Welche Immobilien braucht die Gesellschaft von morgen?
Eine Gesellschaft, die sich in einer Veränderung befindet – einige sprechen sogar von einem kompletten Umbruch; auf jeden Fall stehen uns neue Zeiten bevor. In den vergangenen 18 Monaten hat sich jedenfalls viel verändert. Wie wird sich das kurz- und vor allem langfristig bei den Immobilien zeigen?
Auf dem Podium diskutierten:
Evgeni Gerginski, Hawlik-Gerginski Architekten
Stefan Goigitzer, Coore Real Estate
Nikolaus Lallitsch, Raiffeisen Immobilien Österreich
Stefan Wernhart, EHL Gewerbeimmobilien
Ein „Glücksdorf“ in der Steiermark als Konzept für die Zukunft
Nikolaus Lallitsch (Raiffeisen Immobilien) eröffnet die Runde und erklärt das Konzept des „Glücksdorfs“, das auf seine Idee zurückgeht. Lallitsch sieht die Urbanisierung als „Megatrend“, als weltweite Bewegung. Aber: Parallel dazu gebe es eine Gegenbewegung „aus der Stadt hinaus in die grünen Ränder“, wo Menschen „das Echte, das Reine, das Beschauliche“ suchen und finden. Im Dreieck Lage-Leistbarkeit-Lebensqualität finden sich laut Lallitsch „viele Gegenden, gerade für junge Familien, auf der Suche nach dem Landleben“. Aber auch die ältere Generation, die „das tägliche eight-to-five“ nicht mehr brauche und „in dem Hamsterrad mitmachen“ wolle, werde in dem „Glücksdorf“ bedient: Keine Retortenstädte, sondern „neues Leben“ rund um bestehende Ortskerne, „rund um den Kirchenwirt und die Bank am Hauptplatz“, um der vorhandenen Infrastruktur neue Kraft zu geben. Die Raiffeisen habe in der Steiermark bereits einige Locations gefunden, wo dieses neue Konzept der Wohnmöglichkeit „als Hauptwohnsitz mit Lebensqualität“ greifen soll.
Wie steht es um die Zukunft der Büro-Immobilien?
Stefan Wernhart (EHL Gewerbeimmobilien) analysiert die veränderte Nachfrage bei Büroflächen. Wernhart sieht durch die Pandemie einen „enormen Hemmschuh“, wobei sich gewisse Parameter in ihrer Bedeutung nicht ändern: „Die Lage war und bleibt wichtigstes Ausschlags-Kriterium. Von der Verkehrsanbindung bis zur Infrastruktur.“ Immer wichtiger werde der Nutzungs-Mix, sieht Wernhart: Immo-Inhaber wünschen sich in Büro-Gebäuden eine belebte Erdgeschoss-Zone, mit Co-Working-Cafes und Service-Office-Provider gleich innerhalb des Hauses. Die Tendenz gehe demnach weg vom „klassischen“ Büro-Immobilien-Gebrauch hin zu „flexiblen, lebendigen“ Gebäuden.
Was bedeutet die Gesellschafts-Veränderung für den Einzelhandel?
Stefan Goigitzer (Coore Real Estate) sieht eine „wider Erwarten kurzfristig positive Entwicklung“ am Retail-Markt. Neue Konzepte drängen auf den Markt, die sich als physische Alternative zum Online-Handel präsentieren. Die Zukunft werde eine „Zusammenführung von Online und Stationär“ bringen mit neuen Konzepten in „guten, urbanen Lagen“ – besonders, was den Lebensmittelhandel betreffe, sagt Goigitzer, und unterstreicht: „Die Flexibilität wird immer wichtiger.“
Nach der Sommerpause wird die ImmoLive-Community wieder aktiv
Die Zuseherinnen und Zuseher stellen ihre Frage an die Expertenrunde, und bekommen Antworten. Etwa, was die Entwicklung von Zinshäusern betrifft. „Ein Paradebeispiel für flexible Nutzung in guten Lagen“, sagt Evgeni Gerginski (Hawlik-Gerginski Architekten). Dennoch brauche es in Zinshäusern „neue Konzepte für die Nachrüstung“, insbesondere was die Nachhaltigkeit betreffe. Gerginski sieht auch „zwei Geschwindigkeiten“ zwischen Wohn- und Gewerbebauten. Im Gewerbe wollen Entwickler „modern auftreten“, haben das Thema Nachhaltigkeit stärker am Radar als im Wohnbereich. „Da geht es um Baukosten, um Leistbarkeit. Da sträuben sich Investoren vor Experimenten“, so Gerginski. Er sieht „kompakte Wohnformen“ gefragt, der „große Sprung“ Richtung mehr Wohnfläche für Home-Office sei noch nicht wirklich spürbar in der Planungs-Anforderung von Neubauten. „Aber klar: Mehr Freiräume, mehr Flexibilität in den Grundrissen sind gefragt.“
Stefan Wernhart (EHL Gewerbeimmobilien) wird zum „Home-Office ums Eck“ befragt, etwa in „Villen-Vierteln“ wie Rodaun in Liesing, wo es derzeit kaum Büroflächen gebe. „Das wird wohl Thema werden“, sagt Wernhart, und bezieht sich auf Einpendler aus dem Wiener Umland. Die „klassischen“ Wohngegenden hätten aber noch nicht die Infrastruktur, um die Anforderungen von Bürogebäuden zu bedienen.
