Wie stellt sich für Sie die aktuelle Situation in der Branche dar? Waren diese Probleme zu erwarten?
Thomas Glanzer: Lassen Sie es mich so ausdrücken: Unsere Gesellschaft leidet zunehmend unter einer stark reduzierten Aufmerksamkeitsspanne. Das macht sich überall bemerkbar. Damit verschwindet auch die Bereitschaft, Dinge zu hinterfragen – eine Fähigkeit, die ich für zentral halte. Man sollte sich immer fragen: Ist das, was man hört, wirklich plausibel?
Dazu kommt der Einfluss der sozialen Medien: Sie ermöglichen extrem schnelle und intensive Reaktionen – ein Like oder Dislike ist in Sekundenschnelle gegeben. Das führt aber dazu, dass kaum jemand bereit ist, tiefer zu denken oder weiterzudenken.
Und genau dieses „Nicht-Weiterdenken“ hat in unserer Branche dazu geführt, dass viele Unternehmen, insbesondere jüngere und weniger etablierte, jetzt in einer schwierigen Lage sind.
Die Glücksritter verlassen also die Branche?
TG: Genau. Im Projektentwicklungsgeschäft werden wir einige bekannte Namen verschwinden sehen. Das betrifft nicht nur Österreich, sondern ganz Europa – mit langfristigen Auswirkungen auf den zentraleuropäischen Markt. Ich gehe aber davon aus, dass einige Namen unter anderer Fahne bald wieder aktiv die Immobilienindustrie heimsuchen werden. Dann geht es wieder darum, Immobilien zum reinen Finanzprodukt zu machen – mit der Folge, dass architektonische Kunst, bauchtechnische Innovation und gesellschaftliche Identitätsstiftung von Immobilien in den Hintergrund geraten. Der Mensch lernt leider nicht aus der Geschichte. Philosophisch gesprochen: Die Vorstellung, dass wir uns evolutionär weiterentwickeln, halte ich für überschätzt. Sobald man mit etwas Geld verdienen kann, wird der moralische Schatten übersprungen, und die Vernunft bleibt auf der Strecke. Das sehen wir gerade retrospektiv – und erleben die Konsequenzen.
Wie schätzen Sie die allgemeine wirtschaftliche Lage ein?
TG: Wir stehen vor einer globalen real- und gesellschaftspolitischen Wandlungsphase, die enormes Potenzial hat. Es kann großartig werden – oder auch nicht. Unternehmerisch kann es in den kommenden Jahren weniger darum gehen, das Spiel zu gewinnen, sondern eher darum, überhaupt im Spiel zu bleiben. Es wird zur Frage des Überlebens.
Persönliche Kontakte, Verlässlichkeit und Vertrauen werden entscheidende Rollen spielen. Gerade in diesen unsicheren Zeiten zeigt sich, wie wertvoll echte Beziehungen sind.
Aber meiner Einschätzung nach kann niemand diese Frage qualitativ abschließend beantworten. Ich persönlich glaube jedenfalls an das halb volle Glas, also an einen positiven Ausgang dieser Wandlungsphase.
Wie sehen Sie die Zukunft für AluKönigStahl? Was machen Sie anders?
TG: Unsere Unternehmensstrategie basiert auf einem bewussten Fokus auf den europäischen Binnenmarkt – sowohl in der Produktion als auch im Vertrieb. Das mag früher konservativ gewirkt haben, aber genau das hat uns Krisenresistenz verliehen.
Wir sehen uns nicht nur als Handelsunternehmen, sondern mehr noch als Technik- und Logistikpartner. Unser Ziel ist es, echten Mehrwert für unsere Kunden zu schaffen – sei es durch technische Beratung, Validierung oder Kostenschätzungen. Es geht darum, Planungssicherheit zu bieten. Und natürlich müssen Liefer- und Produktionszeiten verlässlich sein.
Intern nennen wir das „Möglichmacher“ – die Kunden werden dabei unterstützt, ihre Ziele zu erreichen, sowohl technisch als auch wirtschaftlich. Diese Lösungskompetenz wird in Zukunft noch wichtiger werden.
Digitalisierung und KI: Wie bewerten Sie diese Entwicklungen?
TG: Durch KI wird unser Geschäftsmodell in einigen Bereichen angepasst und in anderen sogar disruptiert. Wir müssen uns alle an der eigenen Nase nehmen und auf Basis unserer Kompetenzen Lösungen finden. Ich mache mir keine Sorgen, dass uns KI arbeitslos macht. Wie jede technologische Revolution bringt auch diese neue Berufe mit sich.
Entscheidend ist die Bereitschaft, diese Veränderungen aktiv mitzugestalten. Es liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen. Wenn eine Tür zugeht, öffnet sich eine andere.
Nachhaltigkeit ist seit Jahren ein prägendes Thema. Wie sehen Sie die Vorgaben der EU?
TG: Der Green Deal ist strategisch der richtige Weg, aber die Umsetzung ist problematisch. Wir sollten den „Elefanten“ nicht auf einmal essen wollen, sondern in Scheiben. Es geht darum, Ideen und Geisteshaltungen weiterzuentwickeln, statt bürokratische und formale Barrieren auszubauen.
Durch die vielen Interpretationen und die Volatilität der Inhalte erreichen wir noch nicht die gewünschte Vergleichbarkeit. Ein qualitativer Standard wird aus meiner Sicht sicher noch an die fünf Jahre brauchen.
Ist die Komplexität der Nachhaltigkeitsvorgaben also überfordernd?
TG: Absolut. Mit allein mehr als 1.200 Datenpunkten im CSRD-Bereich stehen wir alle vor einer Mammutaufgabe. Um die Akzeptanz des Green Deal zu sichern, müssen wir diese Komplexität reduzieren. Zu viel Formalismus führt zu Widerstand. Wir versuchen gerade, einen Green-Deal-Sportwagen zu verkaufen, obwohl wir noch auf einem Skateboard stehen.
Können wir den Green Deal schaffen?
TG: Ja, aber es wird seinen Preis haben – nämlich Komfortverzicht. Wir müssen lernen, auf gewisse Wohlstandsansprüche zu verzichten. Die Frage ist: Wie reduzieren wir Komfort gesamtgesellschaftlich, ohne in die Steinzeit zurückzufallen?
Ich plädiere dafür, unsere materialistischen Ziele zu hinterfragen. Muss es immer der teure Sportwagen oder die Luxusreise in weite Ferne sein? Natürlich bleibt materieller Erfolg wichtig, ja meiner Meinung nach ist er der Grundstein für einen gewissen Ansporn zu Verbesserung, Innovation und Produktivitätssteigerung.
Aber wo ist denn genug? Sind echte Zeit mit der Familie, „Quality Time“, Urlaub in Österreich oder Europa wirklich so uncool?
Wenn ich mir unter der Überschrift „Nachhaltigkeit“ für die kommenden Generationen Gedanken mache, heißt das für mich: Worauf sind wir, bin ich bereit zu verzichten? Und ich möchte da ganz ehrlich bleiben: Ich kann diese Frage für mich selbst noch nicht eindeutig beantworten, aber versuche in kleinen Schritten vorzugehen, ein bisschen nach dem japanischen Kaizen-Prinzip. (Anm. d. Red.: Die Kaizen-Philosophie beschreibt eine Denkweise, bei der kleine, schrittweise Änderungen im Laufe der Zeit eine große Wirkung erzielen.)