Die Wiener Gründerzeithäuser haben es Ihnen wohl angetan, was fasziniert Sie an diesen Objekten?
Erath: 1993 habe ich ein Eigenheim für meine Familie gesucht und letztlich ein schönes Gründerzeithaus im dritten Bezirk gefunden. Die Gründerzeithäuser und damit die alte Baukunst haben mich von Beginn an fasziniert und bis heute nicht mehr losgelassen. In diesen Objekten spiegeln sich Fantasie, handwerkliches Geschick sowie auch die wirtschaftlichen Herausforderungen wider. Außerdem sollen auch meine Kinder und Enkelkinder eine entsprechende Absicherung erhalten. Derzeit stehe ich beim 14. Dachausbau in eigener Sache. Die Projekte haben mir Freude gebracht, gleichzeitig musste ich aber in großen Teilen Wiens einen Zerfall der einmaligen Baukunst feststellen. Ich habe eine Art Ursachenforschung betrieben und mich schon vor Jahren dazu entschlossen, mit sachlicher Aufklärungsarbeit den erkennbaren Symptomen von Zerfall und rechtlicher Benachteiligung entgegenzutreten.
Der von Ihnen 2014 gegründete Verein zur Revitalisierung und architektonischen Aufwertung der Wiener Gründerzeithäuser hat sich vielfach gegen die im Mietrechtsgesetz vorgegebenen Mietzinsrichtwerte und -obergrenzen ausgesprochen. Was genau kritisieren Sie?
Erath: Die Wurzeln des österreichische Mietrechtsgesetzes (MRG) reichen fast 100 Jahre zurück, es wurde von den Notlagen der beiden Weltkriege geprägt und vom Gesetzgeber dutzendfach in alle Richtungen verändert. Heute ist das MRG für den Konsumenten extrem anwendungsfeindlich, selbst Mietrechtsexperten haben kaum noch den Durchblick. Unsere Kritik bezieht sich vor allem auf den Richtwertmietzins ab 1994. Vereinfacht ausgedrückt wurde für alle Altbauten (Jahrgang 1945 und älter) ein Mietzinsregulativ eingeführt.
Man stelle sich einmal vor: Auf Basis der Bau- und Grundkosten sowie der Förderungsgrößen wurde dieser Richtwertmietzins von den einzelnen Ländern errechnet, und genau diese Rechenwerte sind dann in das MRG eingeflossen. Wien hat mit 5,58 Euro Nettomiete aktuell den zweitniedrigsten Richtwert, Vorarlberg steht mit 8,57 Euro Nettomiete an der Spitze. Wir als Verein haben in erster Linie den Vergleich mit der nicht weit entfernten Steiermark gesucht. Der Richtwert liegt in der Steiermark derzeit bei 7,70 Euro.
Fazit: Die Eigentümer der Wiener Gründerzeithäuser werden ohne Ausgleichszahlungen des Staates durch ein Bundesgesetz zu einer Einkommenseinbuße von ca. 40 Prozent allein gegenüber der Steiermark verpflichtet, und dies schon seit 1994. Stellen Sie sich vor, eine solche Differenzierung würde bei den Einkommen von Journalisten oder Lehrern per Gesetz verfügt. Ich kenne keine einzige Berufsgruppe in ganz Österreich, der ein solches Unrecht zugefügt wurde. Das ist eine Diskriminierung im allerhöchsten Ausmaß, der Schaden geht in die Milliarden – und das in einem hoch entwickelten Rechtsstaat. Dieser Unrechtsbestand hat mich zur Vereinsgründung veranlasst, um im Namen aller Betroffenen einschreiten zu können.
Sie sind also der Meinung, dass die politische Willensbildung im Wohnungsmietbereich einen zu hohen Stellenwert hat.
Erath: Genau. Ich bin ein starker Befürworter von sozialem Wohnbau und einer marktgerechten Mietzinsbildung. Darüber hinaus sehe ich aber grundsätzlich keine Notwendigkeit für gesetzliche Vorgaben. Aber so weit gehe ich mit meinen Forderungen ja gar nicht. Was meine Mitstreiter und ich nicht hinnehmen, sind die bundesländerweise unterschiedlichen Richtwertvorgaben, die aus politischem Kalkül und nicht nach Maßgabe der Bau- und Grundkosten getroffen worden sind.
