Die Hälfte der Menschheit lebt in urbanen Großräumen. Der Zuzug in die Stadt lässt nicht nach. Forscher schätzen, dass in 40 Jahren zwei Drittel der Weltbevölkerung in Ballungszentren leben werden. Die Bevölkerung in den Städten wird dann sechs Milliarden Personen betragen. Der Lebensraum Stadt hat dennoch einen schlechten Ruf, den es zu bessern gilt. Das europäische Stadtmodell erlebt in diesem Zusammenhang eine Renaissance– kleinteilig gemischte Strukturen schonen Ressourcen und tragen zu einer hohen Lebensqualität bei. Die europäische Stadt ist, im Gegensatz zur amerikanischen Stadt, über viele Jahrzehnte ausgehend von einem historischen Stadtkern gewachsen und zeichnet sich durch ihre kleinteilige Struktur aus. Die amerikanische Stadt ist vom Konzept des zentralen Geschäftsbereichs und riesiger Wohngebieten außerhalb des Zentrums geprägt. Große Einkaufszentren auf der grünen Wiese sichern die Einzelhandelsversorgung. Die europäische Stadt zeigt eine durchmischte Nutzungsstruktur. In den vergangenen Jahren haben sich die Stadtformen vermischt. Viele Stadtplaner im europäischen Raum haben Aspekte der amerikanischen Stadt in Europa integriert. In jüngster Zeit erkennt man jedoch die Rückkehr zum europäischen Stadtmodell. Als Beispiel sei hier Abuja, die neue Hauptstadt Nigerias, angeführt, wo belebte und begrünte Boulevards mit Geschäften, Büros und Wohnungen nach europäischem Vorbild geschaffen wurden.
Welche Stadtform ist nachhaltiger?
Der stetige Zuzug in die Stadt wirft die Frage auf, welche Stadtform nachhaltiger und in der Lage ist, die immer weiter fortschreitende Urbanisierung zu meistern. Die Antwort ist schnell gefunden: Eine Stadt, die aufbaut auf Motorisierung, die auf Grund der großen Distanzen zwischen den einzelnen Stadtzentren durch öffentlichen Verkehr nicht erschlossen werden kann, ist kein Stadtmodell der nächsten Generationen. Auch im Hinblick auf die fortschreitende Überalterung und damit verbundener Immobilität der Gesellschaft. Die europäische Stadt ist der Lebensraum der Zukunft, wobei auch hier Anpassungen notwendig sind und die Politik gefordert ist.
Utopische Stadtentwürfe
Stadtplaner sind sich auch einig, dass die zunehmende Verstädterung nicht mit Städten, geplant auf Reißbrettern, gelöst werden kann. Als ein Beispiel dafür kann Masdar, ein Stadtbauprojekt in den Vereinigten Arabischen Emiraten, genannt werden. Den Kern dieses Projekts bildet Masdar City, welches nach streng ökologischen Kriterien geplant wurde. Die Stadt soll zu 100% aus erneuerbaren Energien versorgt werden. Die Wasserversorgung erfolgt mit solar betriebenen Entsalzungsanlagen. Durch eine enge und Schatten spendende Bauweise soll die Klimatisierung der Gebäude minimiert werden. Das Verkehrskonzept basiert auf individuellem öffentlichem Nahverkehr, der durch Kabinenbahnen realisiert werden soll. Motorisierter Individualverkehr ist nicht erlaubt. Erst vor einem Jahr ist die Entscheidung über den Sitz der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien auf Masdar City gefallen. Das Projekt lahmt jedoch derzeit. Die ursprüngliche Fertigstellung war für 2016 geplant, aktuelle Zahlen gehen von 2025 aus. Auch inhaltlich ist nur noch ein „Masdar light“ erkennbar. Der offiziell genannte Grund für die Verzögerung ist die Berücksichtigung neuer Technologien. Die meisten Experten vermuten jedoch, dass auch in den Emiraten das Geld nicht mehr so locker sitzt. Auch die Investments anderer Staaten bleiben aus. Utopische Stadtentwürfe sind Retortenstädte und können sich oftmals weit von der Realität entfernen. Sie müssen sich auch nicht alltäglich als existenzfähig beweisen. Aus diesem Grund ist es vielversprechender, sich nicht mit perfekten, im breiten Raum nicht verwirklichbaren Stadtkonzepten aufzuhalten, sondern mit der ökologischen Stadterneuerung im Konzept der europäischen Stadt zu beginnen.
Neuer Wohnraum im Zentrum
Es gibt auch in Österreich den Trend zurück in die Stadt. Wien wird nach neuesten Prognosen im Jahr 2050 2.016.000 Einwohner haben. Es liegt unter anderem an der Stadtplanung, dafür zu sorgen, dass innerstädtische Flächen weiter verdichtet werden. Das bedingt eine Bauordnung, die unter anderem den Dachausbau als größtes Potenzial zur Möglichkeit der Nachverdichtung innerstädtischer Zentren versteht. Mit einem Dachgeschoßausbau werden die thermischen Parameter eines Altbaus durch die Schaffung einer zeitgemäßen Wärmedämmung in den neu ausgebauten Bereichen nachhaltig verbessert. Das Haus bekommt sozusagen eine wärmegedämmte Haube. Gleichzeitig können innovative Heiz- und Stromerzeugungssysteme integriert werden, welche in weiterer Zukunft auch den Bewohnern der Regelgeschoße zugute kommen. Für die neuen Bewohner muss keine Infrastruktur geschaffen werden. Sie ist innerstädtisch optimal vorhanden. Vielmehr verringert sich der Infrastrukturaufwand, da die Entfernung zwischen Arbeit und Wohnen sinkt und die Speckgürtelproblematik der weiten Wege abnimmt.
Viel zu tun
„Die Herkulesaufgaben werden die Ertüchtigung des baulichen Bestandes sowie die Einführung der vorhandenen Gebäudetechniken auch in der dritten Welt und in den Schwellenländern sein“, so Michael Denkel, Stadtplaner beim renommierten deutschen Planungsbüro Albert Speer Partner. Für beide Aufgaben bleibt noch sehr viel zu tun, wobei für die Erreichung des ersten Teils die Politik gefordert ist: Die Bestandssanierung ist weniger eine Frage der Technik oder der Investitionszurückhaltung der Eigentümer, als vielmehr ein Problem der fehlenden Anreize. Dieses Problem könnte durch ein modernes Mietrecht, das losgelöst von ideologischen Scheuklappen für alle involvierten Parteien die besten Lösungen erreicht, beseitigt werden. Auch eine Bauordnung, die den Gedanken der nachhaltigen Stadtentwicklung berücksichtigt, hilft die Probleme der Urbanisierung als Chancen zu begreifen.