Trotz der herausfordernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist der Einzelhandelsmarkt derzeit intakt und stabil. Die Leerstandsraten blieben in zukunftsträchtigen Lagen im moderaten Bereich, auch die Mietausfälle durch Insolvenzen erreichten kein besorgniserregendes Ausmaß. „Allerdings sehen wir bei Handelsimmobilien eine konträre Entwicklung“, bringt es Stefan Braune, Head of Retail bei der ÖRAG, auf den Punkt: „In den A-Lagen, besonders im 1. Wiener Gemeindebezirk, ist die Nachfrage ungebrochen.“ Dies ist auch auf den Mangel an Flächen im Luxussegment und auf den frequenzstärksten Straßen zurückzuführen. Mario Schwaiger, Leiter Einzelhandelsimmobilien von EHL Gewerbeimmobilien: „Im Luxussegment nutzen starke Anbieter jede Gelegenheit, sich frei werdende Flächen in Bestlagen zu sichern. In der Mariahilfer Straße oder im Goldenen U sind kaum Flächen verfügbar.“ Auch die angrenzenden Einkaufsstraßen wie Neubaugasse oder Wollzeile sind sehr gefragt. An diesen Standorten bietet sich für internationale Marken aufgrund der Struktur der Häuser oftmals eine gute Chance Flagshipstores zu errichten „die in den vergangenen drei Jahren auch stark genutzt wurde“, erklärt Stefan Braune. Diese Entwicklung ist nicht nur in Wien, sondern auch in den Landeshauptstädten zu beobachten.
B- und C-Lagen geraten unter Druck
In den B- und C-Lagen sieht es allerdings anders aus. In diesem Bereich geraten die Retailer weiter unter Druck, was zu erhöhten Leerständen führt. Stefan Braune: „Hier braucht es kreative neue Konzepte und auch einen guten Branchenmix, um Nebenstraßen erneut attraktiv zu machen.“ Generell verlängern sich aber die Vermarktungszeiten von Handelsimmobilien aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Situation. „Die Gründe dafür sind einerseits genauere Prüfungen von Standorten durch die Unternehmen, andererseits Unklarheiten über Lieferzeiten von Produkten, was sich von der Geschäftsausstattung bis hin zu Verkaufsprodukten zieht“, so Braune.
Neueintritte am Markt
Luxus, Diskont und Entertainment sind aktuell die großen Retailtrends. Diese drei Segmente wachsen am stärksten, wenn man die Neueintritte auf dem Markt betrachtet. „Insgesamt sind die Markteintritte gegenüber dem Jahr 2021 stabil. Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil die Anzahl der Markteintritte im Jahr 2021 jene beinhaltet, die 2020 aufgrund der Corona-Situation verschoben wurden“, sagt Walter Wölfler, Head of Retail bei CBRE Österreich, und er erwartet auch für 2023 zahlreiche neue Unternehmen: „Der Fokus liegt auf Luxus, es gibt allerdings auch neue Diskonter und Eintritte im Bereich Entertainment.“
Luxus und Diskonter
Neben dem Luxus profitiert vor allem der Diskontbereich. Hier spielt primär das stark gestiegene Preisbewusstsein der Konsumenten eine Rolle. Mario Schwaiger: „Die Diskonter benötigen zusätzliche Flächen in Lagen mit guter Nahversorgungsfunktionalität und hoher Bevölkerungszahl im Einzugsgebiet.“ Vom Aufschwung der Diskonter profitieren in besonderem Maß auch Fachmarktzentren mit Nahversorgungscharakter. Ein beachtlich großer Anteil der FMZ ist vollvermietet, und „in sehr gut frequentierten FMZ sehen wir immer längere Wartelisten für Mietinteressenten“, so Schwaiger. Wie schon in der Corona-Zeit erweist sich diese Assetklasse als relativ stabil, denn speziell die Einkaufsstraßen und -zentren, die eine besondere Nahversorgungsfunktion haben, werden von Mietern und Kunden sehr geschätzt.
Unsicherheit bei den Händlern
Dennoch herrscht eine gewisse Unsicherheit, die sich in den deutlich kürzeren Laufzeiten neuer Mietverträge widerspiegelt. „Mehr als fünf Jahre sind mittlerweile die Ausnahme“, so Mario Schwaiger. Damit wird der Ungewissheit, wie es langfristig weitergeht, in wichtigen Handelsbranchen ebenso Rechnung getragen wie der Betriebskostenthematik, die wegen der hohen Energiepreise enorm an Brisanz gewonnen hat. Auch andere, risikobegrenzende Maßnahmen wie umsatzabhängige Mietbestandteile oder die Vereinbarung von Gesamtmieten inklusive Betriebskosten gewinnen an Bedeutung. Energieeinsparungen und damit Betriebskostenoptimierungen stehen ohnehin ganz oben auf der Prioritätenliste. „Auch Indexaussetzungen oder -reduzierungen werden mieterseitig häufig gewünscht“, ergänzt Schwaiger.
Bemerkenswert und positiv für den stationären Handel ist die Tatsache, dass laut den bisher vorliegenden vorläufigen Zahlen der Anteil des Onlinehandels am Gesamtumsatz im Handel 2022 gegenüber den Vorjahren rückläufig ist. Walter Wölfler: „Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Geschäfte 2022 erstmals seit 2019 wieder durchgehend geöffnet waren und dass auch zwei Online-Marktteilnehmer, nämlich Flink und Jokr, den österreichischen Markt verlassen haben.“ Die aktuell herausfordernde Situation schafft allerdings auch die Möglichkeit für ein Neudenken von Retailobjekten. Stefan Braune: „Die Folge ist der Markteintritt von spannenden neuen Konzepten, die das Shopping für Konsumentinnen und Konsumenten zu einem Erlebnis machen.“