Unterschiedliches Wachstum
Dieses enorme Bevölkerungswachstum ist aber nicht auf alle Kontinente gleich verteilt. Es betrifft hauptsächlich die Dritte Welt, vor allem Asien und Afrika. Die Gründe dafür sind in den Entwicklungsländern zum Teil die gleichen wie in Europa vor der Industrialisierung. Eine große Anzahl von Kindern bedeutet eine zusätzliche Einnahmequelle. Besonders in der Landwirtschaft– aber auch in anderen Bereichen bis hin zur Textilindustrie– werden schwere Arbeiten von Kindern verrichtet.
In den westlichen Industrieländern in Europa und in den USA nimmt die Bevölkerungszahl eher ab. Gründe dafür stellen die Überalterung und die sinkende Geburtenrate dar. Die Lebenserwartung liegt in der EU gegenwärtig bei 81 Jahren für Frauen und 75 Jahren für Männer. Im Gegensatz dazu beträgt die Geburtenrate im EU-Durchschnitt lediglich 1,4 Kinder pro Familie. Umberto Eco sagte so treffend: „Wenn der Trend zur Ein-Kind-Familie anhalten sollte, wird es bald keine Tanten und Neffen mehr geben.“
So unterschiedlich die Bevölkerungsentwicklung auch ist, es zeigt sich in einem Punkt in allen Ländern das gleiche Bild.
Das Zeitalter der Städte
Während die Einwohnerzahl früher auf dem Land anstieg, betrifft das heute die Städte, wie Statistiken belegen: Rund die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Städten, zwei Drittel werden es in knapp 30 Jahren sein. In Lateinamerika sind es bereits 80%, die in Stadtagglomerationen leben.
Neben dem Wachstum der Megacities– das sind Städte mit mehr als zehn Millionen Einwohnern– findet das städtische Wachstum vor allem in den dynamischen Klein- und Mittelstädten mit unter fünf Millionen Einwohnern statt.
Stadt-Land-Gefälle
In den industrialisierten Ländern sieht das Stadt-Land-Gefälle ähnlich aus, wie ein österreichisches Beispiel zeigt: Rund 1,8 Millionen Menschen leben aktuell in Wien, etwas mehr als 28.000 Einwohner zählt der obersteirische Bezirk Murau. Geht es nach der jüngsten Bevölkerungsprognose der Statistik Austria, werden 2030 bereits 2,1 Millionen Menschen in der Bundeshauptstadt zu Hause sein, in Murau hingegen nur noch 25.000. Plus 17% in der Metropole, minus 11% in der steirischen Provinz– ein Sinnbild für die unterschiedliche Entwicklung in Stadt und Land, verursacht durch den demographischen Wandel.
Konzentration auf wenige Städte
Mit ein Grund für die immmer geringere Bevölkerungsdichte auf dem Land ist auch ein geändertes Wanderungsmuster. Vor allem Menschen zwischen 30 und 35 Jahren, die gerade voll ins Berufsleben starten, konzentrieren sich mehr und mehr auf wenige Städte, wie in einer Studie für die deutsche Wohnungswirtschaft nachgewiesen wurde. Das verschärft in einigen Städten Deutschlands die Wohnungsknappheit, während die ländlichen Gebiete ausgedünnt werden.
Schrumpfende Städte
All diese Trends in Europa bewirken, dass wir uns bei dem Thema „Stadt und Immobilie“ mit einem ganz anderen Problem auseinandersetzen müssen, mit dem der schrumpfenden Städte. Siedlungen am Rande der Stadt durchleben einen Prozess der Verkleinerung, während gleichzeitig die Alt- und Innenstädte ihre Anziehungskraft entfalten.
Dies bedeutet, dass die Schrumpfung tendenziell– umgekehrt zum Wachstum einer Stadt– von außen nach innen erfolgen wird. Frei werdende Flächen in zentralen Lagen werden leichter einen Nachnutzer finden als dezentral gelegene. Aufgrund der geringen Elastizität des Immobilienangebots ist jedoch davon auszugehen, dass dieser Prozess sehr langsam verläuft und sich zunächst eine perforierte Siedlungsstruktur ergibt. Ein Abriss wird in der Regel erst dann erfolgen, wenn die Mieten so weit gesunken sind, dass sie die Instandhaltungskosten nicht mehr decken.
Herausforderung für die Bewertung
Für die Bewertung von Immobilien bedeutet diese Entwicklung aber eine große Herausforderung. Immobilienprojekte leben davon, im Zeitrahmen zwischen 30 und 60 Jahren am Markt konkurrenzfähig zu sein. Neben der Immobilie muss man sich ganz wesentlich auch mit dem Standort– sowohl im Mikro- als auch im Makrobereich– auseinandersetzen, und auch damit, wie sich die Bevölkerung an diesem entwickeln wird– nämlich in beide Richtungen– denn daraus resultiert letztendlich der Wert der Immobilie.