Eine Klarstellung vorab: Wenn wir von zu Hause sprechen, dann haben wir allen Grund zu Freude und Stolz, allen Anlass für Demut und Dankbarkeit. Wir leben in einem traumhaft schönen Land mit vergleichsweise kleinen Problemen. Viel zu vielen ist der Blick auf diese Annehmlichkeiten verstellt – durch Begehrlichkeiten und Forderungen, durch Befindlichkeiten und Empfindlichkeiten. Auch für Wut und Irritation gibt es berechtigte Anlässe, aber unsere Sorgen möchten gewiss viele haben, wirklich mit uns tauschen wollen wohl wenige ...
Der Befund ist milde, vielleicht naiv, aber er ist unbeirrt aufrechtzuerhalten: Wir leben hier in Hauptstädten der Lebensqualität. Viele, viele ÖstereicherInnen können das voll Überzeugung über ihren Heimatort sagen.
Gerade daraus erwächst uns eine besondere Verantwortung. Das Fettgedruckte im Generationenvertrag ist wohl die Verpflichtung, unsere Dörfer und Städte, das Land, den Kontinent, den Planeten in gutem Allgemeinzustand zu hinterlassen. Wir haben die Daueraufgabe, sparsam und sorgsam mit den Ressourcen umzugehen. Wir sind TreuhänderInnen der nächsten Generationen, und wir können uns nicht wahllos an dem bedienen, was wir weitergeben wollen. Hinter uns kommt hoffentlich nicht die Sintflut, sondern mit höherer Wahrscheinlichkeit folgen uns die Kinder und Enkel mit ihren Träumen von Lebensqualität, intakter Natur und sozialem Frieden nach.
Können wir diese Visionen erfüllen?
Werden wir diesen Ansprüchen gerecht?
„Fehlentwicklung“ ist ein mildes Urteil
Zwei Zahlen zeigen drastisch die Dramatik der Situation: Täglich verbauen wir 15 Fußballfelder (11,5 Hektar), um neue Gebäude, Straßen und Wege zu schaffen. Zugleich gibt es einen Gebäudeleerstand von rund 400 Millionen Quadratmetern. Jede(r) Österreicher(in) „besitzt“ – statistisch betrachtet – neben dem Wohnsitz fast 50 Quadratmeter Gebäudefläche, die (derzeit) ungenutzt brachliegt.
Wir bauen, bauen, bauen also ökologisch wertvolle Grünflächen zu, errichten laufend neue Objekte mit immer kürzerer Nutzungsdauer und überlassen nicht mehr benötigte Häuser, Hallen, Ställe, Scheunen, Märkte, Werkstätten ihrem Schicksal als Zivilisationsruinen in der Landschaft.
Es nur „Fehlentwicklung“ zu nennen ist eine eklatante Verharmlosung. Dabei liegen Lösungen auf der Hand. Sie können nicht mehr homöopathisch sein, und sie kämen nicht zu spät. Wenn wir jetzt mutig handeln, statt zu beschwichtigen und uns in Diskussionen zu lähmen, kann eine Wende in der Raumordnung, in der Stadtentwicklung, bei der Vitalisierung des ländlichen Raums, in der Ortskernbelebung, in der Mobilitätsdebatte gelingen.
Vordringliche Handlungsfelder
Die Flächenwidmungspläne der Gemeinden können ohne neue Baulandausweisungen auskommen. Was heute „Grünland“ ist, kann es bleiben. Keine Gemeinde muss ihren Siedlungsraum zulasten der Natur erweitern. Keine Gemeinde darf ihren Naturraum zugunsten neuer Verbetonierungen unwiederbringlich verringern. Es gibt genug Platz im derzeitigen Bauland-Gebiet. Im Einzelfall können überregionale Verbundlösungen Platz greifen, etwa in Form von gut erschlossenen Versorgungszentren mit entsprechender Infrastruktur. Nicht jede Mikrogemeinde braucht einen Megamarkt. Wir brauchen nicht mehr Fachmarktzentren als Feuerwehr-Rüsthäuser.