Kinderzimmer oder Extrazimmer fürs Home-Office?
Nikolaus Lallitsch (Raiffeisen Immobilien) zitiert Zahlen, wonach „jede Österreicherin, jeder Österreicher durchschnittlich auf 45 Quadratmetern“ wohnt. Das ist eine Herausforderung: Wohnen wird teurer, weil „wir mit dem Platz bestmöglich umgehen müssen“, das werde die Immo-Branche in der Zukunft definitiv begleiten.
Evgeni Gerginski (Hawlik-Gerginski Architekten) ergänzt: Die Transformation der gewidmeten Gebäude – etwa neue Wohnungen in alten Bürobauten – finde bereits statt. Gerade in guten Lagen sei das „die logische Schlussfolgerung, daraus Wohnraum zu schaffen. Technisch ist das alles machbar.“
„Das ist tatsächlich das Gebot der Stunde: Städte innen verdichten, nach außen dünner werden“, sagt Nikolaus Lallitsch (Raiffeisen Immobilien) und nennt das Phänomen des „Schwimmreifens“, wo Speckgürtel-Zonen „sehr fett“ aufgerüstet würden. „Wir müssen die Idealnutzung von Innen nach Außen definieren, und aufhören die grüne Wiese zu betonieren“, appelliert Lallitsch.
Im Sinne der Nachhaltigkeit: Kaufen wir künftig gänzlich online ein?
Stefan Goigitzer (Coore Real Estate) sieht das „Decken der täglichen Bedürfnisse“ über den Online-Handel „theoretisch möglich“. Aber: Das physische, emotionale „Shopping-Erlebnis“ könne durchs Internet nicht ersetzt werden. Zumal „Innenstädte, Ortskerne aussterben“ würden. Wenn Lagerhallen für die Logistik das klassische Geschäft ersetzen, „und nur mehr Elektro-LKW herumfahren und uns zuhause beliefern“, dann „kann mich mir das nicht vorstellen“, sagt Goigitzer.
Eine „provokante Idee“ nennt Goigitzer die Prognose, dass sich künftig nur mehr „Luxus-Labels“ in der Innenstadt ansiedeln, und der tägliche Bedarf ausschließlich im Umland gedeckt wird. „Sogar während des Lockdowns, als die Geschäfte geschlossen hatten, waren die Einkaufsstraßen voll“, sagt Goigitzer. Der Handel sei in der Vergangenheit schon immer flexibel gewesen, er verweist auf die „24/7 Lebensmittelcontainer“, wo mit „der Kreditkarte immer eingekauft“ werden könne.
Werden die Shopping-Zentren wieder zum Ort der sozialen Zusammenkunft?
Stefan Goigitzer (Coore Real Estate) sieht „die regionalen Märkte“ wieder stark im Kommen: „Wir brauchen die Plattformen, wo der Handwerker ums Eck“ seine Leistungen präsentieren kann. Flohmärkte, Wochenmärkte, saisonale Events seien wieder gefragt. Als Immo-Eigentümer müsse man dieser Flexibilität entgegnen, und neuen Ideen gegenüber aufgeschlossen sein – auch mit kurzfristigen Mietern.
Wie lassen sich die Erdgeschosse beleben?
Evgeni Gerginski (Hawlik-Gerginski Architekten) sieht das „Aufwerten des Grätzls“ durch Zwischen- bzw. Neunutzung der Erdgeschosslokale nicht zwingend gebunden an die Architektur des jeweiligen Hauses. „Flexibilität“ und die Lage seien oft genannte Schlagworte, aber sie treffen den Kern, was die Nachfrage und die tatsächliche Nutzbarkeit betrifft.
Stefan Wernhart (EHL Gewerbeimmobilien) sieht eine „absolute Transformation der Bürofläche“. Der Begriff Home-Office alleine sei für sich genommen zu wenig. Der Bedarf an Bürofläche werde nicht sinken; vielmehr streben Unternehmen und Arbeitgeber jetzt nach vielfältig nutzbaren Flächen. Wernhart wirbt für das Verständnis des „hybriden Arbeitens“, mit modernen Raumkonzepten. Mitarbeiter wollen nicht grundsätzlich zuhause arbeiten – „als Arbeitgeber muss ich die Qualität meiner Flächen steigern, muss meinen Leuten Anreize bieten, wieder ins Büro zu kommen.“ Darin steckt sehr viel Potenzial für Immo-Entwickler, Eigentümer und Investoren, „leiwande Büros“ zu gestalten, sagt Wernhart.
