Ich surfte nächtens in der 50 Quadratmeter großen Mietwohnung am Mariahilfer Gürtel im 6. Wiener Gemeindebezirk. Eines Abends, während die Österreicherin vergeblich versuchte, unseren dreijährigen Sohn endlich zu Bett zu bringen, klickte ich eine Seite namens Tropical Real Estate an. Da wurde ein Stückchen Land angeboten – in Belize, in der südlichen Provinz Toledo. Der Preis für die 20 Acres (ca. 80 ha) Buschland war 11.000 US-Dollar. Ich schrieb dem Makler sofort ein E-Mail und bekam dank Zeitverschiebung auch prompt eine Antwort. In den nächsten Tagen flogen die E-Mails hin und her. Da stellte sich heraus, dass der Verkäufer über keine Grundstückspapiere verfügte, aber nach Kaufvereinbarung ein Freund des Maklers, der im ‚Lands Department‘ arbeite, diese erlangen konnte. Denn, so wurde mir erklärt, in Belize erhalten die Einwohner von der Regierung Grundstücke frei zugeteilt, bekommen die Papiere jedoch erst nach Bezahlung eines bestimmten Betrags. Würde ich das Grundstück kaufen, so würde ein Teil des Kaufpreises dafür verwendet werden, diese Papiere zu erlangen.
Der Makler meinte, wenn ich mir einen eigenen Anwalt in der Sache nähme, wäre das sehr kostspielig und würde den ganzen Prozess nur verzögern. Das war ja schon recht suspekt, dazu kam aber noch, dass der Mann aus Texas stammte und seit einigen Jahren in Belize lebte und als Grundstückmakler tätig war, wo er dafür weder eine Lizenz noch eine Ausbildung benötigte.
Trotz der zusätzlichen Kosten beschloss ich, einen Anwalt zu Rate zu ziehen. War ja irgendwie sinnvoll ob der Tatsache, dass ich im Begriff war, ein Stück Land zu kaufen, das ich noch nie gesehen hatte, von einem Menschen, den ich über das Internet gefunden hatte. Vielleicht war das Ganze ja schlichtweg verrückt. Man sollte annehmen, ich hätte beim letzten Mal schon meine Lektion gelernt.
Aber die Winternächte waren lang in Mitteleuropa und die gelegentlichen Ausflüge in den Wienerwald konnten meinen Bedarf nach den Gerüchen und Geräuschen eines Dschungels nicht befriedigen. Also wandte ich mich erneut dem Internet zu und suchte nach einer Anwaltskanzlei in Belize. Die Seite, die ich fand, listete lizenzierte Firmen auf, deren Spezialgebiete sowie die Partner und deren Alter. Ich hatte gerade meinen 50. Geburtstag gefeiert, und so entschied ich mich für einen Anwalt, der genauso alt war wie ich. Ich rief die Nummer an, die da aufgelistet war, und wurde kurz darauf mit Gail S. verbunden. Sie war sehr höflich, machte einen guten Eindruck und wir tauschten unsere E-Mail-Adressen aus.
Als ich den Makler informierte, dass ich mir einen belizischen Anwalt genommen hatte, reagierte er recht ungehalten. Das Ganze würde nur Geld kosten, den Ablauf verzögern und womöglich sogar den Verkäufer vergraulen. Reine Zeitverschwendung! Ich möchte vorwegnehmen, dass letztendlich, als der Deal unter Dach und Fach war, nichts weiter von der Wahrheit hätte weg sein können als diese Worte des Maklers.
Denn bald nachdem Gail S. den Tropical-Makler sowie den Verkäufer in Belize City zu einem formellen Treffen gerufen hatte, kam der Verkauf recht rasch zustande. Ich sandte das Geld an die Anwaltskanzlei und es wurde auf ein Treuhandkonto gelegt. Am Ende bekamen alle ihr Geld, aber erst nachdem das Lands Department die Grundstückspapiere ausgestellt hatte und diese auf meinen Namen übertragen waren. Gails Unterstützung war jeden Cent wert.
Endlich glücklicher Grundbesitzer in Belize, traf mich jedoch ein trauriger Schicksalsschlag. Meine Mutter, die seit einigen Jahren an Lungenkrebs litt, wurde sterbenskrank. Sie hatte jahrzehntelang unter dem Rauchen meines Vaters gelitten, der selbst ein paar Jahre zuvor an Lungenkrebs gestorben war. Bevor sie verstarb, redeten sowohl sie als auch ihr Priester mir gut zu, ich solle es nicht verabsäumen, mit meiner Österreicherin und unserem Sohn meinen Traum zu leben. Auch wenn das bedeuten würde, von Wien in die westliche Karibik aufzubrechen. Und so flogen wir im Herbst von Wien über Madrid nach Cancún in Mexiko. Ein billiger Flug, der entsprechend mühsam und langwierig war. Doch die Strapazen der Flugreise waren schnell vergessen, als wir in dem Bus saßen und auf der Halbinsel Yucatán im Bus Richtung Süden unterwegs waren. Für die Österreicherin und mich eine bekannte Strecke, nur hatten wir diesmal unseren Sohn am Schoß sitzen, der neugierig in die heiße Landschaft hinausschaute.
Wir überquerten die Grenze nach Belize und reisten immer weiter Richtung Süden. Um uns herum waren die uns so bekannten Gerüche und der Lärm des alten amerikanischen Schulbusses der Marke Bluebird der James-Buslinie, der Kilometer um Kilometer den vielen Schlaglöchern auf der Straße ausweichen musste. Letztendlich erreichten wir Punta Gorda, die Hauptstadt der Provinz Toledo, und checkten in ein kleines Apartment im 2. Stock des Sea Front Inns für den vorab vereinbarten Preis von 300 USD pro Monat ein.
Im Laufe der nächsten Wochen bekam unser Leben eine gewisse Routine. Teil dieser Routine war meine tägliche Fahrt von etwa zwölf Kilometern zu unserem neuen Grundstück, die ich mit meinem Fahrrad zurücklegte. Dis asphaltierte Straße führte die ersten Kilometer entlang der Küste, dann ins Hinterland und die letzten eineinhalb Kilometer über eine Schotterstraße, in Richtung des Maya-Dorfes San Felipe. Ich heuerte ein paar Arbeiter an, die entlang der Grundstücksgrenze, die ich tags zuvor mit dem Vorbesitzer abgesteckt hatte, den Urwald bezwangen und zurückschnitten. Als wir uns zunehmend in das Innere meines Dschungels bewegten, lehnte ich mein Fahrrad an einen riesigen alten Baum. Als ich später zurückkam, war das Fahrrad verschwunden. Erst Tage später tauchte es wieder auf – im Besitz eines Restaurant-Eigentümers, mit dem ich mich ein paar Jahre zuvor angefreundet hatte. Als ich ihn darauf ansprach, sagte er nur: „Kannst du dich nicht erinnern? Du hast es mir gegeben?“