Die Durchmischung der Städte ist die Zukunft, alles andere Vergangenheit. In Wien hat das immer gut funktioniert, und monofunktionelle Bürostandorte, wie es sie in anderen europäischen Großstädten gibt, haben sich kaum entwickelt. Derzeit kommt es allerdings in Wien, wie in vielen anderen Städten, zu einem Paradigmenwechsel von der Einzelbetrachtung des industriell-gewerblichen Sektors hin zur „produktiven Stadt“. In den neuen Stadtgebieten soll es noch stärker zu einer Durchmischung der unterschiedlichen Assetklassen kommen – am besten im Gebäude selbst. Wohnen und Gewerbe in einem Projekt.
2017 wurde das Fachkonzept „Produktive Stadt“ erarbeitet
Um dies möglich zu machen, wurde von der Stadt Wien in enger Zusammenarbeit mit Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung Wien 2017 das Fachkonzept „Produktive Stadt“ erarbeitet. In dieser Kategorie ist es den Bauträgern möglich, drei Geschoße Gewerbeflächen zu errichten und darüber noch einmal fünf Geschoße Wohnflächen. Diese Idee soll jetzt endlich zum Leben erweckt werden, denn durchmischte Gebäude machen den Standort attraktiver und zeichnen eine lebendige Stadt mit ihren Grätzeln aus.
Ernst Kovacs, Geschäftsführer von KE Wohnimmobilien, sieht sehr viele Möglichkeiten und Chancen in den gemischten Baugebieten: „Man will ja keine reine Wohnstadt oder eine reine Bürostadt. Die Durchmischung macht die Urbanität aus.“ So neu ist die Idee nicht, wie Andrea Faast, Leiterin der Abteilung Standort und Infrastrukturpolitik der Wirtschaftskammer Wien, meint: „Wir kennen diese Durchmischung aus der Gründerzeit. Damals waren nicht in allen, aber in sehr vielen Baublöcken Gewerbebetriebe integriert.“ Mit den heutigen modernen technischen Möglichkeiten sollte daher eine Integration viel leichter möglich sein – „so kann auch Wohnen und Arbeiten im gemischten Stadtquartier Realität werden“, heißt es im Positionspapier der Stadt Wien.
„Die Widmungskategorie ,Produktive Stadt‘ ermöglicht eine gewerbliche Sockelzone mit Produktion, Light Industrial und Logistik und darüber, am selben Bauplatz, einen neuen Wohnbau“, erläutert Silvia Wustinger-Renezeder, Mitglied in der Fachgruppe der Immobilientreuhänder in der Wiener Wirtschaftskammer. Die Herausforderung „liegt allerdings derzeit in der Wirtschaftlichkeit solcher Projekte“, wie Ernst Kovacs erklärt.
2/3-zu-1/3-Regelung beim gewerblichen Wohnbau erschwert die Umsetzung der „produktiven Stadt
Genauer gesagt geht es für die Projektentwickler neben der Entlastung von städtebaulichen Verträgen und der Unterstützung bei gewerblichen Verfahren um die Zwei-Drittel-zu-einem-Drittel-Regelung im gewerblichen Wohnbau. Nach aktueller Gesetzeslage sind Umwidmungen und Neuwidmungen von Grundstücken für den Wohnbau nur möglich, wenn zumindest zwei Drittel der Wohnflächen für den geförderten Wohnbau zur Verfügung gestellt werden. „Die Regelung war gut gemeint, denn der Gesetzgeber nahm an, dass so die Grundstückspreise gedämpft und damit Flächen für günstigen Wohnraum zur Verfügung gestellt werden können“, meint Wustinger-Renezeder. Aber in der Praxis erweist sich das als Problem.
Die Flächen werden von den Developern „auf Verdacht entwickelt“, so Klaus Wolfinger, Bauträgersprecher des ÖVI. Bei der Errichtung selbst ist nämlich nicht klar, ob auch entsprechende Gewerbeflächen in diesem Gebiet benötigt werden. Natürlich wurden in Wien ab den 80er-Jahren auch zahlreiche neue Bürohäuser errichtet, und die Projektentwickler betraten damit Neuland, aber es gab einen entsprechenden Bedarf an Flächen. Der ist in diesem Fall nicht unbedingt gegeben, weshalb das Risiko für die Projektentwickler größer geworden ist. Wolfinger: „Hut ab vor allen Unternehmen, die den Mut haben, ein entsprechendes Risiko einzugehen. Für die Projektentwickler ist die Errichtung eines gemischten Projekts eine echte Kraftanstrengung.“
Querfinanzierung der Gewerbeflächen durch Wohnbau notwendig
Da das Mietniveau für diese Gewerbeflächen nicht hoch genug ist, um die Kosten für die unteren drei Stockwerke zu tragen, „benötigt man die Wohnnutzung in den oberen Stockwerken zur Querfinanzierung“, so Wustinger-Renezeder. Daher ist derzeit der Zwei-Drittel-Anteil an geförderten Wohnungen der Stolperstein beziehungsweise die Hürde für die Projektentwickler. „Die Situation berücksichtigend, ist die generelle Linie momentan zu hoch“, so Klaus Wolfinger: „Diese müsste man aufweichen.“ Eine andere Aufteilung ist zwar von Projekt zu Projekt möglich, aber nach Wolfingers Ansicht „muss der Ausgangspunkt ein anderer sein als zwei Drittel.“ Kurz und gut: Für die produktive Stadt müsste eine andere Lösung gefunden werden.
Bessere Nutzung von Grund und Boden
Wien wächst zwar nicht mehr in der Dimension, wie es noch vor Jahren angenommen wurde, aber die Dezentralisierung schreitet immer weiter voran. Es zeigen sich außerhalb der Inneren Stadt immer mehr neue Stadtzentren. Wustinger-Renezeder: „Der Mehrwert für die Stadt liegt darin, dass wir auch am Stadtrand wieder neue Stadtzentren – vor allem entlang der U-Bahn-Achsen entwickeln können, die gemischt genutzt werden.“ Außerdem wäre mit der produktiven Stadt die Ressource Boden zweimal genutzt: einmal zum Wohnen und einmal für Gewerbe.