredite leichter zu Anleihen gebündelt und an Anleger weiterverkauft werden. Also alles im grünen Bereich? Bei so viel Opportunismus sei angemerkt, dass gerade die beschriebene Vorgehensweise als einer der entscheidenden Auslöser der weltweiten Finanzkrise gilt, weil am Ende selbst die Banken nicht mehr einschätzen konnten, welche Risiken sich in ihren Bilanzen versteckten.
Verschärfte Regelungen bei Kreditvergabe
Ist in Anbetracht der lockeren Geldpolitik also alles beim Alten geblieben? Nein – die Regeln für die Kreditvergabe sind seit 2007 deutlich verschärft worden. Im Gegensatz zu früher müssen heute in den USA hohe Anzahlungen geleistet werden – so die offzielle Aussage –, und die Kreditnehmer ha-ben darüber hinaus Nachweise über ihr Einkommen, ihre Arbeitsverhältnisse und ihre Zahlungsmoral zu erbringen. Aus der Sicht des früheren Fed-Chefs Ben Bernanke ist alles nicht so dramatisch, und die Maßnahmen würden ausreichen, um einen neuen Bankencrash zu verhindern. Würden vermehrt Kredite an bonitätsschwache Kunden vergeben, sei das sogar willkommen. Denn der US-Immobilienmarkt spiele bei der wirtschaftlichen Erholung des Landes nur eine untergeordnete Rolle. Die Rating-Agentur Moody’s empfiehlt sogar, die Kreditvergabe an Immobilien-Erstkäufer wesentlich zu erleichtern. Nur so könne der Häusermarkt wieder vollends genesen. Die frank und frei gewährten Darlehen verfügen nicht über genügend Absicherung. Es bleibt zu hof-fen, dass die neue Gepflogenheit, Kredite ohne die Bonitätsvoraussetzung der Kreditnehmer auszu-geben, zu keiner weiteren Krise führt und sich die Analysten führender Bankinstitute in der Risikoein-schätzung nicht irren. Denn sollte die USA in eine weitere Krise rutschen, würde es nicht lange dau-ern, bis auch Europa die Auswirkungen wieder deutlich zu spüren bekäme.