Wie fühlt es sich an, wenn Sie als Architekt neben einem Ihrer Werke sitzen?
Jakob Dunkl: Mit 25 Jahren bin ich mit einem Freund meines Vaters durch Frankfurt gefahren, und er hat mir seine Gebäude gezeigt, da er Architekt war. Ich war damals sehr beeindruckt. Mittlerweile hat unser Büro doch auch schon recht viele Bauten entworfen. Das macht Freude, und ich denke mir, wir beeinflussen die Stadt. Wenn man allerdings im Flugzeug ist und alles von oben sieht, dann realisiert man, wie gering dieser Einfluss eigentlich ist. Das relativiert dann wieder.
Aber über dieses konkrete Projekt hinaus freue ich mich sehr, dass wir etwas erreicht haben und dass es Relevanz hat, was wir tun.
Wann haben Sie querkraft architekten gegründet?
Jakob Dunkl: Wir haben das Büro 1998 gegründet, mit drei Unternehmenszielen: erstens Menschlichkeit, zweitens einen architektonischen Fußabdruck hinterlassen und Nummer drei Geld verdienen.
Haben sich die Ziele geändert?
Jakob Dunkl: Nein, nie. Alle drei Ziele sind sich immer gut ausgegangen, und wir haben nicht einmal die Reihenfolge geändert. Menschlichkeit ist immer die Nummer eins. Damit ist auch die Frage verbunden, was wir für Menschen in der Architektur tun können. Was bringen den Menschen unsere Gebäude, schaffen wir es, ihnen Raum zu geben und sich darin zu entfalten, egal ob es ein Wohnbau ist, ein Museum oder Retail?
Unter dem architektonischen Fußabdruck verstehen wir, mit dem Talent, das einem zur Verfügung steht, das herauszuholen, was möglich ist. Dann haben wir einen Fußabdruck hinterlassen. Und letztendlich das Geld: Die Firma muss leben und soll nicht in Konkurs gehen.
Aber grundsätzlich ist immer der erste Gedanke, wenn wir etwas tun: Was ist gut für alle?
(c) querkraft – ZOOMVP
Wenn man das in jedem Unternehmen so handhaben würde, würde die Welt anders aussehen.
Jakob Dunkl: Vermutlich.
Hat IKEA bei diesem Projekt Vorgaben gemacht?
Jakob Dunkl: Es gab den Slogan: „We want to be a good neighbour.“ IKEA wollte etwas ganz Neues, kombiniert mit Freiflächen und Terrassen. Deshalb haben wir die Baumasse speziell ausformuliert, haben einen radikalen Schritt gesetzt und sind, statt eine große Baumasse einfach stufenweise zu terrassieren, mit einem hohen, schlichten Würfel als Gebäude allseitig fast 4,5 Meter zurückgesprungen, um mehr Luft zu haben.
Wir haben ein wenig Anleitung beim Centre Pompidou genommen, bei dem alle Leitungen nach außen verlagert sind. Außerdem war eine unserer Überlegungen: Früher gab es Balkone nur bei Wohnbauten, dann hat irgendwann einer die Idee gehabt, dass man sie auch beim Büro brauchen kann, und wir haben uns überlegt: Warum soll man nicht einmal Handelsflächen mit Balkonen bestücken?
In der Folge ist auch diese außergewöhnliche Fassade mit den Bäumen und den Balkonen entstanden. Es gibt weltweit spannende Projekte mit berankten Fassaden, aber große Bäume an der Außenwand gibt es nicht so oft. Das Konzept mit den Bäumen kostet rund 1,2 Millionen Euro zusätzlich, und ich finde, das ist ein klares Statement. In einer Phase, in der wir diskutiert haben, was und wo man eventuell bei dem Gebäude noch einsparen kann, standen übrigens seitens des Auftraggebers die Bäume nie zur Diskussion. Das ist bemerkenswert.
Die Balkone und die Bäume auf allen Stockwerken sind das Offensichtliche, aber es steckt noch mehr in dem Haus.
Jakob Dunkl: Für uns war ein großes Ziel, Lebendigkeit in das Haus zu bekommen und dass es auch für die Umgebung einen Mehrwert darstellt. Es ist ein lebendiges Haus, und man soll von außen sehen, dass es lebt. Lebendigkeit ist meines Erachtens überhaupt das Wichtigste in der Architektur.
