Der Immobilienberater Colliers beginnt direkt im Vorwort mit einer Aufzählung, was gerade alles nicht stimmt. Das reicht vom demographischen Wandel, Zinsen und Finanzierung bis zu Zuwanderung sowie einem problematischen Wohnungsmarkt. Um direkt danach Optimismus zu verbreiten mit den Annahmen, dass sich die Zinssituation beruhige und auf den Investmentmärkten wieder Bewegung statt Stillstand herrsche. Zudem werden ESG und Künstliche Intelligenz eine größere Rolle spielen.
Wird die wirtschaftliche Dynamik weiter gebremst?
Eine moderat wachsende Wirtschaft führt laut Colliers zu einer höheren Gewerbeflächennachfrage sowie zu „wieder auskömmlicheren Risikoprämien für Immobilien im Vergleich zu Anlagealternativen“. Axel D. Angermann, Chef-Volkswirt der FERI Gruppe, sieht das anders. „Für 2024 ist nur mit einem marginalen Anstieg der Wirtschaftsleistung zu rechnen. Deutschland droht damit in einen verhängnisvollen Kreislauf zu geraten: Die dann seit fünf Jahren andauernde Wirtschaftsflaute verschärft bestehende Verteilungskonflikte und bremst die Möglichkeiten zur finanziellen Abfederung notwendiger Strukturanpassungen, und dies wiederum bremst die wirtschaftliche Dynamik weiter.“
Einzelne Unternehmen halten an positiven Aussichten fest. So beispielsweise Union Investment: Hier wird im institutionellen Bereich auf moderates Wachstum gesetzt. „Wir sehen neben der verstärkten Nachfrage von institutioneller Seite nach stabilen Core-Fonds vor allem auch einen stabilen Nachfragetrend nach Bündelungsvehikeln. Wir sehen hier gute Perspektiven, unser stetig wachsendes Lösungsangebot in den nächsten zwölf Monaten weiter auszubauen“, sagt Geschäftsführer Maximilian Brauers.
Büromarkt: Neues Zwischensegment entsteht
IWG, Anbieter von flexiblen Arbeitsplätzen und hybriden Arbeitslösungen, befragte Unternehmer. 76 Prozent stimmten zu, dass es 2024 eine Rezession geben werde. Zu deren Folgen zählt die Reduzierung von Kosten – auch im Officebereich. Die weiteren Einsparungsmöglichkeiten dazu lauten:
· Reduzierung von Neueinstellungen: 43 Prozent,
· Personalabbau durch Nichtbesetzung freier Stellen: 39 Prozent,
· Verkleinerung der Bürofläche: 31 Prozent,
· Überprüfung der aktuellen Gehaltsstufen: 28 Prozent,
· Entlassungen: 21 Prozent.
Virginie Wallut, Director of Real Estate Research und Sustainable Investment bei La Française Real Estate Managers, flüchtet sich da in den Konjunktiv: „Einige Segmente scheinen eine neue Balance gefunden zu haben, die kurzfristig die Grundlage für eine Erholung der Investitionsvolumina und mittelfristig der Bewertungen bilden könnte.“ Für den Officebereich sagt sie eine Polarisierung sowie ein Mittelfeld voraus: Zwischen erstklassigen Objekten in zentralen Lagen (in denen in ganz Europa die Mieten steigen) und Sekundärimmobilien in Randlagen schieben sich „erstklassige und umweltfreundliche Immobilien, die aufgrund ihrer Randlage zu wettbewerbsfähigen Mieten angeboten werden“. Und das gilt für München genau wie für Paris.
