Können Sie kurz erklären, worum es bei Blockchain und Tokenisierung geht?
Florian Petrikovics: Die Technologie „Blockchain“ ermöglicht eine dezentrale Speicherung von Informationen und stellt sicher, dass diese dezentralen Informationen nicht manipuliert werden können. Tokenisierung bezeichnet den Vorgang, Verträge oder rechtliche Zustände auf der Blockchain abzubilden und handelbar zu machen.
So ist es zum Beispiel möglich, eine Immobilie durch die Ausgabe von Token zu finanzieren und im Gegenzug die Token-Inhaber an den laufenden Einnahmen und/oder am Veräußerungserlös zu beteiligen.
Die Blockchain bildet die Basis für die Abbildung der Rechte und Pflichten, unterstützt bei der Verwaltung der Anleger sowie bei der Organisation der Auszahlungen an die Anleger.
Die Kryptowährungen bzw. die Turbulenzen in diesem Bereich haben viele Anleger und Investoren verunsichert. Wirkt sich das auch bei der Tokenisierung aus?
Tokenisierung basiert auf der Blockchain-Technologie. Die berühmteste Blockchain ist Bitcoin. In der Vergangenheit gab es bei vielen Menschen Vorbehalte gegen Bitcoin und andere Kryptowährungen. Bei aktuellen Tokenisierungsprojekten wird die Blockchain zwar als technische Basis eingesetzt, die Anleger haben in der Regel aber ansonsten kaum Berührungspunkte mit der „Kryptowelt“.
Hat sich die Tokenisierung bereits als Finanzinstrument etabliert oder braucht es noch ein wenig Zeit?
Die letzten Jahre waren geprägt von Pionierarbeit, sowohl hinsichtlich der rechtlichen Grundlagen als auch bei der Aufbereitung des Markts für Tokenisierungen. In der Beratung bemerken wir momentan eine verstärkte Nachfrage nach den (steuer-)rechtlichen Grundlagen bei Tokenisierungen, und es sind auch bereits einige Projekte am Markt verfügbar.
Welche Möglichkeiten der Finanzierung ergeben sich durch Tokenisierung?
Tokenisierung ermöglicht durch die Kostenvorteile der Blockchain die Emission kleinteiliger Finanzinstrumente. Daher ist es möglich, maßgeschneiderte Finanzinstrumente für den jeweiligen Einzelfall zu schaffen. Will zum Beispiel ein Unternehmen eine neue Produktlinie starten und das wirtschaftliche Risiko sowie die wirtschaftlichen Chancen mit Anlegern teilen, dann kann die Verteilung dieses Chancen-/Risiken-Verhältnisses bei der Ausgestaltung des Tokens berücksichtigt werden. Beispielsweise könnten 60 Prozent der Anlaufkosten durch Token finanziert werden, im Gegenzug erhalten die Token-Inhaber 60 Prozent der Überschüsse aus dieser Produktlinie.
Warum ist es ein alternatives Finanzierungsmodell für Unternehmen in Zeiten der Zinswende?
Rechtlich handelt es sich um altbekannte Finanzinstrumente, wie beispielsweise Genussrechte oder nachrangige (Wandel-)Darlehen. Das Interessante ist, dass durch die maßgeschneiderten Finanzierungsinstrumente nun neue Anlegerschichten angesprochen werden können. So könnten zum Beispiel die Mieter eines Hauses als Investoren für die Errichtung der Solaranlage am Dach gewonnen werden und gleichzeitig die Abnehmer des so erzeugten Stroms sein. Tokenisierung kann daher abseits der Finanzierungsfunktion auch gezielt als Marketinginstrument eingesetzt werden.
Worauf ist bei diesem Finanzinstrument zu achten?
Aufgrund der Gestaltungsfähigkeit der Finanzinstrumente muss vorab klar definiert sein, welche Ziele das Instrument erfüllen soll. Dabei spielen u. a. steuerliche, bilanzielle, rechtliche, wirtschaftlich und organisatorische Aspekte eine wichtige Rolle.
Die Tokenisierung kann ja auch zur steuerlichen Optimierung von alternativen Finanzierungsmodellen genutzt werden. Können Sie das erörtern?
Im Wesentlichen handelt es sich bei der Tokenisierung um eine Weiterentwicklung des Crowdinvestings. Dieses war steuerlich aufgrund der Besteuerung der Erträge zum Einkommensteuertarif nicht so spannend, da neben der Steuerbelastung von bis zu 55 Prozent die Erträge von jedem Anleger selbst in der Steuererklärung angegeben werden mussten.
Durch die Tokenisierung ist es möglich, kleinteilige Wertpapiere im steuerlichen Sinn zu schaffen, die der KESt von fix 27,5 Prozent unterliegen und endbesteuert sind. Dadurch entfällt für den Anleger die Notwendigkeit einer Steuererklärung.
Was waren für Sie die auffälligsten Veränderungen im Bereich Tokenisierung in den letzten zwölf Monaten?
Durch den Start einiger Unternehmen – insbesondere im immobiliennahen Bereich – hat das Thema in der Branche mehr Aufmerksamkeit bekommen. Da die Tokenisierung jedoch nicht nur auf Immobilien beschränkt ist, sondern generell zur Finanzierung eingesetzt werden kann, hat sich das Feld der potenziellen Emittenten erhöht.
Ebenso ist das Verständnis für die Materie gewachsen. Wenn man vor zwei Jahren einen Vortrag zu dem Thema gehalten hat, dann bestand ein größerer Erklärungsbedarf hinsichtlich der Grundlagen. In der jüngeren Vergangenheit verlagerte sich die Diskussion schon vermehrt zu den Möglichkeiten der wirtschaftlichen und steuerlichen Gestaltung durch die Tokenisierung.
Was erwartet uns 2023 im Bereich der Tokenisierung?
Insbesondere im gegenwärtigen Umfeld mit steigenden Zinsen, der Erhöhung von Eigenmittelvorschriften und dem zögerlichen Folgen der Anlagezinsen ergibt sich eine spannende Situation sowohl für Unternehmen als für Anleger. Ich gehe davon aus, dass Unternehmen vermehrt versuchen werden, die Eigenmittelbasis durch die Emission von eigenkapitalnahen Finanzinstrumenten zu erhöhen und dafür die eigenen Kunden als Anleger anzusprechen. Für die Anleger ergibt sich die Möglichkeit, von höheren Renditen zu profitieren und gleichzeitig einen Teil der eigenen Ausgaben bei dem Unternehmen „zurückzuverdienen“.