Nachverdichtung, sofern sie aufgrund steigender Bevölkerungszahlen notwendig ist, kann über Umschichtungen der Bauland-Kategorien und/oder eine maßvolle Erhöhung der Bebauungsdichten erzielt werden. Besser höhere als großflächige Verbauungen. So können brachliegende Industriezonen in Kerngebiete umgewandelt werden, aus „reinen“ Wohngebieten könnten „allgemeine“ werden, landwirtschaftliche Nutzungen können in Gewerbeflächen übergeführt werden usw. Jedenfalls hat eine intelligente Nachverdichtung von innen nach außen stattzufinden. Die Verlagerung der Zentren vom Hauptplatz an den Kreisverkehr der Ortsumfahrungen führt zu sogenannten Schwimmreifen-Orten: innen nichts und rundherum aufgebläht. „Glücksdörfer“ haben dagegen einen belebten Kern und werden zu den Rändern hin dünner, grüner, beschaulicher.
Die Wohnbauförderung hat sich der überkommenen Klientelpolitik aus dem alten Jahrhundert zu entziehen. Einerseits fördert man tatsächlich noch den Einfamilienhaus-Neubau im „Speckgürtel“, wo es ohnehin ein kaum bewältigbares Bevölkerungswachstum jenseits von 25 Prozent gibt, und unterstützt mit Steuergeld die Verschwendung des wertvollen Grünraums dort, wo sich Stadt und Land berühren. Im Gegenzug bekommt der soziale Wohnbau seine Fördereinheiten, etwa im Rahmen der durchschnittlich erfolgreichen Mietkaufmodelle, die vor allem Fördernomadentum mit sich bringen ... Ein Paradoxon, dass die teuersten Wohnungen in Graz jenseits der Millionen-Kaufpreise ausgerechnet von einem Genossenschaftsunternehmen auf den Markt gebracht werden.
Eine „proporzionale“ Folklore mit Steuergeld, dabei sollte die Wohnbauförderung ein effizientes Lenkungsinstrument auch der Raumordnung sein. „Sanierung vor Neubau“ kann die Devise nur heißen. Die Vitalisierung innerörtlicher Bausubstanz ist arbeitsplatzintensiver, fördert das heimische Handwerk und den regionalen Materialeinsatz, bietet also höhere Wertschöpfung als der Neubau auf der grünen Wiese.
Sanierung vor Neubau
Die Förderung von Sanierung, Modernisierung, Attraktivierung sollte zudem auf Regionen mit negativer Bevölkerungsentwicklung konzentriert werden, um den ländlichen Raum zu unterstützen, die Ortskerne zu vitalisieren, Junge zum Verbleiben zu ermutigen, Neuansiedlungen zu motivieren, Infrastrukturen zu stärken etc. Knappe Budgets machen eine Konzentration der Maßnahmen notwendig, das gute, alte „Gießkandl“ gehört ins Heimatmuseum ...
Gemeinden sollten sich zum Grundsatz der Versiegelungsflächen-Neutralität bekennen. Wird für ein neues Bauvorhaben Grünfläche (im Bauland) herangezogen, ist anderswo zu „entsiegeln“ – also der Bebauungsgrad zu reduzieren, zum Beispiel Asphalt abzutragen, Blech oder Welleternit gegen begrünte Dachflächen auszutauschen etc. Der Bebauungsgrad ist eine zunehmend wichtige Kennzahl für die Katastrophenresistenz unserer Umwelt. Je weniger undurchdringliche Bodenfläche es gibt, desto sicherer sind wir vor Überschwemmung, Flut, Muren und Co.
