Unvermeidbare Transformation als zentrales Paradigma
„Innovation und Nachhaltigkeit gelten dabei nicht länger als Kür, sondern als strategische Notwendigkeit – idealerweise im Zusammenspiel", so Romina Jenei, Geschäftsführerin von RegioPlan Consulting, die sich seit Jahrzehnten mit ebendiesem Wandel befasst. Die diesjährige Veranstaltung setzte dabei bewusst Akzente bei den Themen Nachhaltigkeit und künstliche Intelligenz, ohne dabei die Vielfalt neuer Handelskonzepte aus dem Blick zu verlieren.
„Wir haben uns heuer mit dem Thema einerseits Nachhaltigkeit – wie immer Dauerbrenner – und KI im Fokus beschäftigt, haben jetzt aber auch ein paar neue Konzepte gezeigt, die beispielhaft dafür stehen, was es eigentlich so am Markt gibt", erläutert eine Vertreterin des Organisationsteams. „Wir haben da jetzt Beispiele gehabt von dem Thema Regionalität, Nachhaltigkeit, Reviews. Aber jetzt gibt es natürlich ganz, ganz viele Dinge da draußen. Das heißt, es muss bunter werden."
Kaufkraft im Spannungsfeld der Verteilung
Eine aktuelle Analyse von RegioData Research verdeutlichte einen wesentlichen Punkt: Die Kaufkraft der Österreicher ist seit 2016 kontinuierlich gestiegen – trotz wirtschaftlicher Unsicherheiten und hoher Inflationsraten in den letzten Jahren. 2024 liegt sie erstmals wieder deutlich über der Inflationsrate, ein Effekt, der vor allem auf kräftige Lohnabschlüsse zurückzuführen ist.
Dennoch verliert der klassische Einzelhandel Marktanteile: Während 2014 noch 16% der österreichischen Konsumausgaben in den stationären Non-Food-Handel flossen, sind es 2024 nur mehr 12,6%. „Das Geld ist also da, landet aber nicht mehr automatisch im Einzelhandel. Die Chance liegt woanders und das nicht zufällig, sondern strukturell", betonte Amela Salihovic in ihrem Vortrag „Aufgedeckt by RegioData Research".
Der Verlust der Mitte als strategische Herausforderung
Ein besonders markantes Phänomen, das auf dem Symposium analysiert wurde, ist die Erosion der „klassischen Mitte" im Handel. Der Diskontanteil hat sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht und wird bis 2029 voraussichtlich über 20% erreichen. Parallel wächst das Luxussegment kontinuierlich – selbst in Krisenzeiten – und könnte bereits in fünf Jahren bei 18% liegen.
Die Mitte hingegen verliert dramatisch – über 20 Prozentpunkte in nur 15 Jahren. Die Analyse ist eindeutig: Während Diskont das „Brauchen" befriedigt – funktional, günstig, effizient – und Luxus das „Wollen" anspricht – emotional, exklusiv, erlebnisorientiert – bietet die Mitte weder das eine noch das andere und fällt damit zunehmend durch das Raster der Konsumentenpräferenzen.
Digitale Disruptoren transformieren den Markt
Während etablierte Händler um Relevanz kämpfen, wachsen neue Player mit rasanter Geschwindigkeit. Amazon bleibt mit über 1 Mrd. € Umsatz in Österreich zwar unangefochten an der Spitze, doch Newcomer wie Temu und SHEIN demonstrieren eindrucksvoll, wie disruptiv digitale Geschäftsmodelle sein können. Beide Plattformen zählen bereits zu den 20 umsatzstärksten Onlinehändlern in Österreich – mit prognostiziertem Einzug in die Top 10 im Jahr 2025.
Alexander Kleinszig präsentierte in diesem Zusammenhang einen revolutionären Ansatz: „Wir haben etwas, das der E-Commerce nicht hat: die physische Welt. Unsere Städte, Straßen, Infrastruktur, Gastronomie – echte Orte mit Identität. Das ist kein Nachteil, sondern ein Wettbewerbsvorteil." Mit „Rebirth of City" stellte er ein zukunftsweisendes Konzept vor, das Logistik mit stationären Shops so verflechten soll, dass kurze Wege und optimale Warenverfügbarkeit garantiert sind.
Von Handelszonen zu multifunktionalen Erlebnisräumen
Herman Kok präsentierte internationale Erfolgsbeispiele von Einkaufszentren, die sich in multifunktionale Orte verwandeln – mit Freizeit, Gastronomie, Dachnutzung, öffentlichen Ankern, Erlebniszonen und digitaler Verbindung zur Zielgruppe. Vertical Mixed-Use-Modelle, die Handel, Gastronomie, Freizeit, Wohnen und Arbeiten in einem Gebäude vereinen, stehen exemplarisch für diese Evolution.
Für die jüngere Zielgruppe gewinnen visuell attraktive, erlebnisorientierte Flächen zunehmend an Bedeutung – sogenannte „Instagramable Spaces", die zum Verweilen, Teilen und Wiederkommen einladen. Begrünte Dächer und Begegnungsräume tragen zudem dazu bei, urbane Zentren auch ökologisch und sozial aufzuwerten.
Networking als essenzielles Element des Symposiums
Das Retail Symposium zeigte sich einmal mehr als zentrale Plattform für den Austausch zwischen den relevanten Entscheidungsträgern der Branche. „Ich bin heute hier, weil für mich ist es einfach das Branchenevent des Jahres. Man trifft ja so viele Entscheider aus der Branche, die sonst bei keinem anderen Event zumindest für mich mit Schwerpunkt am akzentuieren sind", Katrin Gögele-Celeda (Immofinanz) betonte die Bedeutung der Veranstaltung für die Branchenkommunikation.
Anja Mutschler (OTTO) hob die Effizienz des Formats hervor: „Ich habe hier einfach alle wieder auf einem Fleck und das ist für mich einfach super interessant, weil ich da einfach sehr, sehr viele Projekte an einem Tag besprechen kann."
„Ich denke, ist ein tolles Netzwerk-Event hier immer. Man trifft viele Entscheider der Branche, die man gerne sieht und mit denen man sich gut austauschen kann", fasste Viktoria Hartl (NUVEEN) zusammen und unterstrich damit den kommunikativen Charakter der Veranstaltung.
Die Qualität der inhaltlichen Ausrichtung wurde von Thomas Hahn (Kaufhaus STEFFL) gelobt: „Ich glaube es tut gut, wenn eine gute Mischung aus Keynote-Speakern entsteht, die ganz viel Expertise für den Handel und für die Immobilienbranche haben."
Ausblick: Mut zur Transformation
Das Retail Symposium 2025 machte eindrucksvoll deutlich: Unsere Städte und Handelsimmobilien wurden nicht für Algorithmen gebaut – sie leben durch Menschen. Nachhaltig können Immobilien nur sein, wenn sie einen Nutzen bringen, also von Menschen gebraucht oder gewollt werden und emotionalisieren.
Die Zukunft des Handels wird nicht verwaltet – sie wird gestaltet. Zur Transformation braucht es mutige Innovationen, gezielte Investitionen und neue Partnerschaften, die über klassische Branchen- und Denkmuster hinausgehen. „Und der Punkt ist, dass man sich trauen muss und Entscheidungen treffen, damit was passiert. Das merkt man heute ganz stark", resümierte ein Branchenexperte treffend die Grundstimmung des diesjährigen Symposiums.
Mit diesem inspirierenden Ausblick schließt das 27. Retail Symposium – und öffnet gleichzeitig den Blick für die Herausforderungen und Chancen, die der transformierte Einzelhandel von morgen mit sich bringen wird.