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Wofür wir Wohnungen brauchen

Dient eine Wohnung tatsächlich der Befriedigung des Wohnbedürfnisses oder nur der Kompensation eines falschen Lebenskonzepts? Warum wir eine Wohnung kaufen, hat oft ganz andere Gründe, als wir denken.

Dass sich unser Leben stabil und angenehm gestaltet, ist nicht zuletzt von folgenden Faktoren abhängig: Gesundheit, eine erfüllte Partnerschaft, ein harmonisches Umfeld sowie ein befriedigender Job mit finanzieller Sicherheit und, nicht zu vergessen, das gemütliche Eigenheim. Gerade bei Partnerschaft und eigener Wohnung lassen sich Gemeinsamkeiten ausmachen: Einerseits erwarten wir von ihnen, dass sie uns glücklich machen, und andererseits besteht die Möglichkeit, dass wir damit von ihnen einfach zu viel verlangen. Schließlich sind die Anforderungen hoch und die Enttäuschung ist es ebenso, wenn das große Glück nicht eintrifft. Die besondere Wichtigkeit der eigenen Behausung erkennt man spätestens beim ersten Wohnungswechsel und den vielen damit einhergehenden Veränderungen.

Die Wohnung macht nicht das Wesen des wahren Glücks aus

Im Alltag werden wir ständig mit neuen komplexen Situationen konfrontiert und müssen diese bewältigen. Dabei ist es notwendig, im eigenen Zuhause eine Rückzugsmöglichkeit im Sinne von Schutz und Geborgenheit zu sehen, um auch Abstand zu gewinnen. Das Eigenheim ist ein Ort der Gemütlichkeit, wo man einfach so sein kann, wie man will, egal in welcher Art und Weise sich dies ausdrückt. Ob man es nun hell und leise oder dunkel und laut haben möchte– die Entscheidung liegt bei jedem selbst, wie die (möglichst große) Wohnung gestaltet und welche Eigenheiten in die Tat umgesetzt werden sollen. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass eine Wohnung etwas ist, das ich mir „gönne“– wenn sie da ist, ist es schön, aber auch wenn sie nicht da ist, bleibe ich dieselbe Person. Denn trotz einer überdimensional großen Wohnung können materielle Dinge eine innere, emotionale Leere nicht füllen. Sie macht nicht das Wesen meines wahren Glücks aus, da Glück nicht vom Zubehör des Lebens abhängig ist. Viele Menschen neigen dazu, den Dingen außerhalb des Körpers die Macht und die Verantwortung für das Lebensglück anzuheften. Somit ist es kein Wunder, dass ein Partner, ein Auto oder eben eine Wohnung schnell den größten Einfluss über meine Lebensqualität und mein Lebensglück ausüben.

Repräsentativ gegen sinnvoll

Beim Kauf einer Wohnung gilt es also, mehrere Faktoren zu berücksichtigen. Erstens muss man sagen, dass eine schöne Dachgeschoßwohnung zwar äußerst repräsentativ sein kann, aber die gewünschte Partnerschaft nicht mitgekauft wird. So versuchen beispielsweise in Wien viele Singles ihre emotionale Leere mit großen Wohnungen zu kompensieren und bewohnen laut einer aktuellen Statistik keine 40 Quadratmeter mehr, sondern bereits 60 oder 80 Quadratmeter. Doch beim Kennenlernen von neuen Leuten ist es eigentlich nicht üblich, immer mit einem Panoramafoto oder einem Grundrissplan der neuen Wohnung herumzulaufen. Trotz der anfänglichen Euphorie über die fantastische Aussicht und der neidvollen Blicke auf der Housewarming-Party kann die Einsamkeit Einzug halten und dann stellt sich heraus, dass „ein Heim zu haben“ und sich „daheim zu fühlen“ oft zwei verschiedene Dinge sind.

Will man das Leben auf den Kopf stellen?

Zweitens spürt man bei vielen Wohnungssuchenden einen starken Druck im Hintergrund, vor dem sie weglaufen. Scheinbar fühlen sie sich in der derzeitigen Lebens-, Berufs- oder Wohnungssituation einfach nicht wohl und wollen durch einen (eventuell überhasteten) Wohnungskauf mit einem Schlag ihr Leben gänzlich auf den Kopf stellen. Mit Sicherheit stellen sie dadurch ihre finanzielle Situation komplett auf den Kopf, weil ab jetzt die Schulden im Hintergrund existieren. Auch die Nebenkosten müssen beim Kauf einer neuen Wohnung miteinkalkuliert werden. Unter Umständen könnte mit diesem Geld über Jahre eine ähnliche Wohnung gemietet werden.

Wer besitzt wen?

