Stadtentwicklung ist seit jeher einer hohen Dynamik unterworfen. Beispiele für exogene Einflüsse sind die Migration oder auch die in den vergangenen Jahren stark gestiegene Mobilität. Alleine diese beiden Faktoren haben eine enorme Wirkung. „Dazu kommen aber noch unzählige weitere Komponenten, die bei Entwicklungen einzubeziehen sind“, erklärt Hans-Peter Weiss, Geschäftsführer der ARE, Austrian Real Estate. Die Herausforderung der Stadtentwicklung liegt darin, dass sie einerseits langfristig geplant sein muss und andererseits auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren soll, die sich manchmal auch relativ schnell vollziehen: Die Ganztagsbeschäftigung verschwindet, Teilzeitarbeit nimmt zu, und damit haben die Menschen zu unterschiedlichen Zeiten Freizeit; gearbeitet wird verstärkt von zu Hause oder in der näheren Umgebung– Patchworkfamilien und Singles prägen die Städte, Mobilität verlagert sich auf die Öffis, und der Individualverkehr nimmt weiter ab. Freizeit, Tourismus, Kultur, Bildung und Wissenschaft sind die Treiber der Urbanität, aber sie müssen miteinander vernetzt sein und ein großes Ganzes bieten.
Innen und außen
„Eine Stadt soll nicht nur im Stadtkern gut funktionieren, sondern auch an der Peripherie“, meint Alfons Metzger, Geschäftsführer der Metzger Realitäten Gruppe: „Wenn man in Weltstädten vom Flughafen aus in die Stadt fährt, dann erwartet einen meist ein wunderschönes Zentrum, aber hinein fährt man durch die Slums.“ Für Metzger gehört Wien zu den Städten, in denen solche extremen Gegensätze nicht vorhanden sind, was auch mit der Arbeit der Verantwortlichen zu tun hat, wie Planungsdirektor Thomas Madreiter bestätigt: „Wir setzen uns in der Stadtplanung schon seit Jahren mit Fragen der Stadtforschung auseinander, und da gehört ganz wesentlich die gesellschaftliche Trendforschung dazu.“
Interesse der Bewohner am Umfeld
Bei den aktuellen Trends zeichnet sich ein ganz wesentlicher Punkt ab:
Die Bewohner selbst werden immer mehr von passiven Event-Konsumenten zu aktiven Mitgestaltern ihres Umfelds. Dies zeigen schon die BürgerInnenbeteiligungen, die mittlerweile bei jedem großen Projekt vorgesehen sind. „Wesentlich mehr Menschen als noch vor 15 Jahren formulieren ihre Vorstellungen von städtischem Leben und versuchen sehr professionell, ihren Ideen zum Durchbruch zu verhelfen“, meint die Stadtbaudirektorin Brigitte Jilka, und weiter: „Die Leute artikulieren sich, und dass es da manchmal zu Unstimmigkeiten kommt, ist klar. Wenn man die Leute auffordert zu sagen, wie sie sich etwas vorstellen, dann muss man auch damit rechnen, dass Themen auftauchen, die man sich als Planer anders vorgestellt hat.“
Information für die Betroffenen
Die umfassende Einbindung der Menschen in der Umgebung großer Projektentwicklungen ist eine absolute Notwendigkeit, damit Stadtentwicklung in einer neu denkenden Gesellschaft funktionieren kann. Weiss ist überzeugt: „Transparenz, Offenheit und laufende Informationen sind unabdingbar.“ Denn Veränderungen lösen bei vielen Menschen Unsicherheit und sogar Ängste aus, wodurch Abwehrreflexe aktiviert werden. Da aber kaum jemand angesichts einer drohenden Bebauung die Flucht ergreift, stehen die Zeichen nicht selten auf Konfrontation. Ein gesicherter Informationsfluss hat also eine entscheidende Präventivwirkung. Derzeit überlegt die ARE beispielsweise, beim Wildgarten– einer Projektentwicklung mit über 1.000 Wohnungen am Emil-Behring-Weg in Wien-Meidling– ein Nachbarschaftszentrum zu bauen. Weiss: „Die Idee wäre, ein kleines Café einzurichten, in dem das jeweilig neueste Informationsmaterial aufliegt und auch der Betreiber eine Art Katalysatorenfunktion hat.“ Obwohl es nur eine Maßnahme von vielen ist– wohl aber eine ganz wesentliche–, ist Weiss überzeugt, durch aktive Kommunikation in vielen Fällen potenzielle Konflikte a priori ausräumen zu können.
Vom Ganzen ins Detail
Die Stadt gibt die Rahmenbedingungen vor, und die Unternehmen nutzen sie, um ihre Vorstellungen und Ideen zu realisieren. Madreiter: „Es ist nicht die beste aller Städte, in der man den Entwickler bis ins kleinste Detail zu Lösungen zwingt, weil man glaubt, dass das so optimal ist. Da braucht es auch eine gewisse Gelassenheit.“ Die in Wien involvierten Projektentwickler wissen nämlich sehr genau, wie in ihrem Umfeld Stadtentwicklung funktioniert. „Die Idee jeder erfolgreichen Projektentwicklung ist, dass es nicht nur am Standort einen Mehrwert gibt, sondern dass der Bezirk und die Bewohner, die rundherum wohnen, ebenfalls profitieren“, erklärt Hannes Schöckler, Vorstand der Premium Immobilien AG. Sein No-Go: „Wenn es den Mehrwert nicht gibt, dann sollte man es bleiben lassen.“
Gated Communities sind nicht Stadtentwicklung
Im Ausland werden oftmals isolierte Zonen geschaffen, um eine Exklusivität auszudrücken, aber das „sollte man bei Stadtentwicklungsprojekten nicht machen“, so Schöckler: „Eine gute städtebauliche Entwicklung ist das Gegenteil einer Gated Community.“ Abgeschottete Communities werden von Anfang an als Fremdkörper angesehen und integrieren sich kaum bis gar nicht in das Stadtbild. Ihnen fehlt das Attribut der Durchlässigkeit, sprich die Integration in das umliegende Gebiet. „Wenn eine Projektentwicklung gut gemacht ist, dann hat man das Gefühl, dieser Stadtteil war schon immer da“, umreißt Schöckler seine Philosophie.
Leben im Ortskern
Was die Städte selbst betrifft, entdeckt man gerade wieder in der Kleinteiligkeit ihre Vielfalt und ihre Einzigartigkeit. Es ist zu erwarten– so eine britische Sozialstudie–, dass sich die Städte umstrukturieren werden. Die einzelnen Stadtteile werden wieder verstärkt zur Identifikation mit der Stadt selbst führen und eine hohe Aufenthaltsqualität bieten müssen. „Man muss in jeder neuen Stadtentwicklung einen Markt schaffen, einen Ortskern. Das Leben der Kommune findet seit Jahrtausenden im Ortskern statt und nicht an der Peripherie“, so Metzger. In den 70er-Jahren wäre mit dieser Aussage keine Stadtentwicklung zu machen gewesen, aber wie Stadtbaudirektorin Jilka aus Erfahrung meint: „In der Stadtplanung muss man versuchen, 20 Jahre zu antizipieren, und wenn man so weit vorausblickt, dann steht man oft im ,Spinner-Eck‘.“