Je persönlicher und erlebnisorientierter eine Aktivität ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich ins Internet verlagert. Daher werden Restaurants, Hotels und Locations mit sozialem Kontakt langsameren und weniger tiefgreifenden Veränderungen ausgesetzt sein als das Einkaufen, das nur wenige soziale Berührungspunkte bietet.
Der Einkauf – unabhängig von Lebensmitteln – wird sich insofern verlagern und verändern, als er wieder mehr soziale Berührungspunkte bieten wird (müssen). Wer einkaufen will und seine Ruhe haben möchte, kann das durchaus haben. Viele haben die Vorzüge des Internets in gewisser Weise zu schätzen gelernt. Es tat sich eine neue Kundenschicht im Netz auf, die auf menschliche Interaktion beim Einkauf verzichtete. Man war froh, in der eigenen Welt zu sein und nicht vom Verkaufspersonal „belästigt“ zu werden. Zumal der Online-Einkauf den Vorteil hat, dass man auch zu nachtschlafender Zeit einen Shopping-Tour machen kann – und ja, das hat schon etwas. Die bestellte Ware ist in kürzester Zeit vorhanden, und damit gibt es zwei Erfolgserlebnisse: den Kauf an sich und das Erhalten der Ware.
Kundenerlebnis
Lassen Sie uns nicht mehr vom „Kundenerlebnis“, sondern von „menschlicher Erfahrung“ sprechen. Dies ist der Vorschlag, der in einem auf LinkedIn veröffentlichten Artikel von Regine Vanheems, einer Expertin für Omnichannel und Phygitales, vorgebracht wurde. Ihrer Meinung nach sollte das Einkaufserlebnis nicht an Kundschaft orientiert sein, sondern eine Person auf umfassendere Weise einbinden: „Man sollte nicht mehr von dem Erlebnis für Kund:innen sprechen, sondern von der Erfahrung eines Menschen in ihrer Gesamtheit.“ Sie erklärt, dass das Unternehmen die Person freundschaftlich auf dem Lebensweg begleiten und nicht mehr bloß die Erfahrung an den Kontaktpunkten verbessern soll. Die Idee ist, an der Seite der Person präsent zu sein, wenn sie es braucht, anstatt nur dann mit ihr in Kontakt zu treten, wenn man ein Produkt zu verkaufen hat.
Bezugsperson VerkäuferIn
Mit dieser Entwicklung wird auch die Bedeutung des Verkäufers als wirkliche Fachkraft im Geschäft wieder größer. Die Kunden wollen nicht nur persönlich und kompetent beraten werden, sondern auch wieder eine „Bezugsperson“ haben. Was eine soziale und vermutlich auch finanzielle Aufwertung des kompetenten und freundlichen Fachberaters nach sich ziehen dürfte. Verkäufer wird, wer es kann, und nicht, wer es muss. Ein echter Berater muss daher nicht mehr nach dem Modell „Al Bundy“ sein Leben fristen.
Die mehr und mehr werdenden Singlehaushalte bergen diese Entwicklung ja bereits in sich, wenn man so sagen kann. Man geht nicht nur einkaufen, um etwas zu erwerben, sondern auch, um etwas zu erleben, mit Menschen zu sprechen, Kontakt zu haben. Zahlreiche Start-ups in Einzelhandelsflächen bieten den Kaffee und eine Sitzgelegenheit bereits an – Verweildauer inklusive.
Das Einkaufserlebnis zählt
Daneben sind auch einige neue Trends zu beobachten, die „teilweise noch in den Kinderschuhen stecken, aber sich langfristig etablieren werden“, sagt Elisa Stadlinger, Leitung Gewerbeimmobilien bei der ÖRAG: „Dazu zählen insbesondere die Themen Nachhaltigkeit, Regionalität, Secondhand, E-Commerce-Lebensmittel und weiterhin das Experience-Shopping.“ Wichtig ist nicht mehr die Flächenproduktivität, sondern das Erlebnis pro Quadratmeter. Die Erfahrung mit allen Sinnen steht im Vordergrund. Viele der Händler, die heute erfolgreich sind, verkaufen nicht mehr nur Waren, sondern auch Erlebnisse. Die Waren sind gut präsentiert und in eine Geschichte, in Lebensräume, Spiel- und Spaßstätten eingebunden. Die Sinne werden angesprochen, das ganzheitliche Kauferlebnis steht im Vordergrund.
Seconhand gegen Fast Fashion
Einer der Träger dieser neuen Entwicklung wird der Secondhand-Markt sein. Der Handel mit Waren aus zweiter Hand lässt sich auf x-beliebigen Flächen unterbringen, es muss nur noch ein spannendes Konzept dahinterstehen. Und wer kauft? Der globale Secondhand-Modemarkt ist aktuell zwischen 30 und 40 Milliarden Dollar wert und wird in den kommenden fünf Jahren um bis zu 20 Prozent wachsen. Das zeigt eine Analyse der französischen Modeplattform Vestiaire Collective. Etwa sieben von zehn Konsumenten wollen künftig mehr gebrauchte Kleidung kaufen. Andere Plattformen gehen von noch höheren Zahlen aus und rechnen damit, dass Secondhand Fast Fashion irgendwann überholen wird.