Sie und Ihr Verein treten sehr selbstbewusst und siegessicher auf. Führen Sie nicht dennoch einen Kampf gegen Windmühlen?
Erath: Wir sind zuversichtlich, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die negative Entscheidung des VfGH zu unseren Gunsten korrigieren wird. Der Verfassungsgerichtshof hat primär mit rechtspolitischen Argumenten unsere Beschwerde abgewiesen. Die Richterschaft hat keine Verfassungswidrigkeit gesehen und hauptsächlich damit argumentiert, dass es in Wien eine niedrige Eigentumsquote (ca. 20 Prozent) gibt und dass daher die Wiener Bevölkerung stärker auf erschwinglichen Wohnraum angewiesen sei. Hier besteht ein Widerspruch zum BIP sowie zum verfügbaren Einkommen laut Statistik Austria. Quasi mit einem Federstrich wird aufgezeigt, dass der Gesetzgeber seinen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum nicht überschritten habe und dass die betroffenen Wiener Hauseigentümer nicht unverhältnismäßig belastet seien. Diese Entscheidung hat bei den Betroffenen Verwunderung und Ärger ausgelöst.
Nochmals zur Verdeutlichung: Der Nationalrat beschließt ein Gesetz (Mietrechtsgesetz) mit höchster Diskriminierungsqualität, und obendrein wird dieses Gesetz auch noch vom Bundespräsidenten ohne Bedenken auf das verfassungsmäßige Zustandekommen beurkundet. Im Rahmen einer massiven Beschwerde befasst sich das Höchstgericht dann nicht einmal ansatzweise mit der Diskriminierung. Das ist unglaublich, der Vertrauensverlust ist enorm.
Wir haben als Verein mit Leserbriefen in den gängigen Medien Österreichs gegen diese fragwürdige Entscheidung Protest eingelegt. Deshalb unterstützen wir nun auch betroffene Eigentümer finanziell bei ihrer Straßburg-Beschwerde Die erste Beschwerde gegen den pauschalierten Befristungsabschlag (25 Prozent) sowie gegen das Verbot des Lagezuschlags in Gründerzeitvierteln wurde im Mai 2017 nach Straßburg geschickt, die Beschwerde gegen den „Wiener Richtwert“ soll an den EGMR expediert werden.
Wer sind Ihre Vereinsmitglieder? Was kostet und was bringt eine Mitgliedschaft?
Erath: Unsere Statuten sind bewusst für einen großen Mitgliederkreis angelegt. Primär sprechen wir die Eigentümer der ca. 15.000 Wiener Gründerzeithäuser an, Mitglieder können aber auch Hausverwalter, Architekten und Baumeister werden. Details finden sie auf unserer Homepage www.ZinshausZukunft.Wien.
Der Mitgliedschaftsbeitrag beträgt jährlich 150 Euro. Wir versorgen die Mitglieder laufend mit Informationen, wir veranstalten Informations- und Diskussionsrunden mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft und wir haben bisher weitgehend die Kosten für den Gang zu den Höchstgerichten getragen.
Was soll der Verein in fünf Jahren erreicht haben?
Erath: In den Gründerzeithäusern wurde jahrzehntelang ohne staatliche Ausgleichszahlungen Wohnraum beinahe zu Sozialtarifen zur Verfügung gestellt. Das sehen wir als großes Unrecht an, und genau dieses Unrecht wollen wir mit der Straßburg-Beschwerde beseitigen. Ein Erfolg in Straßburg soll den Häusern wieder ihre „ Freiheit“ bringen, höhere Mieteinnahmen sollen zu großen Investitionen und einer breit angelegten Revitalisierung führen. Wir sehen die Verpflichtung, auf diese Weise den weltweit einmaligen Bestand an schöner Baukunst noch für viele Generationen zu erhalten und Wien zu neuem Glanz zu verhelfen.