Die Kunden sind nicht verloren, und das bringt nun eine gemeinsame Studie von Roland Berger Strategy Consultants und ECE ans Licht. Sie analysiert das Konsumverhalten sowohl in der digitalen Welt als auch im traditionellen Handel. Dabei wurden deutschlandweit rund 42.000 Konsumenten zu ihrem Einkaufsverhalten befragt. Außerdem führten knapp 2.000 Probanden persönliche Einkaufstagebücher: Ausgaben, Zeitpunkt, Produktgruppe und Vertriebskanal wurden darin festgehalten. Daraus ergaben sich sieben verschiedene Kundensegmente mit unterschiedlichen Kaufgewohnheiten, Bedürfnissen und Vorlieben.
Online ja, aber viele andere Facetten
„Wenn der traditionelle Handel seine Stärken erkennt und sie um passende Online-Angebote erweitert, wird er die Verbraucher langfristig auf seiner Seite haben“, erklärt Björn Bloching, Partner von Roland Berger Strategy Consultants, und für ihn ist „der Kampf zwischen Online- und stationärem Handel noch lange nicht entschieden.“ Es gab einige hochinteressante Punkte in dieser Studie, die dem Trend „Internetkauf“ stark entgegenwirken. So war für Alexander Otto, CEO der ECE, „die größte Überraschung die Offline-Affinität vieler junger ‚Digital Natives’. Das zweitgrößte Segment, das wir betrachtet haben, sind junge Menschen mit einer hohen Affinität zum Internet, die aber nur in den seltensten Fällen online einkaufen.“ Diese Generation ist also– obwohl so oft prophezeit– für den stationären Handel nicht verloren. Man muss ihr nur genau das Einkaufserlebnis bieten, das sie mag.
Die identifizierten Käuferprofile variieren stark: von jungen, internetaffinen Kunden, die aber doch vorwiegend stationär shoppen, über effizienzorientierte Multikanalkäufer oder ökonomisch etablierte Verbraucher, die hochqualitative Produkte suchen, bis hin zu den serviceorientierten Rentnern, die fast nur in traditionellen Geschäften einkaufen.
Stationärer Handel oftmals im Vorteil
Dass die Zeiten des traditionellen Offline-Handels noch lange nicht vorbei sind, zeigt die umfangreiche Studie eindeutig: „Zwei Drittel der Konsumenten sind Stammkunden im stationären Handel, d. h. sie kaufen alle zwei Wochen und häufiger im Shoppingcenter oder in der Innenstadt ein. Online gilt dies gerade mal für 13%– Online-Umsatzwachstum hin oder her“, so Henrie W. Kötter, Geschäftsführer Centermanagement von ECE. Dieses Phänomen spiegelt sich auch in den Umsatzzahlen wider: Erwirtschaftete der internetbasierte Handel in Deutschland im Jahr 2012 rund 30 Milliarden Euro, so lag der Umsatz des traditionellen Handels bei knapp 389 Milliarden Euro.
„Sicherlich befindet sich der Online-Handel gerade auf dem Vormarsch, doch der Abstand zwischen On- und Offline-Käufen ist immer noch riesig. Und genau hier liegt das Potenzial des traditionellen Handels“, erläutert Roland-Berger-Partner Lars Luck. „Es stimmt auch nicht, dass der stationäre Handel zum Schaufenster für Online-Händler wird. Im Gegenteil: Einkäufe, die online vorbereitet, dann aber im Geschäft getätigt werden, generieren einen elfmal höheren Umsatz als im umgekehrten Fall Denn viele Verbraucher kaufen am liebsten im Geschäft ein– dort, wo sie die Möglichkeit haben, die Waren anzufassen oder anzuprobieren und sofort mitzunehmen“, sagt Luck.
Doppeltes Einkaufserlebnis
Es scheint fast, als wäre dies für die Käufer eine Form von „doppeltem Einkaufserlebnis“. Zum einen suchen und betrachten sie die Produkte im Internet von zu Hause aus, dann treffen sie sich eventuell mit Freunden, um genau dieses am Vortag ausgewählte Produkt zu erwerben.