In den oberen zwei Stockwerken des IKEA-Einrichtungshauses ist ein Hostel mit 345 Betten, und dadurch lebt das Haus auch außerhalb der Öffnungszeiten. Es gibt eine öffentlich zugängliche, 1.800 Quadratmeter große Dachterrasse, auf der IKEA und die Betreiber des Hostels auch Gastronomie anbieten – es besteht aber kein Konsumzwang. Dies ist im städtebaulichen Vertrag dauerhaft fixiert. Im Erdgeschoß haben wir eine Arkade mit einer Apotheke, einem Friseur und einer Bäckerei. IKEA wollte die ehemals in diesem Haus angesiedelten Unternehmen wieder dabeihaben, um bewusst eine Durchmischung zu generieren.
Diese Arkaden schaffen zudem einen Luftraum, der den Menschen Platz gibt. Unsere Ideen wurden auch von der Gemeinde Wien sehr gut aufgenommen.
Die Kernbotschaft ist: Man soll hier im, auf und vor dem Haus Freude haben, und das Gebäude bietet eine gute Mischung aus Einkaufen und Leben.
(c) querkraft – miss3.
Die Höhe des Hauses ist auch auffällig.
Jakob Dunkl: Das Gebäude ist exakt 34,99 Meter hoch. Damit ist es nach der Wiener Bauordnung noch kein Hochhaus, denn das beginnt erst bei 35 Metern.
Merkt man schon etwas von der „guten Nachbarschaft“?
Jakob Dunkl: Wir haben mitbekommen, dass das Haus die Menschen positiv stimmt – auch in der Nachbarschaft. Moderne Architektur ist nicht immer so beliebt, und uns war wichtig, dass die Menschen das Haus auch mögen. Bemerkenswert ist, dass es sogar schon einen Fanclub für das Haus gibt! Auf Nachfrage beim Gründer stellte sich heraus, dass dies kein IKEA-Marketing-Gag war und unser Bauherr sogar davon überrascht war. Ich glaube, dass die beiden außergewöhnlichen Projekte IKEA und das KADEWE auf den Gründen des ehemaligen Leiner-Hauses die Mariahilfer Straße in den kommenden Jahren sehr positiv prägen werden.
Apropos positiv verändern – eine 1.800 Quadratmeter große öffentliche Dachterrasse ist schon ein Statement.
Jakob Dunkl: Dachterrassen sind im Jahr 2050 jene Orte mitten in der Stadt, die viel Schatten bieten – mit Vegetation und einer starken Durchlüftung – und damit eine hohe Aufenthaltsqualität haben. Die Häuser werden definitiv grüner, und weltweit geht der Trend weg von der Monofunktionalität.
Wir wünschen uns, dass wir noch viel konsequenter unsere Städte begrünen. Wien hat dahingehend noch ein enormes Potenzial. Bäume beeinflussen auch das Stadtklima wesentlich, und man müsste viel ernsthafter an dieses Thema herangehen.
Der erste innerstädtische IKEA mit diesem Einkaufskonzept – ein zukunftsweisender Schritt in der Stadt.
Jakob Dunkl: Ich vermute, dass der E-Commerce stärker werden wird, aber der Mensch will beim Einkaufen etwas angreifen, ausprobieren, mit allen Sinnen erfassen, es spüren, riechen etc., und vielleicht geht in einigen Jahren die Entwicklung dahin, dass es größere Flagshipstores gibt, die den E-Commerce unterstützen, und dafür weniger Projekte auf der grünen Wiese.
IKEA war als Bauherr sehr motivierend. Es sind alle hinter uns gestanden, und wir haben uns gegenseitig begeistert. Unser Projektteam in der Ausführungsplanung bestand übrigens zum größten Teil aus Frauen. Darauf bin ich sehr stolz, und es fügt sich auch gut in die Kultur von IKEA, da man ja im Unternehmen sehr auf Ausgleich bedacht ist.
Ein außergewöhnliches Projekt, wobei man die vielen Besonderheiten ja gar nicht alle in einem Interview zusammenfassen kann.
Jakob Dunkl: Übrigens – vor vier Jahren gab es bei IKEA einen Corporate Visual Identity Relaunch, und es wurde auch über das Erscheinungsbild innerstädtischer IKEA-Standorte der Zukunft nachgedacht. Diese neuen Konzeptgedanken kannte man aber in Österreich nicht, und über die Entwürfe des Architekturwettbewerbs in Österreich wusste man wiederum in der Zentrale noch nicht Bescheid. Daher ist es äußerst bemerkenswert, dass unsere Architektur dem damals visionär gedachten Zukunftskonzept von IKEA zufälligerweise enorm ähnlich ist.
Am besten ist, man kommt vorbei und schaut sich das Haus an.