Sie haben einmal gesagt: „Stadt funktioniert dort, wo sich Leute wohlfühlen.“ Was macht Wohlfühlen aus?
Jilka: Die Vielfalt der Angebote und deren bequeme Nutzung machen das Wohlfühlen in einer Stadt aus. Stadt muss auch etwas Lebhaftes sein, und ein Stadtgefühl habe ich dort, wo ich Leute antreffe und sehe. Eine klassische US-Downtown ist nicht das, was ich mir unter Stadt vorstelle. Wenn in einem Shopping-Center Läden nicht vermietet sind, werden die Schaufenster beklebt, als ob das Geschäft in Betrieb wäre. Es scheint so zu sein, dass sich Menschen wohler fühlen, wenn sie das Gefühl haben, da tut sich was. Bei einer Stadt sind die Eingriffe vielschichtiger und aufwendiger.
Wie macht man das bei einer Stadt?
Jilka: Für neue Stadtteile oder zur Belebung gewachsener Stadtteile braucht es Ankerattraktionen. Neue Stadtteile funktionieren besser, wenn sie auch ein Ziel für Leute bieten, die nicht aus der Gegend sind. Beim Hauptbahnhof gehen wir davon aus, dass der zentrale Park (Helmut-Zilk-Park mit acht Hektar Fläche– Anm. d. Red.), sobald er eröffnet wird, auch für die weitere Umgebung eine Attraktion sein wird. Fußgängerzonen wie die Meidlinger Hauptstraße oder die Mariahilfer Straße wirken ebenfalls anziehend, und die umliegenden Stadtteile beginnen dadurch aufzuleben.
Wie lange dauert eine Belebung?
Jilka: In existierenden Grätzeln hängt das stark von den BewohnerInnen und interessierten Wirtschaftstreibenden ab. Das kann man bei ein paar Gegenden in Wien sehen. Das Schleifmühlviertel ist durch Eigeninitiative der Geschäftsleute zur In-Location geworden. Beim Yppenplatz wurde der Veränderungsprozess von Kultur und Stadtplanung initiiert, und beim Karmeliterviertel gab es sowohl städtische Interventionen als auch lokale Interessenten. Der Start der Veränderung lässt sich zeitlich nicht immer genau festmachen. Man muss auf jeden Fall sehr behutsam vorgehen.
Die Gefahr besteht ja immer, dass die eigentlichen BewohnerInnen „vertrieben“ werden und das Grätzel damit auch seinen Charakter verliert.
Jilka: Sie sprechen hier von einem Risiko, dem Wien in den letzten 40 Jahren mit unterschiedlichen Strategien und Programmen gegengesteuert hat. Zum Beispiel ist die Vergabe von Sanierungsfördermitteln an Grenzen bei Mietsteigerungen gebunden, damit die Bewohner in ihrer angestammten Umgebung bleiben können. Das Programm heißt „sanfte Stadterneuerung“ und setzt sich mit Fokus auf die sozialen Komponenten im Rahmen der „Smart City“ logisch fort.
Wie weit kann man eigentlich Entwicklungen in der Gesellschaft, die ja letztendlich die Stadt prägen, vorausplanen?
Jilka: „Smart City“ ist nicht ausschließlich ein technisches Programm, sondern auch eine Art atypisches Governance-Modell mit technologischen Komponenten. So gesehen trifft sich das, was wir mit „Smart City“ versuchen, mit dem, was wir– demografisch getrieben– an gesellschaftlicher Veränderung vorfinden. In der Stadtplanung muss man versuchen, 20 Jahre zu antizipieren, und wenn man so weit vorausblickt, dann steht man oft im „Spinner-Eck“. Als wir damals den Modal Split von heute als Wunschziel thematisierten, wurden wir als Fantasten betrachtet.
Aber heute gibt es unter den Jungen viele, die gar kein Interesse mehr am eigenen Auto haben. „Intelligente Mobilität“ wäre kein Erfolg geworden, wenn die Wünsche und das geänderte Verhalten der BewohnerInnen das nicht spiegeln würden. Auch Car-Sharing wäre kein Businesscase, wenn es keine KundInnen dafür gäbe. Das ist ein gut geplantes Geschäftsmodell.
Dazu kommt noch ein anderer entscheidender Aspekt in Bezug auf Stadtplanung.
Nämlich?
Jilka: Wesentlich mehr Menschen als noch vor 15 Jahren formulieren ihre Vorstellungen von städtischem Leben und versuchen sehr professionell, ihren Ideen zum Durchbruch zu verhelfen. Wir haben mittlerweile eine positive kritische Masse von Menschen, die nicht versorgt werden wollen, sondern die sagen, was sie wollen.