Der dritte Aspekt: Der Single besitzt zwar seine riesige Traumwohnung, die Traumwohnung besitzt aber auch ihn. Aufgrund der enormen Rückzahlungen müssen viele Wohnungsinhaber an anderen Ecken sparen und fühlen sich auch „verpflichtet“, in ihren sündteuren vier Wänden möglichst viel Zeit zu verbringen. Dadurch kann sich ein neuer Partner leicht unter Druck gesetzt und zum bloßen Mitzahler degradiert fühlen. Viertens wird auch die Bewusstseinsveränderung durch das Kinderkriegen besonders von vielen (jungen) Paaren unterschätzt. Spätestens wenn sie das erste Mal mit dem Auto zum Spielplatz fahren müssen, entdecken viele Eltern, dass die große Stadtwohnung vielleicht doch nicht die beste Idee war. Auch das Älterwerden beziehungsweise der Pensionsantritt ist ein Faktor, der beim Wohnungskauf eine Rolle spielen sollte, aber oft unterbewertet wird. Fünftens verbinden viele Menschen mit den Begriffen „Daheimsein“ und „Geborgenheit“ Erinnerungen an die eigene Kindheit. Somit sollte die neue Traumwohnung das Gefühl und die Emotionen der Kindheit widerspiegeln, was sich natürlich des Öfteren als schwieriges Unterfangen erweist. Laut der Psychotherapeutin Dr. Anette Wallner ist in diesem Zusammenhang die „Kaufdepression“ zu nennen. Dieser Begriff aus der Psychologie beschreibt die erhofften positiven Gefühle hinsichtlich des Erwerbs eines Gegenstandes– vor dessen Kauf. Sobald dieser Gegenstand (in diesem Fall eine Wohnung) im Besitz des Käufers ist, bestätigen sich die erwarteten Gefühle aber nicht und die Enttäuschung ist dann dementsprechend hoch.

Die Wohnung zur Kompensation

„Wer da oben in dieser sündteuren und traumhaften Wohnung lebt, der kann keine Alltagsprobleme mehr haben.“ Diesen Glauben scheinen Interessenten wohl zu haben, wenn sie sofort bereit sind, mehrere hunderttausend Euro für ihre zukünftige „Präsentations-Wohnung“ auszugeben. Vielleicht kommt diese Ungeduld von dem Gefühl, nahe dem Himmel zu sein und somit auch zu den Alltagsproblemen eine gewisse Distanz zu bekommen. Dr. Wallner ist diesbezüglich der Meinung, dass besonders die Menschen, die in ihrem Leben immer einen gewissen Druck von „höheren Instanzen“ verspürten, den Ausgleich in (Dachgeschoß-) Wohnungen suchen, um dieses Mal den anderen überlegen zu sein. Bei dieser eventuellen Überkompensation gilt es allerdings immer zu überprüfen, was die tatsächlichen, inneren Motive sind und ob man diese wirklich mit einem Wohnungskauf in dieser Größenordnung (und Preisklasse) befriedigen kann. Was kann eine Wohnung leisten, was kann sie nicht leisten? Fragen Sie sich einmal, wie oft Sie sich schon Dinge aus Frust gekauft haben– sei es eine aktuelle Musik-CD, ein weiteres Paar Schuhe oder der neueste iPod. Oft bemerken wir schon nach kürzester Zeit, dass diese Sachen uns nicht lange glücklich machen und sie bald in Vergessenheit geraten werden. Genau dieses unangenehme Gefühl soll uns bei einem Wohnungskauf nicht einholen, trotz des anfänglichen „großen Glücks“ und der Beendigung des „ewigen“, ineffektiven Mietezahlens.

Die Beschäftigung mit dem Lebenskonzept

Auf Empfehlung von Dr. Wallner sollte sich der Kaufswillige somit unbedingt mit seinem Lebenskonzept beschäftigen, um den Wohnungskauf nicht zu überstürzen und die Dauerhaftigkeit darin zu erkennen. Schließlich stehen dann die meisten Lebensentscheidungen, sei es das Ende einer Ausbildung, ein Jobwechsel oder eine neue Partnerschaft bzw. Ehe, im Zusammenhang mit der Wohnsituation. Des Weiteren ist sie der Meinung, dass „eine Traumwohnung oder ein Traumhaus“ nicht zwingend ein physisches Gebäude sein muss. Viel öfter ist diese Traumwohnung ein emotionaler Zustand, das Gefühl, sich zu Hause zu fühlen oder geborgen und sicher zu sein. Eine liebevolle Partnerschaft, ein erfülltes Familienleben, die Geborgenheit in einem Freundeskreis, Haustiere, aber auch das Aufgehen in einem Job, der einem wirklich Spaß macht und Herz und Seele erfüllt, können dieses Gefühl, den richtigen „Platz auf der Welt“ gefunden zu haben, geben. Dies kann allerdings auch sehr gut ohne das viel gepriesene Eigentum gefunden werden.

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  • Erschienen am:
    04.07.2011
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