In einem Gemeindebau im Wiener Bezirk Floridsdorf groß geworden, ist der Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig weiterhin mit seinem Bezirk verbunden– er lebt auch heute noch dort. Es ist die „Mischung aus Urbanität, Grün, viel Freiraum und der Möglichkeit, trotzdem die Großstadt zu genießen“, die ihn in Floridsdorf hält. „Außerdem gibt es die besten Heurigen in Wien um die Ecke, wie zum Beispiel in Stammersdorf, Strebersdorf oder Großjedlersdorf.“ Der 21. Bezirk hat einen starken Strukturwandel hinter sich– von einem ehemals von der Industrie geprägten Bezirk hin zu einer Wohngegend mit Lebensqualität, Infrastruktur und Nahversorgung.
Es ist nicht sinnvoll, einzelne Häuser zu sanieren
In seiner Zeit als Kurs- und Projektleiter in der Erwachsenenbildung und als Pädagogischer Leiter einer Wiener Volkshochschule hielt er Ende der 80er-Jahre Vorträge über die Entwicklung der Siedlungsstruktur in Floridsdorf, „aber ich hätte mir damals nie gedacht, dass ich diese Entwicklung einmal so intensiv beeinflussen werde“. Mittlerweile lässt nämlich die Sanfte Stadterneuerung auch Floridsdorf weiter erblühen, und Ludwig sieht hier wie auch in allen anderen Stadtgebieten, in denen diese Form der Neubelebung umgesetzt wurde, „dass es eben nicht sinnvoll ist, einzelne Häuser zu sanieren, sondern ganze Straßenzüge und auch gleichzeitig die Nahversorgung und die Infrastruktur zu verbessern“.
Auszeichnung der Vereinten Nationen
Die Stadt Wien geht einen Weg, der vorbildlich ist, und eine internationale Anerkennung bereitet dem Wohnbaustadtrat in diesem Zusammenhang eine ganz besondere Freude: Für ihre Politik der „Sanften Stadterneuerung“ erhielt die Stadt Wien 2010 die wichtigste Auszeichnung der Vereinten Nationen im Bereich des Wohnens: die „Scroll of Honour 2010“ von UN-Habitat (UNO-Weltorganisation für Siedlungswesen und Wohnbau). Der Preis „Scroll of Honour“ in der Kategorie „Wohnen und Stadterneuerung“, der seit dem Jahr 1989 jährlich vergeben wird, war der erste von UN-Habitat überhaupt für ein umfassendes städtisches Sanierungsprogramm. UN-Habitat begründete die Verleihung der „Scroll of Honour“ an die Stadt Wien mit der Einzigartigkeit, der herausragenden Nachhaltigkeit und der sozialen Orientierung. „Sanfte Stadterneuerung, so wie wir sie verstehen, ist mit einer starken sozialen Dimension verbunden“, so Wohnbaustadtrat Ludwig: „Ich glaube, dass wir weltweit eine sehr anerkannte Rolle als Vorreiter im geförderten Wohnbau einnehmen.“ Jede Woche kommen Einzelpersonen oder Delegationen aus aller Welt, um sich von den Gedanken und Ideen in der Donaumetropole inspirieren zu lassen. „Vor allem der geförderte Wohnbau weckt großes Interesse“, und dieser wird auch ins Ausland getragen– eine Ausstellung führte die „Wiener Idee“ von Venedig ausgehend über Berlin, Belgrad, Sofia und Ankara bis hin nach China und New York. „Der Wohnbau in Wien in dieser Form ist eine historische Entwicklung, und wir stehen auf den Schultern unserer Vorgänger“, so Ludwig: „Und es ist mir wichtig, dass auch meine Nachfolger weiter aufbauen können. Wir sind Teil einer Kette.“
Wo sich die Menschen wohlfühlen
Ihn selbst beeindrucken in Städten „nicht die Landmarks, die für das Marketing der Städte wichtig sind, sondern mich faszinieren die Plätze, an denen die Menschen sich wohlfühlen“. Hier nimmt er sich Ideen und Anregungen für die eigene Arbeit mit. Für ihn zählt das, was einen Standort ausmacht, wie Architektur, Siedlungspolitik und soziale Infrastruktur, „und da sind natürlich noch viel mehr Parameter zu berücksichtigen. Das ist das Spannende am Wohnen. Es ist nicht nur eine technische Sache, sondern ein lebendiger Organismus.“ So wie sich ein Organismus verändert, so verändern sich auch laufend die Bezirksteile: „Ein Viertel bleibt nicht so, wie es ist, und wird in 20 Jahren ganz anders funktionieren, als es das jetzt tut.“ Dies sieht Ludwig als Herausforderung und Chance zugleich. Auch ist es für ihn spannend zu sehen, was sich im Gemeindebau, in dem er aufgewachsen ist, gegenüber früher geändert hat. Der markanteste Unterschied ist die Mobilität– die Fluktuation ist höher, und „die zwischenmenschlichen Beziehungen sind flexibler geworden. Die Großfamilie ist nicht mehr das gängige Lebensmodell, aber die Menschen wollen trotzdem Kontakt untereinander. Wichtig ist daher, dass die Generationen nicht nebeneinander wohnen, sondern miteinander.“
Neue Wohnformen sind wichtig
Daher sind für den Wohnbaustadtrat auch verschiedene Wohnformen wichtig, und es werden daher immer wieder neue Wege des Zusammenlebens innerhalb eines Wohnprojekts getestet und für die unterschiedlichen Gruppen von Menschen verschiedene Wohntypen und Modelle entwickelt. „Eine Großfamilie hat nicht nur Vorteile. Das enge Zusammenleben in einem Wohnungsverband wird zwar nachträglich glorifiziert, aber es wird wohl seine Gründe haben, warum junge Menschen ausziehen.“ Der quantitativen Herausforderung, Wohnraum zu schaffen, muss Wien– aufgrund des starken Zuzugs– ohnehin gerecht werden, „aber wir wollen auch die Zukunft mitgestalten: mit neuen Wohnformen und Modellen.“ Ein interessanter Aspekt ist daher für ihn zu sehen, welche Projekte sich bei den Bauträgerwettbewerben für den Wohnbau durchsetzen– innerhalb der vorgegebenen Rahmenbedingungen von Wirtschaftlichkeit, Ökologie, Architekturqualität und sozialer Nachhaltigkeit.
Historie gegen Reißbrett
Über all diese Themen hinaus ist für Michael Ludwig die Entwicklung einer Stadt an sich besonders spannend. Wien ist über Jahrhunderte historisch gewachsen. Es gibt ganz andere Beispiele in China, wo die Städte mit hoher Investitionsbereitschaft in kürzester Zeit groß geworden sind. „Es bietet viele Vorteile, wenn man eine Stadt neu konzipiert, allerdings auch viele Herausforderungen– vor allem soziale.“ So bieten andere Städte dem amtierenden Wohnbaustadtrat Erfahrungen und Impulse, von denen man lernen kann, „aber außer in Wien möchte ich in keiner anderen Stadt wohnen“.