Im Jahr 1900 lebte gerade einmal jeder 40. in einer Millionenstadt, derzeit ist es etwa jeder Sechste. 2030 werden wir eine urbane Weltbevölkerung von etwa 60% haben, was einer Verdoppelung seit den 50er-Jahren entspricht. Es entstehen immer mehr Megastädte und sogenannte „Stadtagglomerationen“ mit über fünf Millionen Einwohnern. Mittlerweile gibt es weltweit 45 Megastädte in 28 Ländern– die größte Anzahl dieser Global Cities weisen China, Indien und die USA auf. Die Herausforderungen, vor denen die Städte stehen, sind enorm und nehmen zu, je größer die Stadt ist bzw. je schneller sie gewachsen ist. Die US-amerikanische Soziologin und Wirtschaftswissenschaftlerin Saskia Sassen meint: „Die Stadt ist ein strategischer Schauplatz für die Erkundung der dringendsten Themen, mit denen die Gesellschaft zu kämpfen hat.“
Gewachsene Städte in Europa
In Europa können wir durchaus von gewachsenen Stadtstrukturen sprechen, die auch erstaunlich konstant sind. Wo vor 800 Jahren das Zentrum mit Markt, Rathaus und Kirche lag, da ist auch heute noch das Zentrum. Die Städte sind zwar oftmals zerstört, erweitert, umgebaut oder ergänzt worden, aber ihre Grundmuster haben sich kaum verändert. Europas Städte bzw. diejenigen der Industriestaaten stehen auch vor ganz anderen Herausforderungen als die schnell gewachsenen Megacities in den Schwellenländern. So haben wir es in Europa– global gesehen als Beispiel der Industriestaaten– auch teilweise mit dem Phänomen der schrumpfenden Stadtregionen zu tun. Abwanderung aus den ländlichen Gebieten findet da wie dort statt, aber Städte, die kleiner werden, gibt es de facto in den aufstrebenden Staaten nicht.
Wachsende und schrumpfende Städte
Auf die europäischen Städte kommt damit eine schwierige Gratwanderung zu. Während die einen ein Bevölkerungswachstum verzeichnen, schrumpfen die anderen. Manche Regionen müssen mit massiven Bevölkerungsrückgängen rechnen, andere entwickeln sich zu regelrechten Wachstumsregionen, und wieder andere trotzen diesen Trends, weil sich ihre Einwohnerzahl wider Erwarten stabilisiert. Schrumpfungs- und Wachstumsprozesse beeinflussen sich gegenseitig: Siedlungen am Rande der Stadt durchleben einen Verkleinerungsprozess, während gleichzeitig die Alt- und Innenstädte ihre Anziehungskraft entfalten. In Deutschland sind zum Beispiel Städte wie Kiel, Osnabrück, Duisburg oder Bremerhaven davon betroffen.
„Gespaltenen Stadtgesellschaften“
Sinkende Steuereinnahmen und somit weniger Geld für Investitionen, Sanierungen, die Erhaltung und Verbesserung der Infrastruktur, Freizeit, Bildung, Kultur und Soziales sind die Folge. Die Stadtsoziologie spricht von „geteilten Stadträumen“ und „gespaltenen Stadtgesellschaften“ mit unterschiedlichen Lagern von Gewinnern und Verlierern. Ein Auseinanderdriften der Stadtgesellschaft ist die zwangsläufige Folge. Zu benachteiligten Wohnquartieren gesellen sich benachteiligte Bewohner.
Wirtschaft zieht Einwohner an
Außerdem bestimmt die Ökonomie zunehmend die Demografie der nächsten Jahre. Der Städtewettbewerb nimmt dramatisch zu– regional und überregional. Wirtschaftlich erfolgreiche Städte setzen sich durch, werden damit attraktiv und ziehen damit auch wieder mehr Einwohner an. Viele andere werden mit den oben genannten Problemen konfrontiert. Ein besonders markantes Beispiel ist die US-amerikanische Autostadt Detroit: Die Bevölkerung hat sich seit den boomenden 50er-Jahren von zwei Millionen auf 700.000 Einwohnern mehr als halbiert, ein Drittel der Stadtfläche wird nicht genutzt bzw. ist nicht mehr nutzbar. Die Stadt verfällt. Wer es sich leisten kann, wandert ab, und das sind zumeist die gut Ausgebildeten. Das Durchschnittseinkommen der privaten Haushalte liegt offiziell nur noch bei 27.862 Dollar, während es sich im gesamten Bundesstaat Michigan, in dem Detroit liegt, bei 48.669 befindet.
Die wirtschaftliche Migration
Auch in der EU wird die Zahl der Erwerbstätigen zwischen 2010 und 2030 um 20 Millionen sinken. Daher bestimmt die wirtschaftliche Migration als Ausgleich für die alternde und schrumpfende Bevölkerung die politische Diskussion in Europa immer mehr. Zuwanderung bekommen vor allem die Großstädte zu spüren. Unbestritten ist aber auch, dass Zuwanderung langfristig den Wohlstand sichern hilft. Die Städteplanungs- und Wohnungspolitik wird sich in Zukunft als „Integrationspolitik“ verstehen müssen, um auf diese Weise konzentriert „Inselbindungen“ verhindern zu helfen. Der hohe Ausländeranteil wird zudem auch die traditionelle Parteienlandschaft in den Städten verändern.
Das leidige Verkehrsproblem
Das Verkehrsproblem belastet die Städte. Und je größer, desto stärker. Vor allem in den Schwellenländern, in denen die öffentliche Verkehrsinfrastruktur nicht mit der Geschwindigkeit der Ausdehnung von Städten mithalten konnte, ist der Privatverkehr ein notwendiges Übel. Wie man zuletzt in Peking sah, als eine Smogwolke die Stadt tagelang gefangen hielt.
Eine Studie hat ergeben, dass in europäischen Städten die Hälfte aller Autofahrten kürzer als fünf Kilometer ist, fast ein Drittel aller Fahrten mit dem Pkw ist sogar kürzer als drei Kilometer. Zwar gibt es derzeit noch keine wirkliche Alternative zum Auto, doch neue Konzepte wie Carsharing, kleine Elektroautos, der Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes oder der Fahrradwege werden in verschiedenen Kombinationen ausprobiert. Die Stärkung des öffentlichen Verkehrs und die Änderungen der Stadtstrukturen, um eine „Stadt der kurzen Wege“ zu schaffen– was darauf abzielt, die Wege zwischen Arbeit und Wohnung, Besorgungen und Freizeit zu verringern–, sind aber nicht nur kostspielig, sondern auch eine langfristige Entwicklung, da sie eine neue Gesamtverkehrsplanung erfordern. In diesem Zusammenhang gibt es aber ein hervorragendes Beispiel in Österreich.
Trendwende in Wien
2011 gab es eine Trendwende in Wien: Erstmals in Österreich ist der Pkw-Bestand in einem Bundesland zurückgegangen– trotz steigender Bevölkerungszahl. An der österreichischen Bundeshauptstadt– die bereits zum vierten Mal in Folge vom internationalen Beratungsunternehmen Mercer aus 221 Metropolen zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt wurde– sieht man, dass auch Großstädte eine gute Zukunft haben können.