Überblick Einzelhandelsmarkt
Die massiven wirtschaftlichen Verwerfungen haben die Situation für den Handel in vielerlei Hinsicht verschlechtert. Das Konsumklima hat sich umfassend eingetrübt, die schweren Probleme bei den globalen Lieferketten führen dazu, dass Waren teilweise nur mit großer Verzögerung verfügbar sind, die Einkaufspreise sind deutlich gestiegen und die hohen Energiekosten schlagen sich auch in den Kostenstrukturen der Einzelhändler nieder.
Das Resultat dieser vielzähligen Herausforderungen lässt sich in den Kennzahlen der Handelsbranche deutlich ablesen. Laut Handelsverband lagen die Einzelhandelsumsätze im zweiten Quartal 2022 um acht Prozent unter den Vergleichswerten des Vorjahrs, rein auf den Non-Food-Bereich bezogen fiel der Rückgang noch stärker aus. In etwas geringerem Maße ist auch die Gastronomie von der Krise erfasst. Die Hauptprobleme sind hier die deutlich gestiegenen Einkaufspreise sowie der immer stärker zu verspürende Personalmangel. Die in Form höherer Preise weitergegebenen Kostensteigerungen trüben die Konsumlaune der Gäste.
Die Ukrainekrise überlagert derzeit einige durchaus positive Entwicklungen: Die weitgehende Aufhebung der Coronabeschränkungen und die bis Jänner erfreulichen Konjunkturaussichten ließen einen deutlichen Aufschwung erwarten. Auch die große Zahl neu auf den Markt kommender Handelskonzepte stimmt optimistisch, dass der stationäre Einzelhandel die Herausforderung durch die Online-Konkurrenz in Innovation und neue Dynamik verwandeln kann. Ein Pluspunkt ist zudem die Rückkehr des Städtetourismus, der wie- der einen größeren Beitrag zu den Einzelhandelsumsätzen leistet.
Flächennachfrage
Kurzfristig ist die Flächennachfrage als Folge der schwachen Einzelhandelsentwicklung sehr deutlich zurück- gegangen. Zu den Gewinnern der aktuellen Situation zählen wenig überraschend Non-Food-Diskonter wie beispielsweise Action, NKD oder TEDi, die weiterhin expandieren und Standorte für zusätzliche Filialen suchen. Interesse an innerstädtischen Standorten gibt es auch vom Möbelhandel und neuen Showroom-Konzepten.
Unverändert gut ist die Nachfrage seitens des Lebensmittelhandels, der traditionell wenig krisenempfindlich ist. Auffällig ist, dass auch in diesem Marktsegment Diskonter bzw. die Diskontlinien integrierter Handelskonzerne zusätzliche Flächen suchen, da viele Konsumenten die allgemeinen Preissteigerungen mit dem Griff zu günstigeren Produkten zu kompensieren versuchen.
Nichtsdestoweniger mieten ausgewählte Luxusmarken in Spitzenlagen trotz des schwierigen Umfelds neue Flächen an. Das prominenteste Beispiel hierfür ist Bulgari, das Label hat vor kurzem am Kohlmarkt einen neuen und sehr sehenswerten Store eröffnet. Auch einige weitere internationale Spitzenmarken prüfen derzeit insbesondere in der Innenstadt Möglichkeiten für neue Filialen und Flagshipstores. In diesem Marktsegment gibt es weiterhin einen Nachfrageüberhang und freiwerdende Flächen können in kürzester Zeit neu verwertet werden.
In einigen anderen Marktsegmenten ist hingegen ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen: Zusätzliche Flächen werden nur vereinzelt angemietet, zahlreiche bereits weit fortgeschrittene Mietverhandlungen werden „on hold“ gestellt, um die weitere Entwicklung abzuwarten. Zudem werden auslaufende Mietverträge in durchaus nennenswertem Maße nicht verlängert und Flächen zurückgegeben. Prominente Beispiele dafür sind etwa die Schließung eines großen Benetton-Shops oder die Reduktion der Mietfläche bei Peek & Cloppenburg (von bisher sechs auf künftig nur mehr fünf Etagen für den Verkauf) auf der Mariahilfer Straße. Reduktionen wer- den allerdings oft mit umfassenden Umbau- und Modernisierungsarbeiten verbunden, um die verbleibenden Flächen aufzuwerten und zu optimieren.
