Als typisches Kind der Kreisky-Generation war politisch interessiert, aber nicht aktiv. Aufgrund einer Demonstration rechtsradikaler Verbände vor der Universität zu Beginn ihres Studiums (Sozial- und Wirtschaftswissenschaften) engagierte sie sich schließlich im VSSTÖ: „politisch und frauenpolitisch. Allerdings nur ehrenamtlich, weil mir das ein Anliegen war, aber nicht als Berufswunsch.“ Nach einer spannenden und interessanten Zeit in der Arbeiterkammer wurde sie von der damaligen Vizebürgermeisterin Ingrid Smejkal in die Politik geholt und wurde zunächst Landesfrauensekretärin der Wiener SPÖ und Gemeinderätin, später Landesgeschäftsführerin und ab 1996 amtsführende Stadträtin.
Das erste Projekt ist auch das neue Projekt
Ihr erstes Projekt war 1996 der „Schlachthof St. Marx“. Damals ging es aber nicht um neue Konzepte für einen Standort der Creative Industries, sondern eher um das Gegenteil. Die Schlachtbetriebe mussten abgesiedelt werden. Ein schwieriges Unterfangen, da der Schlachthof noch in Betrieb war. Es gab viele Gespräche mit den Arbeitern, warum dieser Schritt notwendig sei, es gab Verhandlungen, und das Areal wurde sukzessive stillgelegt, aber „wir haben letztendlich keinen Beteiligten im Stich gelassen“, so Brauner rückblickend. Jetzt befasst sich die Vizebürgermeisterin wieder mit dem Areal, und aufgrund der Historie ist es ein „emotionales Lieblingsprojekt“, wie sie selbst meint: „Jetzt bin ich wieder für diesen Bereich zuständig, aber in einem ganz anderen Zusammenhang, nämlich bei der Entwicklung, und das ist sehr interessant.“ Das Stadtentwicklungsgebiet „Neu Marx“ ist ein Zentrum für Medien, Forschung und Technologie.
Stadtentwicklungen für einen neugierigen Menschen
Stadtentwicklungen sind für Brauner prinzipiell spannende Projekte: „Ich bin ein neugieriger Mensch, und es ist einfach spannend, Entwicklungsprojekte zu beobachten“ – und auch dabei mitzuwirken. Denn Stadtplanung ist nicht nur ausschließlich eine planerische Angelegenheit, sondern auch eine wirtschaftspolitische, ist Brauner überzeugt. Lebenswerte und intelligente Städte – Smart Cities – sind die Zukunft. Daher freut sie sich über das, was sich in Wien in den letzten 30 Jahren positiv verändert hat, und ein wenig stolz ist sie auch, dass sie ihren Beitrag zu dieser positiven Entwicklung geleistet hat: „Wir präsentieren Wien als internationale, moderne, innovative und zukunftsfähige Stadt.“
„Scroll of Honour“
Das ist bisher hervorragend gelungen, wenn man die Studien des internationalen Beratungsunternehmens Mercer betrachtet, in denen Wien bereits zum vierten Mal in Folge als die lebenswerteste Stadt der Welt gewählt wurde. Wobei sich Brauner noch viel mehr über die „Scroll of Honour 2010“ von UN-Habitat freut (siehe Kasten unten): „Hier wurde explizit begründet, dass es um eine sehr breite Palette an Entscheidungsgründen geht, auf Grund derer Wien diese Auszeichnung bekommen hat.“ Ausruhen will sie sich auf solchen Ehrungen nicht. Ganz im Gegenteil. Für die weitere Zukunft der Stadt ist für Brauner ganz wichtig, „dass wir in Wien in absolut allen Bereichen auf Qualität und Innovation setzen. Wir müssen alle Einrichtungen darauf einschwören, dass wir in Wien ausbilden müssen, und darin muss investiert werden“ – in Wiens Zukunft als Wissenshauptstadt für Zentral- und Osteuropa.
