Worin sehen Sie derzeit die großen Herausforderungen in der Baubranche?
Achammer: Die Planungs-, Bau- und Immobilienindustrie steht in den nächsten Jahren vor der substanziellen Herausforderung, jene Reorganisationsprozesse, die der Rest der Industrie bereits hinter sich hat, endlich umzusetzen. Noch immer produzieren die vorhandenen Misstrauensstrukturen „Bauherr gegen Planer gegen Ausführung gegen Betrieb“ über 30% Verschwendungspotential in jedem einzelnen Teilprozess.
Was ist die Folge daraus?
Achammer: Dies führt dazu, dass die Baukosten kontinuierlich steigen, die Gesamtkosten–speziell am Wohnungsmarkt– für die zukünftigen Nutzer nicht mehr leistbar sind und gleichzeitig die Gewinnmarchen aller Beteiligten auf einem ökonomisch nicht nachhaltigen, niedrigen Niveau bleiben– wenn sie überhaupt positiv sind.
Inwiefern betreffen Ihre Aussagen auch den Bestand?
Achammer: Neben diesen notwendigen Prozessveränderungen wird sich im Hochbau der Schwerpunkt in den nächsten Jahrzehnten auf den kreativen Umgang mit der bereits gebauten Substanz verlagern. In allen wesentlichen Planungszweigen beobachten wir den Trend, Bestandsstrukturen zu adaptieren oder alternativenNutzungen zuzuführen. Dies bringt ganz neue Herausforderungen für die Planungs- und Bauindustrie. Beginnend von der präzisen Bestandserfassung hinsichtlich Nutzung und technischenZustands über die Entwicklung neuer Planungsmethoden zur Ergänzung der bestehenden Modelle bis hin zu alternativen Baumethoden und Materialien, die der Aufgabenstellung von lebenszyklusorientierten Gebäuden gerecht werden.
Dabei muss die unterschiedliche Lebensdauer verschiedener Gebäudeteile schon in der Planung berücksichtigt werden. Tragstrukturen können 100 Jahre überdauern, Fassade und Dach erfordern nach 30 Jahren einen Austausch und Haustechniksysteme müssen zum Teil nach 15 Jahren erneuert werden. Darüber hinaus erfordern kürzere Nutzungszyklen viel höhere Flexibilität im Innenausbau, der teilweise in 5- bis 10-Jahreszyklen komplett verändert wird.
Was sind für Sie die Grundvoraussetzungen für ein nachhaltiges (energieeffizientes) Bürohaus?
Achammer: Vorerst muss klargestellt werden, dass Energieeffizienz nur einen ganz kleinen Teil des Anspruchs an die Nachhaltigkeit eines Gebäudes erfüllt. Sowohl hinsichtlich der ökonomischen wie auch der ökologischen Beurteilung spielt der Energieverbrauch eine Rolle, die sich im niedrigen einstelligen Prozentbereich bewegt.
Darüber hinaus muss der Benchmark auch in diesem Bereich nicht der Energieverbrauch, sondern die CO2-Belastung unter Berücksichtigung der Herstellungs-, Wiederaufbereitungs- und und Entsorgungsprozesse der verwendeten Materialien sein. In diesem Zusammenhang sind die nationalen und europaweiten Energiesparauflagen ein Beispiel sehr eingeschränkter, wenn nicht gar kontraproduktiver Politik.
Was müsste Ihrer Meinung nach geschehen?
Achammer: Um die Vitruvschen Tugenden (Marcus Vitruvius Pollio war ein römischer Architekt, Anm. d. Red.) für ein gutes nachhaltiges Haus zu erfüllen– utilitas, fimitas etvenustas– (Nützlichkeit, Stabilität und Schönheit, Anm. d. Red.) müssen auch im Bürohausbau Gebäude integral entwickelt werden. Das heißt, ausgehend von der Bestellqualität der zukünftigen Nutzer müssen Architekten und Ingenieure intelligente und ästhetisch anspruchsvolle Lösungen entwickeln, die mit einem Minimum an Ressourcenverbrauch bei der Errichtung und einfacher Bedienung hohen Nutzerkomfort garantieren.
Auch wenn die Energiekosten möglicherweise noch für längere Zeit Marginalien darstellen, sollte ein Bürogebäude in unseren Breiten nicht notwendigerweise nur mit einer hochkomplexen Haustechnikanlage benutzbar sein.
Lebenszyklus von Gebäuden– Ihre Gedanken dazu?
Achammer: Die meisten Definitionen für die Lebenszyklusbetrachtung von Gebäuden versuchen dies letztlich mit einer lebenszyklusorientierten Kostenbetrachtung quantifizierbar zu machen. Diese reine Kostenbetrachtung greift aber bei der Lebenszyklusbeurteilung von Gebäuden zu kurz, da eine seriöse Nachhaltigkeitsdefinition jede Menge an nicht-monetarisierbaren Kriterien umfasst.
In welchem Bereich sehen Sie die Zukunft des Bauens?
Achammer: Obwohl die Bauindustrie wesentlichen Anteil an jeder Volkswirtschaft hat, ist sie zumindest in Hochbau weitgehend forschungsfrei. Abgesehen von der Forschung zu neuen Baumaterialien und der Erforschung der Baugeschichte liegen erstaunlicherweise wenige Ergebnisse hinsichtlich der Inhalte und Konsequenzen der Planungs- und Bauprozesse wissenschaftlich dokumentiert vor. Damit fehlt ein wichtigerHebel, um Planungsprozesse substanziell verändern zu können. Die nunmehr populären Gebäudezertifikate haben hier zwar auf der Marketingebene eine erfreuliche Bewegung ins Spiel gebracht und die Immobilienindustrie auf dieses Thema zumindest aufmerksam gemacht, aber inhaltlich noch nicht zu wirklichen substanziellen Veränderungen beigetragen.
Wie könnte eine substanzielle Veränderung aussehen?
Achammer: Um wirkliche Veränderungen herbeizuführen, sind meines Erachtens drei durchaus optimistische Ausblicke möglich.
Wir müssen versuchen, unsere Diskussionen präziser zu führen und wissenschaftlich zu untermauern. Wir können künftig so komplexe Systeme wie Häuser nicht nur in Geld, CO2-Werten oder gar Energieverbräuchen klassifizieren. Ein Bruchteil der heute eingesetzten Mittel zur scheinbaren Reduzierung des Energieverbrauchs würde–umgeleitet in Forschung und Entwicklung–zu vielfach höheren Multiplikatoreffekten führen.
Wir müssen unsere Prozesse ändern. Nachhaltige und lebenszyklusorientierte Gebäude sind ohne integrale Planung nicht möglich. Was uns die gesamte restliche Industrie seit Jahrzehnten vormacht, muss auch in der Bauindustrie ankommen. Beginnend bei der Berufserwartung über die Ausbildung bis hin zur gelebten Praxis und den daraus resultierenden neuen Strukturen werden sich sehr schnell Veränderungen ergeben.
Die Möglichkeit, virtuell Gebäude zu modellieren, bevor der erste Stein gesetzt wird, sind unter dem Überbegriff BIM–Building Information Modeling–nunmehr reale Möglichkeit. Damit werden wir in die Lage versetzt, Gebäude vor ihrer Errichtung nach verschiedensten Kriterien zu simulieren, und können damit in ganz neue Qualitätswelten vorstoßen. Die ewige Ausrede, dass Bauen nicht industriell sein kann, weil Gebäude immer Prototypen sind, wird mit dem Anspruch von Industrie 4.0–industriell arbeiten mit Losgröße 1–endgültig zu Ende sein.