Flächenbestand / Flächenangebot
Angebotsseitig gibt es auf dem Markt für Einzelhandelsimmobilien schon seit geraumer Zeit relativ wenig Bewegung. Investitionen fließen am ehesten in die Verbesserung bestehender Objekte, zusätzliche Flächen werden kaum geschaffen. Am ehesten erfolgt dies im Rahmen von Wohnbauprojekten, bei denen in den Erdgeschoßzonen Einzelhandelsbereiche angesiedelt sind. Eine positive Flächenbilanz gibt es (laut Standort + Markt) auch im Bereich der Fachmarktzentren – seit 2019 wurden beispielsweise 17 Fachmarktagglomerationen neu eröffnet – was u.a. auch auf die gute Entwicklung des Lebensmitteleinzelhandels, der Drogeriemärkte und der Non-Food-Diskonter zurückzuführen ist.
Insgesamt werden aber weiterhin mehr Flächen aus dem Markt genommen als hinzukommen, das geschieht vor allem in schwächeren Stadtlagen. Damit sinkt die Verkaufsfläche / Einwohner, was in Anbetracht des deutlich über dem europäischen Schnitt liegenden Werts durchaus vorhersehbar war.
Mietentwicklung
Aufgrund der schwierigen politischen und wirtschaftlichen Situation, der gesunkenen Nachfrage und der Befürchtung erheblicher Betriebskostennachzahlungen sowie künftig deutlich steigender Betriebskosten aufgrund der hohen Energiepreise geraten die Mieten immer mehr unter Druck. Je nach Lage ist das allerdings in sehr unterschiedlichem Ausmaß der Fall. Am wenigsten sind die Toplagen in Shopping-Centern, Fachmarktzentren und Innenstädten betroffen, in denen Interessenten teilweise weiterhin auf freiwerdende Flächen warten, um bereits länger geplante Ansiedlungen realisieren zu können.
Seitens des Handels wird immer öfter darauf hingewiesen, dass die wegen der hohen Inflation anstehenden Mietsteigerungen durch die Indexierung aktuell nur schwer finanzierbar seien. In einigen Fällen wird es auch tatsächlich erforderlich sein, hier Kompromisse zu akzeptieren, um Ausfälle zu vermeiden.
Bei der Verlängerung von Verträgen und Neuvermietungen wird (zumindest so lange die Rahmenbedingungen so kompliziert sind wie jetzt) eine Durchsetzung der bestehenden Mieten plus Indexierung oft nur schwer möglich sein. Insgesamt wird die Entwicklung der Einzelhandelsmieten daher zumindest hinter der Inflationsrate zurückbleiben, echte Rückgänge sind derzeit aber nicht die Regel.
Ausblick
Kurzfristig ist im Bereich Flächenangebot und Flächennachfrage mit einer weitgehenden Stagnation zu rechnen, da weder Einzelhändler noch Investoren in der aktuell schwierigen und unsicheren Wirtschaftslage Risiken eingehen wollen. Wie sich die Situation mittelfristig entwickeln wird, hängt daher auch in hohem Ausmaß von der Dauer des Ukrainekonflikts und der damit verbundenen Gas- und Energiekrise ab. Solange diese Gegebenheiten herrschen, werden auch die Mietpreise unter Druck bleiben.
Bei einer Normalisierung des ökonomischen Umfelds ist zu erwarten, dass der Einzelhandel an die positiven Trends, die bis zur Ukrainekrise zu registrieren waren, anknüpfen wird: Änderung der Branchenstrukturen in Einkaufsstraßen und Einkaufszentren durch die rückläufige Bedeutung von Branchen wie Textil oder Schuhe und steigende Anteile von Lebensmittel, Sport und Diskontern, Wiederentdeckung urbaner Standorte durch traditionell an der Peripherie angesiedelte Branchen wie den Möbelhandel, Verknüpfung von Online- und Offline-Konzepten unter dem Schlagwort „Phygital“ (Physisch + Digital) und weitere Konzentration auf die Toplagen.
Unabhängig von konjunkturbedingten Unwägbarkeiten wird das Thema Nachhaltigkeit massiv an Bedeutung gewinnen. Der gesetzlich verlangte Ausstieg aus Öl und Gas umfasst auch Einzelhandelsflächen und für Investoren wird die EU-Taxonomie erheblichen Handlungsbedarf zur Verbesserung der ökologischen Nachhaltigkeit bringen.