Durchs Reden kommen d’Leut zsamm
Nicht mit Scheuklappen durch die Gegend laufen, sondern viele andere Gegebenheiten mitbedenken ist ihre Devise: „Die Leute müssen miteinander reden. Durchs Reden kommen d’Leut zsamm. Das ist meine feste Überzeugung, und das halte ich für ganz wichtig.“ Dass dies leider viel zu selten geschieht, beklagt die Vizebürgermeisterin, denn es entspricht ihrer Persönlichkeit, „dass ich gerne Leute zusammenbringe und vernetze“. Das war auch ein Grund für sie, das Projekt „Wien–Win“ zu initiieren. Hier geht es um die praktische Anwendung von Innovation und Technologie in der Realität. „Auf der einen Seite steht die Stadt Wien vor vielen Herausforderungen, auf der anderen Seite haben wir in Wien ja sehr viele kreative und innovative Unternehmen, die über das Know-how verfügen, diese Herausforderungen auch zu bewältigen. Unser Ziel bei ,Wien-Win’ ist, diese beiden Seiten zusammenzubringen.“ Eine Wi(e)n-Win-Situation eben.
„Wir dürfen niemanden am Weg liegen lassen“
Besonders stolz ist Brauner darauf, wie man in Wien die vergangenen vier Jahre gemeistert hat: „Die letzten vier Jahre waren ja nicht irgendwelche Jahre, sondern wir hatten weltweit eine Krise. Uns war und ist klar, dass wir gegen die Krise ankämpfen müssen. Danach wird es Gewinner und Verlierer geben, und wir wollen zu den Gewinnern gehören. Insofern haben wir schon Gas gegeben.“ Wien wird in den nächsten Jahren stark wachsen, was die prognostizierten Einwohnerzahlen betrifft, und bei den Diskussionen rund um den neuen Stadtentwicklungsplan, die soeben begonnen haben, soll in vielen Aspekten darauf Rücksicht genommen werden. „Wir dürfen niemanden am Weg liegen lassen“, so die Sozialdemokratin: „Da geht es um Moral und Gerechtigkeit, aber auch aus wirtschaftlicher Sicht ist das eine Notwendigkeit.“ Die Stadt an der Donau soll weiterhin in der Top-Liga der Städte mitspielen.
Der Alltag ist schneller geworden
Die Politik und damit ihr Arbeitsalltag haben sich in den Jahren ihrer Tätigkeit verändert. Das Tempo hat zugenommen. Tage mit mehr als zehn Terminen gehören fast zur Tagesordnung, und das habe auch Schattenseiten für alle Politiker. Es bleibt weniger Zeit, Problemstellungen „in Ruhe zu reflektieren“ und sich auch einmal selbst kritisch zu hinterfragen oder nachzudenken. Auch die Medienlandschaft habe diese Entwicklung mitvollzogen, und es ist laut Brauner in den letzten Jahren „viel schwerer geworden, in den Medien eine Debatte über politische und wirtschaftliche Hintergründe zu führen. Dabei gehört es doch zur Politik dazu, dass die Dinge kontrovers diskutiert werden.“
Und ihre Lieblingsimmobilie? „Das Rathaus!“, lacht Renate Brauner.
Der Preis „Scroll of Honour“ in der Kategorie „Wohnen und Stadterneuerung“, der seit dem Jahr 1989 jährlich vergeben wird, ging seit 2001 erstmals wieder an eine europäische Stadt und war der erste überhaupt für ein umfassendes städtisches Sanierungsprogramm. Die UN-Habitat Studie begründete die Verleihung der „Scroll of Honour 2010“ an die Stadt Wien mit der Einzigartigkeit, der herausragenden Nachhaltigkeit und der sozialen Orientierung des Programms der „Sanften Stadterneuerung“ sowie mit Projekten wie der Wiener Charta.