In die Seestadt Aspern sind im Herbst 2014 die Pioniere eingezogen– da sind sehr viele Leute dabei, die sagen, was sie wollen. Das führt dazu, dass wir dort einem großen Querschnitt an verschiedenen Lebensmodellen angebotsseitig folgen wollen. Die Leute artikulieren sich, und dass es da manchmal zu Unstimmigkeiten kommt, ist klar. Wenn ich die Leute auffordere zu sagen, wie sie sich etwas vorstellen, dann muss man auch damit rechnen, dass Themen auftauchen, die man sich als Planer anders vorgestellt hat.
Sie haben davor die Fußgängerzone in der Mariahilfer Straße angesprochen. Da waren und sind die Meinungen auch zweigeteilt.
Jilka: Leute, die sich professionell mit der Entwicklungsgeschichte von Einkaufszentren beschäftigen, sagen, dass innerstädtische Einkaufsstraßen und -zentren eine große Zukunft vor sich haben. Es hat ja einen Grund, warum etwa internationale Möbelhäuser parallel zu den großen Lagerverkäufen an der Peripherie systematisch Innenstadtgeschäfte suchen. Daher stehe ich der Mariahilfer Straße nicht nur im Sinne der Neugestaltung als vielfach nutzbarer öffentlicher Raum positiv gegenüber, sondern glaube auch an künftiges reges Geschäftsleben dort.
Es gibt immer wieder Stimmen, die meinen: Wien gehört näher an das Wasser.
Jilka: Was wollen Sie denn an den Wienfluss und den Donaukanal wandern lassen? Die Gebäude sind in den meisten Fällen nahe genug dran. Wiental, Donaukanal, der Gürtel oder auch der Ring sind große Raumfiguren in Wien, die die Stadt sehr klar strukturieren. Solche Raumfiguren sind wichtig, und man orientiert sich auch an den großen Achsen.
Ich glaube, es wäre falsch, diese Raumfiguren durch Überbauungen und Auskragungen in großem Maßstab zu beeinträchtigen.
Es ist aber sicherlich sinnvoll, den Versuch zu unternehmen, diese beiden „kleinen“ Wiener Wasserstraßen noch besser zugänglich und nutzbar zu machen. Im äußeren Wiental ist in puncto Radwegen und Renaturierung bereits sehr viel passiert. Jetzt werden die Wiental-Terrassen gebaut.
Wenn Verantwortliche von asiatischen Großstädten zu Ihnen kämen, um Sie für Stadtentwicklung abzuwerben– wäre das eine Herausforderung für Sie?
Jilka: Wenn politisch Verantwortliche aus asiatischen Großstädten zu uns nach Wien kommen, haben sie das Gefühl– und das unterstelle ich einmal–, dass die Leute recht zufrieden sind. Wir haben eine hohe Lebensqualität, und die wollen sie natürlich kopieren und schauen, wie wir das machen. Wir haben als Stadt Wien schon vor Jahren die vietnamesische Hauptstadt Hanoi beraten. Das Magistrat und Wiener Firmen haben zum Beispiel für einen Stadtteil in Nordhanoi einen neuen Masterplan erstellt. Das große Problem war, dass es dort nur Schlafstätten gab.
In asiatischen Großstädten bestehen natürlich ganz andere maßstäbliche Bedingungen als bei uns. Ich kann nicht die Seestadt Aspern für Shanghai mit dem Faktor 10 nachbauen. Das wird nicht funktionieren.
Wo liegen die Herausforderungen?
Jilka: Es gibt in jedem Stadtteil funktionale Zusammenhänge, die ich störe, wenn ich Distanzen beliebig vergrößere, Maßstabsprünge sind da nicht möglich. Ich kann zwar Aspern als Idee nehmen, aber ich müsste das Projekt, wenn ich es vergrößern will, anders strukturieren.
Wenn Sie andere Städte besuchen, nehmen Sie da auch Anregungen und Ideen mit?
Jilka: Ja. Ich bin notorisch neugierig, und wenn ich Dinge sehe– im Großen wie im Kleinen–, ist mein erster Reflex: Wäre das nach unserer Bauordnung möglich, oder würden unsere Verantwortlichen da wieder ein Gefahrenpotenzial orten? Dann überlege ich mir auch, wann ich das nächste Mal die Möglichkeit habe, diese Idee oder das Beispiel anzubringen, und ob man das Wien schmackhaft machen kann.
Was wird in der Zukunft für eine Stadt wichtig sein?
Jilka: Wichtig wird sein, dass die Tagesaktualitäten nicht überhandnehmen. Wenn der Büromarkt etwas stockt und aus den geplanten Bürogebäuden Wohnungen gemacht werden, dann ist das eine kurzfristige und manchmal kurzsichtige Lösung. Für die Stadt ist aber wichtig, dass man sie in ihrer Grundstruktur belässt und robust „weiterstrickt“ sowie darin vor allem die von den BürgerInnnen formulierten Interessen und Wünsche berücksichtigt.