Sie haben vor Ihrer jetzigen Tätigkeit verschiedene Aufgaben bei großen Unternehmen wahrgenommen, unter anderem als Asset-Managerin. 2018 haben Sie sich dann für die Mitarbeit in einem Familienunternehmen entschieden. Was hat Sie besonders gereizt?
Marie-Therese Gabriel: Neue Herausforderungen sind immer schön, und es geht auch um Immobilien, aber ganz anders. Es ist viel persönlicher, man hat viel mit Menschen zu tun, und die Vermittlertätigkeit macht mir sehr viel Spaß. Auf der einen Seite steht der Interessent, auf der anderen der Abgeber, und es ist immer eine Herausforderung, eine gute Lösung für beide zu finden. Es geht ja nicht nur um die Vermittlung einer Immobilie, sondern auch um die Wünsche der Kunden und um Verträge, die ausgehandelt werden müssen, in Summe um viele Bereiche, die es zu bedenken gilt.
Wie geht man als kleines Unternehmen mit den Veränderungen der letzten zwei Jahre um?
Marie-Therese Gabriel: Ein kleines Unternehmen bedeutet auch immer, flexibler zu sein. Ich komme aus Konzernstrukturen, und da dauern die Veränderungen oft sehr lange. Wir können uns sehr rasch an neue Gegebenheiten anpassen, und das ist definitiv ein Vorteil. Im ersten Lockdown haben wir sehr rasch auf Videobesichtigungen umgestellt und so Immobilien vermietet und verkauft. Das hat bestens funktioniert.
Wir haben tolle Ideen ins Leben gerufen, etwa Live-Besichtigungen. Die Interessenten konnten sich einwählen und Fragen zu den jeweiligen Objekten stellen. Es ist allerdings sehr herausfordernd, wenn es mehrere Kunden gleichzeitig gibt. Massenbesichtigungen sind nicht unser Metier, und die machen wir auch nicht. Daher sind wir nach kurzer Zeit auch online zu individuellen Kundenterminen übergegangen.
Wird es weiterhin Online-Besichtigungen geben?
Marie-Therese Gabriel: Wenn es notwendig ist, bei Expats zum Beispiel, dann wird diese Möglichkeit durchaus weiterhin genützt. Expats können auf diese Weise vom Ausland aus eine „Besichtigungstour“ machen, da sich ein persönlicher Termin vor Ort meistens nicht auszahlt oder gar nicht möglich ist.
Online-Besichtigungen werden eine von mehreren Möglichkeiten sein, und man kann das mit dem Handy schon sehr gut bewerkstelligen. Allerdings ist es bei Online-Terminen wichtig, den Kunden die Immobilie so detailgetreu wie möglich zu zeigen – man ist das Auge des Kunden. Entscheidend ist, dass sie sich wohl- und gut betreut fühlen.
Expats scheinen eine starke Zielgruppe für Ihr Unternehmen zu sein.
Marie-Therese Gabriel: Meine Schwiegermutter Alexandra Gabriel war eine der Ersten, die einen starken Fokus auf internationale Kunden und Konzerne gelegt hat, und das führen wir gerne weiter. Sie hat über die Jahre eine große Stammkundschaft aufgebaut. Wien ist eine Stadt, die international geprägt ist, und daher ist die Nachfrage entsprechend groß.
Wie macht man im Ausland Werbung?
Marie-Therese Gabriel: Nicht im klassischen Sinn! Bei unserer Klientel ist die Kundenbindung ein großes Thema, und die Werbung läuft über Mundpropaganda. Wer sich gut aufgehoben fühlt, der empfiehlt uns gerne weiter.
Die Immobiliensuche ist mittlerweile sehr transparent, und wo auch immer man sich auf der Welt befindet, kann man sich den Wiener Immobilienmarkt ansehen. Es ist wichtig, einen guten Immobilienstock zu haben, und für die Suchenden ist maßgeblich, eine Immobilienkanzlei an der Seite zu haben, die interessante Projekte bietet und der sie vertrauen können.
Wie wichtig sind Netzwerke?
Marie-Therese Gabriel: Ich arbeite sehr gerne mit den Kolleginnen und Kollegen aus anderen Kanzleien zusammen, wenn die Zusammenarbeit gut funktioniert. Wir sind immer offen für neue Kooperationen, aber wenn wir proaktiv für eine Klientin oder einen Klienten suchen, dann wissen wir, an wen wir uns wenden können. Das ist eine unserer Stärken.
Was suchen die Kunden aktuell?
Marie-Therese Gabriel: Auffallend ist, dass diese Wünsche bei allen Interessenten, egal ob aus dem In- oder Ausland, gleich sind. Generell wird mehr Freifläche gewünscht, und auch der Zug ins Grüne ist nach wie vor gültig. Der Mietbereich funktioniert vor allem bei größeren Wohneinheiten sehr gut, und die kleinen Garçonnièren sind ebenfalls gefragt. Was derzeit etwas schwierig ist, sind Zwei-Zimmer-Wohnungen. Das hat mit den Entwicklungen der letzten beiden Jahre zu tun. Die Menschen suchen Drei-Zimmer Wohnungen, da man Platz für ein Homeoffice oder einen Rückzugsort braucht.
Wie, glauben Sie, werden sich die Wünsche noch ändern?
Marie-Therese Gabriel: Wir haben viel mit internationalen Kunden zu tun, auch mit Managern von Firmen, und viele sagen, dass Homeoffice ein Teil der Firmenphilosophie geworden ist und auch bleiben wird. Daher wird auch der Ballungsraum rund um Wien sehr gefragt bleiben, wenn eben nur zwei oder drei Tage in der Woche nach Wien gependelt werden muss. Diese Entwicklung hat Bestand, da die Menschen sehen, dass diese Form der Arbeit mit mehr Lebensqualität verbunden ist.
Wobei ich interessanterweise feststelle, dass Expats in Wien innerstädtische Lagen bevorzugen! Sie schätzen in Wien die Mischung aus Infrastruktur, viel Angebot und Grünräumen, und dort möchten sie leben. Allerdings ist es eine Herausforderung, Vier- oder Fünf-Zimmer-Wohnungen in diesen Lagen zu finden.
Glauben Sie, dass es künftig zu einer Trennung von guten und schlechten Immobilien kommen wird?
Marie-Therese Gabriel: Die ist bereits da, und es ist nicht einmal eine Frage des Preises. Es gibt bei teuren Immobilien gute und schlechte, und es gibt bei günstigen gute und schlechte. Wenn alles passt, sind die Leute auch bereit, mehr zu zahlen, weil sie die Vorzüge schätzen.