Wohnen: Seitwärtsbewegung bei den Preisen
Mit „Weiterhin geringe Investitionsneigung“ überschreibt Aengevelt die Winter-Variante seines Wohninvestment-Index AWI. Die zwei Mal pro Jahr erhobene Studie sieht eine „Fortsetzung des leichten Erholungstrends“. Problem: Die Bedingungen für Wohnungsbau bleiben weiterhin „investitionsfeindlich, so dass eine weitere Verschärfung des Wohnungsmangels zu erwarten ist, insbesondere im preisgünstigen Segment“. Das Magazin Pioneer vergleicht den Wohnimmobilienmarkt mit einem Monopoly-Spiel. Klaus Wohlrabe, Leiter der ifo Umfragen, wird in einem Artikel wie folgt zitiert: „Es braut sich ein Sturm zusammen. Nach einem langjährigen Boom würgen die höheren Zinsen und die drastisch gestiegenen Baukosten das Neugeschäft förmlich ab.“ Erkenntnis aus mehreren Interviews: „Der schon heute hart umkämpfte Wohnungsmarkt ist nur der Prolog eines Immobilien-Dramas, das 2024 seine Fortsetzung findet.“
Die Hälfte der Vorstände der Volks- und Raiffeisenbanken rechnen laut einer Umfrage für 2024 mit konstanten Preisen (37 Prozent) oder einem leichten Anstieg (13 Prozent) bei den Preisen für Wohnimmobilien. Sorgenkind bleibt die Finanzierung von Neubauvorhaben. 73 beziehungsweise 63 Prozent der Bankvorstände erwarten einen geringen oder sogar starken Rückgang, neben der Zinswende vor allem aufgrund deutlich höherer Baukosten. Im Oktober 2023 veröffentlichte der IVD seine Zahlen. Der Ausblick kann wie folgt zusammengefasst werden: Die Aussichten am Wohnimmobilienmarkt sind positiver als die aktuelle Stimmung. Für 2024 werden sich die Preise seitwärts bewegen. Eine Steigerung sei erst mit einer Absenkung der Zinsen zu erwarten, jedoch nicht vor dem vierten Quartal 2024.
Wirtschaft: Kommt das Deflationsgespenst?
Analyst Kurt Neuwirth von Neuwirth Finance, der regelmäßig Kommentare zu den wichtigsten wirtschaftlichen Neuigkeiten veröffentlicht, schreibt zum Jahresende in seinem Zinskommentar, dass „das Jahr 2024 sehr wahrscheinlich die Zinstrendwende einläuten“ werde. Und er analysiert: „Das Inflationsgespenst könnte sich schon 2024 in ein Deflationsgespenst verwandeln. Nach einer doch beeindrucken Rallye der Inflationsentwicklung sind die Preise inzwischen wieder fast auf dem Niveau vor der Pandemie. Das spiegelt sich auch in den Prognosen der Europäischen Zentralbank (EZB) wider, die für das nächste Jahr eine durchschnittliche Preissteigerung von 3,2 Prozent erwartet.“
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer geht im manager magazin davon aus, dass die Konjunktur weiter gebremst wird. Sie werde dadurch belastet, dass die Zentralbanken in allen westlichen Ländern ihre Leitzinsen im Kampf gegen die hohe Inflation kräftig anheben mussten. Er rechne für 2024 weiter mit einem Rückgang des deutschen Bruttoinlandsproduktes um 0,3 Prozent. Sowohl die Geschäftslage als auch die Erwartungen für die nächsten zwölf Monate sind beim ZIA-IW-Immobilienstimmungsindex (ISI) mit Werten von -5,7 und -12,5 negativ. Für die Geschäftslage ist das der schlechteste Wert seit Beginn der Befragung im Jahr 2014. Das Immobilienklima trübt sich gegenüber dem Vorquartal um -5,0 ein und erreicht mit einem Minus von 9,1 Punkten wieder den Negativrekord der Winterbefragung 2022.
Dazu passen auch die Zahlen einer weiteren Aengevelt-Umfrage: Der Anteil der Unternehmen, die erhebliche, wenn auch nicht existenzbedrohende Verluste erwarten, ist von 21 Prozent im Sommer 2023 auf nun rund 25 Prozent gestiegen. Im Winter 2022/2023 waren es lediglich 16 Prozent. „Meiner Meinung nach ist der Höhepunkt der krisenhaften Entwicklung noch nicht erreicht. Ich schätze, dass es mindestens noch ein halbes Jahr dauert, bis wir den Höhepunkt sehen werden“, sagte Prof. Dr. Steffen Sebastian vom Lehrstuhl für Immobilienfinanzierung (Real Estate Finance) am IREBS Institut für Immobilienwirtschaft der Universität Regensburg, im Dezember 2023. „Ich erwarte zwar keinen Flächenbrand an Insolvenzen. Aber es wird weitere Marktbereinigungen geben.“