Der Wiener Immobilienmarkt auf spanisch.
Um den Wiener Immobilienmarkt zu verstehen, muss man das Rad der Zeit etwas zurückdrehen – ungefähr 100 Jahre. Wie in fast allen europäischen Metropolen wurde um 1900 die Wohnsituation der Arbeiterschicht von privaten Mietshauskasernen mit oft unzumutbaren Wohnverhältnissen bestimmt. In Wien war die Lage besonders schlimm. Die Hauptstadt der riesigen K.-u.-k-Monarchie Österreich-Ungarn mit ihren 52 Millionen Einwohnern zog aus den Kronländern viele Menschen an. So stieg die Bevölkerung von 600.000 Einwohnern im Jahr 1850 in 60 Jahren auf über zwei Millionen, weshalb Wien bis 1918 die viertgrößte Stadt der Welt war. In dieser Zeit rechnete man sogar mit einem weiteren Anstieg der Bevölkerungszahl auf vier Millionen.
Untragbare Verhältnisse
Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Zusammenbruch der riesigen K.-u.-k.-Monarchie wurden die Wohnverhältnisse in Wien untragbar. Dann kam es aber zu politischen Veränderungen. 1919 wurde Wien nach der Gemeinderatswahl zur ersten sozialdemokratischen Millionenstadt weltweit. Die Bürgermeister Jakob Reumann (ab 1919) und Karl Seitz (ab 1923) begründeten das Schlagwort vom „Roten Wien“ (das rote, also sozialdemokratische Wien – tatsächlich gab es bis heute nur sozialistische Regierungen in der Stadt, zuletzt in Koalition mit den „Grünen“, Anm. d. Red.). Die Stadtverantwortlichen lancierten Wohnbauprogramme, die durch eine neue Wohnbausteuer finanziert wurden. Es entstand eine Vielzahl von Gemeindebauten, und bis in die heutige Zeit sind gemeinnützige Genossenschaften an der Errichtung von leistbaren Wohnbauten beteiligt.
Einzigartig Qualität der Wohnbauten
Wer allerdings der Meinung ist, dass hier banale Mietskasernen entstanden und entstehen, der liegt ganz falsch. Die Qualität dieser Wohnbauten ist einzigartig und übertrifft manchmal sogar den privaten Wohnbau. Zudem führt die Durchmischung in den Häusern dazu, dass es in Wien – im Gegensatz zu zahlreichen anderen Metropolen – keine No-go-Areas gibt. Die zweitgrößte deutschsprachige Stadt der Welt ist durchmischt, und regelmäßig kommen Delegationen aus aller Welt, um sich vom „sozialen Wohnbau“ in der Donaumetropole inspirieren zu lassen.
Stadt Wien größter Wohnungseigentümer
Die enorme Bautätigkeit über die Jahrzehnte hat aber dazu geführt, dass die Stadt Wien der größte Wohnungseigentümer in Österreich ist und Wien daher eine Stadt der Mieter ist. In kaum einer anderen europäischen Hauptstadt liegt der Anteil an Mietwohnungen höher als in Wien. Laut einer Auswertung des ÖVI (Österreichischer Verband der Immobilienwirtschaft – www.oevi.at) anhand von Daten der „Statistik Austria“ (www.statistik.at) sind in Wien 77 Prozent der Wohnungen Hauptmietwohnungen. Von diesen entfallen fast 60 Prozent auf den sozialen Wohnbau, womit Gemeindewohnungen und Genossenschaftswohnungen gemeint sind. Lediglich 40 Prozent sind in Wien also Wohnungen von Privaten oder von professionellen Anbietern. Damit ist allerdings noch lange nicht gesagt, dass sich hier der Mietpreis frei festlegen lässt, denn das österreichische Mietrecht ist eine sehr komplexe Materie.