Die Wohnqualität zwischen den Gebäuden
Neue Siedlungsformen haben eine Nutzungsvielfalt sicherzustellen. Die „Pyjama-Siedlung“, in die man nach der Arbeit zur „Zeit im Bild“ und zum Schlafen heimkommt und von der man nach dem Frühstück wieder aufbricht, hat ausgedient. Ebenso das monokulturelle „Büro-Quartier“ als klimatisierter Dienstort zwischen mittlerem Vormittag und halbem Nachmittag. Die Weiterentwicklung sind Stadtquartiere, wo es sich zu leben lohnt, und „leben“ heißt wohnen, arbeiten, lernen, lehren, einkaufen, chillen, sporteln an einer Adresse. Orte hoher Lebensqualität sind Orte der kurzen Wege – mit sanfter Mobilität und nachhaltigen Energielösungen.
Mit der Smart City Graz-Mitte haben wir einen Prototyp vorgelegt, dessen Reinform absolut zukunftsfähig ist. Dort entscheidet sich die Lebensqualität nicht nur in, sondern besonders auch zwischen den Gebäuden. Die Tücke liegt dort, wo Kosteneffizienz und Renditedruck die architektonische Eleganz, die baukünstlerische Einzigartigkeit und wohnkomfortable Qualitäten wegradieren. Leistbarkeit und niedrige Leerstandsquoten sind ganz wichtige Projektziele. Der Taschenrechner und der Shareholder Value sind nicht die verlässlichsten Freunde der Wohnträume.
Kommunen sollten verbindliche Bestandsflächen-Bilanzen erstellen. Wie viele Quadratmeter der Gebäude einer Gemeinde sind genutzt, wie viele sind vorübergehend leerstehend, wie viele liegen brach, und wie viele sind für immer verlassen und bröckeln oder modern ihrem Ende der wirtschaftlichen und technischen Nutzungsdauer entgegen? Wo gibt es also Überhang und wo Mangel? Dieser Status ist ein wesentliches Fundament jeder effizienten Raumplanung.
Kurze Verfahren, Rechtssicherheit, Kostenersparnis
Die Behörden sind dringend angehalten, ihre Bauvorschriften zu entrümpeln, die Verfahren zu beschleunigen, die Abläufe transparenter, die Entscheidungen nachvollziehbarer zu gestalten und die Rechtssicherheit zu stärken, um so die Baukosten zu senken und die Leistbarkeit für Mieter und Erwerber sicherzustellen.
Im Übrigen könnten Kommunen ihre Verkehrssünder und Falschparker ja auch zweckgewidmet zur Finanzierung von Baumpflanzungen verdonnern. Ein Wald aus Strafmandaten hätte in jeder Gemeinde Charme – wie auch die Pflanzung eines Baums zum dankbaren Andenken an jede(n) Verstorbene(n) in einem „Friedenswald“ oder als „Zukunftswald“ zur herzlichen Begrüßung neuer Erdenbürger(innen) auf unserem – trotz aller Widrigkeiten – wunderschönen Planeten …
Die Vorschläge für eine ökologische Raum-NEU-Ordnung sind Beiträge zur Erhöhung der Wohn- und Lebensqualität. Sie haben das Potenzial, den Immobilienmarkt zu verändern. Sie führen tendenziell zu einer Werterhöhung des Gebäudebestands, in Sonderheit zu einer höheren Wertschätzung von Grund und Boden und zu einer neuen Achtsamkeit für das Regionale, Vertraute, Nahe.
Die oft propagierte „Leerstandserhebung“ zählt Wohnungen, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht auf den Markt gegeben werden. Aber dadurch wird das Wohnungsangebot nicht größer. Das „Bestellerprinzip“ legt fest, wer den Mietenmakler bezahlen muss. Aber dadurch wird das Wohnen nicht leistbarer. Die „Bebauungsplanpflicht“ definiert enge Regeln für den Neubau an gewissen Standorten. Aber dadurch wird die „Bauwut“ nicht gehemmt. Dennoch dreht sich die öffentliche Diskussion um derartige „Orchideen-Themen“. Es ist Zeit für echte Maßnahmen!