Wernhart sieht bei Investoren einen klaren Trend: „Der Mitarbeiter und seine Gesundheit rückt immer stärker in den Fokus.“ Es brauche flexible Immobilien, deren Anpassung rasch umsetzbar sei müssen.
Was kommt auf das Immobilien-Management zu?
Nikolaus Lallitsch (Raiffeisen Immobilien) erkennt eine „sehr starke Solidarisierung“ in der Gesellschaft seit Ausbruch der Pandemie, nämlich ein „Aufpassen aufeinander“. Leider gebe es eine kleine Gegenbewegung jener, die „sich in die Hängematte legen“ und die Hand aufhalten. Lallitsch appelliert an die „Ideologie des Miteinander statt Egoismus“.
Lallitsch ergänzt: Der großvolumige Wohnbau der vergangenen Jahre ohne entsprechende Durchmischung („Stichwort Vorsorgewohnung“) habe Gottseidank ein Ende gefunden: „Es geht nicht mehr ums Bauen für die Vorsorge. Es geht ums Bauen fürs selbst-gerne-dort-Wohnen.“ Alleine in Graz, sagt Lallitsch, sei zu beobachten: Die „kleine und Kleinst-Wohnung“ als Ein-Zimmer-Immobilie werde vom Markt verdrängt und kaum noch gefragt.
„Bei den Gemeinnützigen sehen wir diese Durchmischung sehr wohl“, sagt Evgeni Gerginski (Hawlik-Gerginski Architekten) und verweist auf Baupläne für neue Wohnungen („Stichwort ‚Village im Dritten‘), mit einem Wohnungsgrößen-Mix von Ein- bis Vierzimmer-Wohnung. „Die Stadt Wien geht hier mit gutem Beispiel voran“, lobt Gerginski die Stadtverwaltung und ihre Vorgabe in der Bauordnung, für gemixte Wohnformen zu sorgen.
Soziale Durchmischung versus Baudurchmischung
Evgeni Gerginski (Hawlik-Gerginski Architekten) erzählt aus der Erfahrung als Architekt: „Einer von zehn Bauträgern“ will eine leistbare Durchmischung in der Wohnungsplanung; jedenfalls müssten Wohneinheiten flexibel sein. Gerginski will die Rendite-Erwartung seitens Eigentümer jedenfalls an die Leistbarkeit knüpfen: Eine neue Stadt „am Wasser“ zu bauen klinge attraktiv, aber „nur wenn ich mir das leisten kann und will, werde ich dafür bezahlen.“ Aus Bauträger-Sicht sei das „technisch locker“ möglich – aber die Baukosten entsprechend hoch.
Stefan Wernhart (EHL Gewerbeimmobilien) wird aus dem ImmoLive-Chat zur Zukunft der Bürobauten befragt. „Das Bedürfnis nach Abstand wird uns bleiben“, ist sich Wernhart sicher. Immer wichtiger würden technische Fragen der „smart buidlings“: kontaktloses Eintreten/Einchecken in Gebäude, bessere Durchlüftung der Räumlichkeiten, mehr Abstand zwischen den Sitzplätzen.
Was kann die Immobilie von morgen?
„Welche Eigenschaft muss die Immobilie der Zukunft haben?“ – so lautet die Schlussfrage in die Runde.
Stefan Goigitzer (Coore Real Estate) meint für Handelsimmobilien: „Flächen sind ja grundsätzlich vorhanden. In diesen Häusern muss ich größtmögliche Flexibilität schaffen“ – dabei seien aber vorrangig die Eigentümer gefragt. „Mehr gemeinsam, mehr fürs gesamte Grätzl“, appelliert Goigitzer für weniger Alleingänge.
Stefan Wernhart (EHL Gewerbeimmobilien) fasst sich kurz: „Smart, Community-fähig und nachhaltig“ müsse das Haus von morgen sein.
Nikolaus Lallitsch (Raiffeisen Immobilien) erinnert an das Dreieck aus „guter Lage mit Erreichbarkeit und gesunder Umgebung, Leistbarkeit und Lebensqualität“ – nur jene Immobilie, welche diese Kriterien erfüllt, werde künftig gefragt sein.
Evgeni Gerginski (Hawlik-Gerginski Architekten) schließt: Zukünftige Gebäude müssen „klimafit und energetisch autark“ gebaut werden – da brauche es „sehr viel starke Überzeugungsarbeit“ Richtung Investoren und Vorgaben des Gesetzgebers. „Die kommen, da bin ich mir sicher.“
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15.09.2021
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