Mietrecht schreckt Investoren ab
Die Geschichte eines Marktteilnehmers fasst diese sehr treffend zusammen. Christian Lippert, Geschäftsführer von LI Development (www.lidevelopment.at): „Vor einigen Jahren besuchte mich der Europachef eines der größten Developer der USA und stellte Fragen zum Wiener Markt, da er gerne 5.000 Wohnungen in einer großen Stadt bauen würde. Er wollte auch über die steuerliche und rechtliche Situation Bescheid wissen. Nach meiner Erklärung des Mietengesetzes wurde Österreich ausgeschieden.“
Kleine Novellen – kein großer Wurf
Die Feinheiten des politischen Geplänkels lassen wir einmal beiseite. Tatsache ist, dass in der Stadt, in der 20 Prozent des österreichischen Wahlberechtigten leben, kaum jemand das Mietrechtsgesetz „angreift“ – es also so gut wie nicht geändert wird. Es gibt zwar immer wieder kleinere Mietrechtsnovellen, aber eine große Neuerung ist in den kommenden Jahren nicht zu erwarten. Es ist ein Paragrafendschungel, und so sehr das Mietrecht und der soziale Wohnbau gut gemeint waren, um den Mieter und die Mieterinnen zu schützen, so viel Ungleichheit erzeugten sie über die Jahre.
Sozialwohnungen kaum kontrolliert
Es gibt in Wien keine Möglichkeit, die Nutzung der Sozialwohnungen effizient zu kontrollieren. „In dem Bundesland mit dem höchsten Anteil an sozialen Wohnbau gibt es für junge Menschen gleichzeitig die größten Probleme, leistbaren Wohnraum zu finden“, erklärte Michael Pisecky, Obmann der Fachgruppe der Immobilien- und Vermögenstreuhänder der Wirtschaftskammer Wien. Es gibt mehrere Probleme und Handlungsbedarf. Pisecky: „Erstens: Die Einkommensgrenzen für geförderte Wohnungen sind zu hoch angesetzt. Das hat zur Folge, dass zu viele Personen Ansprüche geltend machen können und jene, die wirklich günstigen, geförderten Wohnraum benötigen, jahrelang auf Wohnungen warten müssen. Zweitens: Die Einkommen der Mieter werden nur zu Beginn überprüft, Einkommenssteigerungen im Laufe der Zeit werden nicht berücksichtigt. Drittens: Dies führt dazu, dass Mieter trotz steigender Einkommen in diesen günstigen Wohnungen sehr lange verbleiben und diese aufheben.“ Solange die Miete bezahlt wird, gibt es faktisch keine Kontrolle, wer darin wohnt – und ob jemand darin wohnt. Damit werden dem Markt sehr viele kostengünstige Wohnungen entzogen.
Mieten in Wien günstig
Junge Menschen und Familien müssen sich daher zumeist auf dem privaten Markt mit Wohnraum versorgen. Aber auch diese Wohnungen unterliegen zu einem großen Teil dem strengen Mietrechtsgesetz. Daher sind die Mieten in Wien im Vergleich zu anderen europäischen Großstädten relativ günstig. Das geht aus dem aktuellen Property Index des Wirtschaftsberatungsunternehmen Deloitte hervor. Durchschnittlich 9,60 Euro wurden im Jahr 2018 in Wien pro Quadratmeter und Monat an Miete bezahlt. Im Vergleich mit anderen europäischen Großstädten ist das tatsächlich nicht viel. „Vergleichbare Städte wie Prag mit 13,10 Euro und München mit 16,50 Euro liegen weit darüber. London und Paris sind mit rund EUR 26 Euro die Spitzenreiter“, erklärt Alexander Hohendanner, Partner bei Deloitte Österreich.
Schiach wia da Zins!
Mieten darf in Wien nichts kosten – das hat sich in den letzten 70 Jahren in den Köpfen der Wiener und Wienerinnen eingeprägt. Und so ist es heute noch ein geläufiges Sprichwort in Wien, wenn etwas hässlich ist, zu sagen: „Schiach wia da Zins!“ (hässlich wie die Wohnungsmiete). Leider führt der niedrige Mietzins aber auch dazu, dass für viele Hausbesitzer die Erhaltung der Häuser – besonders des Gründerzeitzinshauses, wofür Wien berühmt ist – immer schwieriger wird. Wichtig wäre es daher, wenn sich die Verantwortlichen der Stadt und die Immobilienwirtschaft auf gemeinsame Lösungen einigen könnten, damit Wien weiterhin eine lebenswerte Stadt bleibt – danach sieht es aber im Augenblick nicht aus.