Wie sieht die perfekte Stadt aus?
Liessmann: Sie verfügt über die übliche Infrastruktur und Architektur. Was aber nicht zur Aufgabe der Stadtplanung gehört, ist, für das innere Wohlbefinden und die Gemütlichkeit zu sorgen. Der Zustand der Stadt ist dafür natürlich bedeutend. Die Frage ist, wie sich ein urbanes Lebensgefühl entwickeln und das soziale Leben beeinflussen kann.
Was macht denn eine Stadt lebenswert?
Liessmann: Sicherheitsstandards, verkehrstechnische Lösungen, Kultur und eine perfekte Infrastruktur. Das sind Standards einer Metropole. Europäische Städte reichen bis tief in die Vergangenheit zurück – Wien, London, Paris oder Rom haben antike Wurzeln. Die frühe Besiedelung prägt diese Städte. Unterschiedliche Schichten wohnten da in unterschiedlichen Zeiten. Alles konzentrierte sich in einer Stadt. Warum? Weil dort alle nötige Infrastruktur verfügbar war.
Die Erinnerung prägt eine Stadt?
Liessmann: Die europäische Stadt mit Baudokumenten hat natürlich gespeicherte Erinnerungen. Die müssen aber gepflegt werden. Ich kann natürlich auch durch eine Stadt schlendern und nichts denken. Bin ich kein Architekturkenner, kann ich manche Stile vielleicht nicht unterscheiden. Viele alte Städte entsprechen nicht den heutigen städteplanerischen Konzepten – haben aber Atmosphäre. Die europäische Stadt stellt eigentlich eine ständige Provokation dar. Neue Viertel wie die Seestadt Aspern betrifft das aber nicht.
Ist Sicherheit für eine lebenswerte Stadt entscheidend?
Liessmann: Kein Mensch lebt gern in einem Ambiente, in dem er sich nicht wohlfühlt. Sicherheit innen und außen ist wichtig. Das war auch die Ursprungsidee der Stadt – mit der Stadtmauer. Dazu gehören natürlich auch Polizeipräsenz und die Feuerwehr. In einer Stadt zu leben und sich permanent gefährdet zu fühlen, ist nicht der Grundgedanke der Stadt. Doch eine Stadt braucht Atmosphäre – bevor wir noch Einzelheiten wie Straßenzüge etc. wahrnehmen, spüren wir die Atmosphäre. Die lässt sich nicht einfach definieren. Es ist einfach das Lebensgefühl – das können öffentliche Plätze sein, Restaurants etc.
Welche Grenzen gibt es in einer Stadt?
Liessmann: Es gibt viele sichtbare Grenzen in Städten, obwohl sie sich ja dynamisch entwickeln. Man wird kaum am Stadtrand ein Burgtheater bauen. Unterschiedliche Lebensformen, Lebenskonzepte und auch unterschiedliche ökonomische Verhältnisse sind in einer Stadt konzentriert. Wir sehen diese Unterschiede als Grenzen. Wir wissen genau, wer wo wohnt oder arbeitet, das ist eine innere Differenzierung, die jedem bewusst ist und jedem klar ist, sobald er diese Grenzen überschreitet. Schlösser standen außerhalb der Stadt – Zinshäuser innerhalb. Der Gürtel als große Verkehrslinie war nie undurchlässig, aber dennoch eine Grenze.
Warum ziehen Menschen in die Stadt?
Liessmann: Weil sie von der Innovationskraft angezogen sind. Auch die Ausdehnung von Stadtvierteln ist ja nicht neu – diese Vielfalt der Stadt als Raum, in dem Menschen zusammenleben. Eine Stadt ist jedoch durch die Kultur geprägt. Nur Bürohäuser wären kein Magnet. Aber eine Nationalbibliothek wie in Paris, eine Oper wie in Mailand oder ein Burgtheater wie in Wien – das sind Anziehungspunkte.