Hinzu kommt der wichtige Wohlfühlfaktor: „Kunden besuchen immer wieder gerne bestimmte Geschäfte, weil sie dort passende Angebote in einer angenehmen Atmosphäre mit einer freundlichen und persönlichen Beratung finden. Das trägt zu einer starken Kundenbindung bei“, sagt der Roland-Berger-Stratege Bloching. „Und hier ist der klassische Handel im Vergleich zum Internet einfach unschlagbar.“ So erklärt sich, warum selbst Hightech-Unternehmen, die ganz auf das Internet setzen, große, repräsentative Flagship- Stores in den wichtigsten Zentren eröffnen. „Anlass zur Sorge gibt aber die immer stärkere emotionale Bindungswirkung vieler Online-Shops. Hier muss sich der traditionelle Handel stärker bemühen, den Kunden weiterhin zu begeistern und zu halten“, warnt Bloching. Wenn das gelingt, so eine weitere Erkenntnis der Studie, ist auch der Preis im stationären Handel nicht das wichtigste Kriterium. „Die Kunden, die heute offline kaufen, tun dies im vollen Bewusstsein, dass sie dabei nicht den günstigsten Preis zahlen. Die zunehmende Transparenz ist daher offenbar nicht die zentrale Bedrohung. Vielmehr gewinnt in einer Multichannel-Einkaufswelt der Anbieter, der diejenigen Motive der Kunden kennt, die mehr zählen als der Preis“, so Henrie W. Kötter.
Showrooming ist keine Bedrohung, sondern Chance
Obwohl in Deutschland nur 7% aller Transaktionen online stattfinden, werden hier mittlerweile rund 16% der Umsätze erwirtschaftet. Tendenz steigend. Doch es gibt für stationäre Händler keinen Anlass, angesichts der Online-Konkurrenz zu resignieren. Denn das stationäre Geschäft ist für die meisten Deutschen immer noch die beliebteste Einkaufsmöglichkeit. Außerdem ist der Umsatz, der nach einer Online-Information in die Kassa des stationären Handels gespült wird, elfmal höher als im umgekehrten Fall. Aber auch unabhängig davon gilt: Marken brauchen ein Umfeld, in dem sie sich wertig und wirkungsvoll präsentieren können. Das ist für alle Marken wichtig– „auch und vor allem, wenn sie im Internet erfolgreich sein wollen. Daher sehe ich für uns eine Menge Potenzial, denn wir haben Orte, wo Menschen auf Marken treffen und die das richtige Ambiente bieten“, ist sich Kötter sicher. Mehr noch: „Durch Showrooming und Online-Umsatzwachstum treten plötzlich Flächennachfrager auf, die früher gar nicht über eine Präsenz im stationären Handel nachgedacht haben. Gerade angesichts der schwindenden Bedeutung klassischer Werbekanäle wie TV oder Print und des veränderten Informations- und Kaufverhaltens erkennen diese die zunehmende Bedeutung hochfrequenter Standorte.“
Multichannel, aber richtig
Handelsunternehmen müssen das Potenzial der Internetnutzer aktiv angehen. Dafür kann ein Multichannel-Ansatz sinnvoll sein. Kötter warnt jedoch: „Ein blinder Multichannel-Ansatz bringt für viele ein hohes Maß an Risiko und Komplexität. Das Erfolgsrezept für Händler lautet ganz klar: Ein Händler muss auch in der Multikanalwelt seine Kunden kennen, damit er weiß, wo er die Schwerpunkte in der Multikanalstrategie setzen soll und um die Kanäle am besten zu verzahnen.“ Das Potenzial des Internets zu nutzen, muss gar nicht immer gleich einen eigenen Online-Shop bedeuten. Es geht vor allem um die Zielgruppenansprache, die Warenpräsentation und die Kundenbindung im Netz. Schon die Information im Internet, ob ein Artikel im Ladengeschäft verfügbar ist, wäre für viele Kunden ein starker Besuchsimpuls. „Die Zukunft liegt also in der Verzahnung digitaler Kanäle mit dem stationären Geschäft.“